Trümmerhaus wird Stadtjuwel

Ein Artikel von Birgit Gruber | 14.04.2020 - 07:37
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Durch die Gasexplosion und die enorme Druckwelle wurden in dem der Mariahilfer Straße zugewandten Trakt des Gebäudes das zweite und dritte Obergeschoss sowie das Dach zerstört. © Trimmel + Wall Architekten

An einem Samstag im April 2014 stand in der Wiener Mariahilfer Straße 182 die Zeit für einige Minuten still. Eine heftige Gasexplosion riss das dortige Gründerzeiteckhaus in Trümmer. Mit einem ohrenbetäubenden Knall stürzten weite Teile des Altbaus vom Dach bis zum ersten Stock in sich zusammen. Der Verursacher, ein 19-jähriger Bewohner, kam dabei ums Leben. 13 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt, eine Frau konnte erst nach acht Stunden geborgen werden. Die Rettungskräfte waren rund um die Uhr im Einsatz und berichteten von erschreckenden Szenarien. Eine dicke Staubwolke zog durch die Straßen, man konnte laut Feuerwehr und Rettung nicht einmal mehr die Hand vor Augen sehen. Der Schock bei Mietern und Vermieter saß damals tief.

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Das Gründerzeithaus in der Äußeren Mariahilfer Straße gilt als Paradebeispiel für städtische Verdichtung und energetische Sanierung – für ihr Konzept konnten die Architekten zwei wichtige Preise gewinnen. © Trimmel + Wall Architekten

Neue Wohnqualität mit viel Grün

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Im Rahmen der notwendigen umfassenden Sanierung war die Unterfangung der Fundamente mit 204 Kleinbohrpfälen notwendig. Im Innenhof wurde ein neues Stiegenhaus nach Stand der Technik sowie ein Aufzugsschacht angebaut. © Trimmel + Wall Architekten

Es dauerte einige Zeit, bis sich die Privateigentümer zu einer Generalsanierung – unterstützt durch die Stadt Wien – entschließen konnten. Denn der Gesamtaufwand für einen Wiederaufbau mit insgesamt 7,5 Mio. € war beachtlich. Immerhin beteiligte sich die Stadt mit 4,4 Mio. € im Rahmen einer Wohnbauförderung. Nach einer ausführlichen Planungsphase in Abstimmung mit den Eigentümern, den Bewohnern sowie der MA37 und dem Wohnfonds präsentierten Trimmel Wall Architekten bereits im Mai 2014 einen umfassenden Entwurf. Genau zu dieser Zeit wurde das Architekturbüro mit dem Wiener Stadterneuerungspreis ausgezeichnet und lieferte so gute Referenzen. „Es war uns eine besondere Freude, dass wir uns bei diesem besonderen Projekt mit unserer Erfahrung einbringen durften. Der Wiederaufbau ermöglichte umfassende Maßnahmen für eine neue Wohnqualität mit Grünflächen, Balkonen und Terrassen auf allen Ebenen“, freut sich Geschäftsführer Günther Trimmel. Die bestehenden Mieter habe man in die Grundrissgestaltung der neuen Wohnungen miteingebunden, heißt es vonseiten der Planer. „Das Wohnhaus wurde im Altbestand nachhaltig thermisch saniert. Der Dachgeschossausbau erfolgte im Passivhausstandard“, berichtet Architektin und Projektleiterin Isabella Wall.

Zwischen Altbaucharakter und Modernisierung

Im Juni 2016 hieß es dann Baustart. Für die Baumeisterarbeiten wurde Leyrer + Graf beauftragt. Ein Tochterunternehmen, die Graf-Holztechnik aus Horn, übernahm die kompletten Dachbauarbeiten. Nach insgesamt 20 Monaten Bauzeit konnten die Arbeiten am Gesamtobjekt im März 2018 abgeschlossen werden. „Es gab einige bautechnisch Herausforderungen“, erzählt Trimmel. „Die Wiederherstellung und Rekonstruktion der stadtbildprägenden Gründerzeitfassade zählen zu diesen.“ Die neu aufgebauten Außenwände wurden ebenso wie die bestehenden Innenhoffassaden mit dem ökologischen Baustoff Hanf gedämmt. Die erhalten gebliebene, gegliederte Straßenfassade wurde – erstmals in Wien – mit einem hochwärmedämmenden Aerogelputz ausgeführt. „Trotz vieler zu berücksichtigender Punkte konnte ein ambitionierter Zeitplan eingehalten werden“, erzählt Wall. Im Spannungsfeld zwischen Altbaucharakter und Modernisierung entstanden auf einer Wohnnutzfläche von 2360m2 20 Altbau- und neun Dachgeschosswohnungen, sieben davon sind Maisonetten.

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Die Vorzüge des Ingenieurholzbaus kamen vor allem im zweiten Dachgeschoss voll zum Tragen © Graf-Holztechnik

Trotz vieler zu berücksichtigender Punkte konnte ein ambitionierter Zeitplan eingehalten werden.


Architektin Isabella Wall

Konstruktive Holzbauteile aus Fichte

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Architektin und Projektleiterin Isabella Wall
© Trimmel + Wall Architekten

„Beim Neubau des Daches musste darauf geachtet werden, dass der historische Charakter des Hauses nicht verloren geht“, weiß Holzbau-Meister Roland Ernst. Er leitete das Projekt für die Graf-Holztechnik und spricht von relativ großen Spannweiten in Kombination mit komplexen bautechnischen Details, die den Aufbau durchaus spannend machten. „Die üblich engen Zufahrtsbedingungen und Baustellenverhältnisse waren für uns allerdings gewohntes Terrain“, berichtet Ernst. Die Vorzüge des Ingenieurholzbaus kamen vor allem im zweiten Dachgeschoss voll zum Tragen. „Die Zwischendecke wurde mit 22 cm dicken Brettsperrholzplatten und die Dachkonstruktion aus einer zweilagigen KVH-Riegelkonstruktion mit 28 cm und 10 cm Querschnittshöhe hergestellt“, erklärt der Holzbau-Meister. Alle angeführten konstruktiven Holzbauteile wurden in Fichtenholz, die Terrassenbeläge in Thermokiefer- und die Innenstiegen als Eichenholzdielen ausgeführt. „Wir freuen uns sehr darüber, dass unser Projekt vom Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus mit dem Staatspreis für Architektur und Nachhaltigkeit 2019 ausgezeichnet wurde. Zudem konnten wir den ersten Preis beim 33. Wiener Stadterneuerungspreis der Landesinnung Bau Wien gewinnen“, sagt die Architektin

Projektdaten

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© Trimmel Wall Architekten

Standort: Wien
Fertigstellung: März 2018
Architekt: Trimmel Wall Architekten
Baumeisterarbeiten: Leyrer + Graf Baugesellschaft m.b.H.
Holzbau: Graf Holztechnik GmbH
Statik: Hollinsky & Partner
Bauphysik: Schöberl & Pöll
Wohnnutzfläche: 1600 m2 (Altbau), 760 m2 (DG-Ausbau)
Holzmenge: 100 m³ BSP; 40 m³ BSH; 80 m³ KVH-Vollholz
Systemlieferanten: Mayr-Melnhof Holz (BSP), Hasslacher Holzindustrie (BSH), Holz Hahn (KVH)