Der Holzbau ruft

Ein Artikel von Birgit Gruber | 16.06.2020 - 08:09
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Die Loggia war im ersten Entwurf der Architekten so gar nicht vorgesehen und wurde erst auf Wunsch der Bauherren den späteren Plänen hinzugefügt. © Bernhard Fiedler

Massiv wie den Felsen eines Berges – so stellten sich Bernhard Fiedler und Andrea Maruna ihr perfektes Eigenheim vor, als der geeignete Baugrund samt Altbestand im 14. Wiener Gemeindebezirk gefunden war. Schließlich habe man Generationen vor ihnen auch schon in Ziegelmassiv gebaut. Warum also auf einen anderen Baustoff setzen? Für die Bauherren stand neben dieser gelebten Tradition vor allem die Nachhaltigkeit im Vordergrund. Oft ein Widerspruch beim konventionellen Bauen, wie sich später herausstellen sollte. Nicht jedoch im privaten Leben, wo die Leidenschaft zum Sportklettern über ein reines Hobby hinausgeht und lange Zeit den Lebensinhalt des Paares darstellte. Als Kletterprofis gehört die Liebe zur Natur nämlich ebenso zu ihrem Alltag wie die Nähe zu Wänden aus schroffem Gestein. Auf Umwegen fanden die beiden dann eine weitere Leidenschaft: die Liebe zum Holzbau.  

Unter den Top 50 in Österreich

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Andrea Maruna und Bernhard Fiedler, Bauherrschaft: „Die Vorteile von Holz sprachen für sich und das einzigartige Gefühl, in so einem Holzhaus leben zu dürfen, hat uns nicht mehr losgelassen.“ © Bernhard Fiedler

Der 40-jährige Bernhard Fiedler, AHS Lehrer für Sport und Physik, klettere „schon ewig“, wie er erzählt. „Aber erst, als ich 13 war, ist der Funke übergesprungen. Ab dann bin ich jeden freien Moment am Felsen gehangen. Das hat mich immer schon mehr gereizt als reines Hallenklettern. Zur Zeit der Matura bin ich meinen ersten 8c geklettert und hatte bald erste Sponsoren.“ Fiedler zählt zu den 50 besten Sportkletterern in Österreich. Drei Mal hat er bei Weltcups teilgenommen, mit knapp 23 Jahren war dann Schluss mit Wettkämpfen. „Ab diesem Zeitpunkt habe ich begonnen, mich auf schwere Routen zu konzentrieren – am liebsten in Verbindung mit Fernreisen und bei Erstbegehungen“, berichtet er. Man müsse für eine Erstbegehung aber nicht immer in die Ferne schweifen. Eine Stunde von Wien reiche völlig. Im Höllental, auf der Hohen Wand, der Rax oder dem Schneeberg gebe es viele Felsen, auf denen noch keiner geklettert sei. Beliebtes Reiseziel für Fiedler ist auch das Bundesland Salzburg, ursprüngliche Heimat seiner Frau und Bergführer-Revier seines Schwiegervaters. Andrea Maruna, Sportwissenschaftlerin und Physiotherapeutin, ist erst mit 19 Jahren zum Sportklettern gekommen. Ihr Niveau hat sich aber sehr schnell gesteigert. „Andrea klettert im oberen 10. Grad“, ist Fiedler stolz. Drei bis vier Tage in der Woche habe man sich deshalb im Haus der Schwiegereltern aufgehalten, um in den Felsen der Salzburger Bergwelt „hängen“ zu können. Mit dem Traum vom Eigenheim, der ab Herbst 2016 zur Realität werden sollte, wurde der Lebensmittelpunkt des Paares jedoch wieder mehr nach Wien verlagert.

Aus alt mach neu

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Das Haus von Fiedler und Maruna zieht zahlreiche Blicke auf sich und wird von Passanten oft bewundert. © Bernhard Fiedler

Die Liebe zum Sport hat auch Bauherren und Architekten zusammengeführt. „Über das Universitäts-Sportinstitut Wien habe ich Sebastian Haumer kennengelernt“, berichtet Fiedler. Haumer ist Gründungsmitglied von JOSEP, einem jungen, interdisziplinären Team aus Wien, das in den Bereichen Architektur, Interior, Industrial- und Grafikdesign arbeitet. Gemeinsam wollte man damals das Grundstück besichtigen und über eine Revitalisierung des Altbestandes sprechen. Schnell war klar, Altes muss Neuem weichen. „Schon während des ersten Treffens stellte sich heraus, dass die Substanz des Bestandsgebäudes nicht erhaltenswert ist. Gemeinsam haben wir den Abriss beschlossen und sind an die Planung eines neuen Einfamilienhauses gegangen“, erinnert sich JOSEP-Architekt Jochen Kreuter. Aus Nachhaltigkeitsgründen haben die Architekten gleich den Bau eines Holzhauses angedacht, mussten bei den Bauherren aber erst Überzeugungsarbeit leisten. „Fiedler und Maruna waren unserem Vorschlag zunächst etwas abgeneigt, weil sie bei einem Holzbau eher Bilder von alten, urigen Almhäusern im Kopf hatten. Das Thema Brandschutz musste auch erst diskutiert werden. Glücklicherweise konnten wir unter anderem den Umbau einer Gärtnerei in Mödling in Holzbauweise vorweisen. Diese Referenz überzeugte auf ganzer Linie“, so Kreuter weiter. Die JOSEP-Architekten haben sich zudem auf die Neuinterpretation alter Berghütten und Heuschober spezialisiert. Ein gemeinsamer Lokalaugenschein in Mödling brachte schließlich Klarheit. „Die Vorteile von Holz sprachen für sich und das einzigartige Gefühl, in so einem Holzhaus leben zu dürfen, hat uns nicht mehr losgelassen“, sagt die Bauherrschaft. Auch andere Bedenken, wie „teurer” und „aufwändiger in der Planung”, waren schnell aus dem Weg geräumt. „Ganz im Gegenteil“, wirft der Architekt ein. Er ist bekennender Holzbaufan und kann allen Häuslbauern nur raten: „Wer mit Holz baut, ist immer auf der sicheren Seite. Die Zimmerei arbeitet im Werk mittels moderner CNC-Maschinen absolut präzise. Das erspart später ein böses Erwachen und beschleunigt die Baustellenphase enorm.“ Im Fall von Fiedler und Maruna konnte der Holzausbau innerhalb von drei Tagen montiert werden.

Darf's ein bisschen moderner sein?

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Auch in den Innenräumen legten die Bauherren viel Wert auf natürliche Baustoffe. Diese Holztreppe führt ins erste Obergeschoss.
© Bernhard Fiedler

Holzhäuser wurden in den Alpen traditionell auf ein Fundament aus Stein gestellt. So war das Holz vor Feuchtigkeit von unten geschützt und die Konstruktion damit beständiger. Was unsere Vorfahren schon wussten, wenden Kreuter und Haumer auch heute noch an. Nur die Ausführung darf moderner, ein bisschen weniger traditionell sein. Statt auf Stein sitzt die Holzkonstruktion auf einem Betonsockel, wie beim vorliegenden Projekt. „Das Haus ist aufgrund einer leichten Hanglage teilweise unterkellert. Auf der Kellerdecke steht ein Holzriegelbau aus heimischem Fichtenholz mit Brettsperrholzdecken.“ In den Innenräumen wurden die 5 cm-Installationsebenen unterschiedlich verkleidet. Während im Erdgeschoss alle Wände mit Gipskarton beplankt wurden, sind die Installationsebenen im Obergeschoss mit Dreischichtplatten versehen. Mit weiß pigmentiertem Öl behandelt, passen die Wände und Decken zum hellen Eschenholz der Böden und zu den Einbaumöbeln. Große Fensteröffnungen bringen viel Licht in den Innenraum. Für den Holzbau zeichnete das Familienunternehmen Kreiseder aus dem niederösterreichischen Seibersdorf verantwortlich. „Der Holzbau ist außen wie innen als solcher erlebbar. Von der Lärchenfassade über die Terrasse bis hin zu den mit Holz verkleideten Wand- und Deckenflächen, die sich in großzügiger Höhe – gleich zwei überhängenden Felswänden – am Dachgiebel zum Wohnraum schließen. Fensterrahmen aus Lärche laden zu Ausblicken und zum Verweilen ein“, freut man sich im Betrieb über das gelungene Projekt. „Die Umsetzung eines Holzbaus mit solch hohen Anforderungen und zahlreichen Sichtflächen in Holz erfordert besondere Präzision. Eine sportliche Herausforderung, der wir uns im Sinne der Zufriedenheit der Bewohner gerne gestellt haben“, ergänzt Holzbau-Meister Franz Kreiseder.

„Do it yourself“ und „Lowtech“ als Leitmotive

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Die Küche eines schwedischen Möbelherstellers wurde mit teuren Armaturen aufgewertet, beim Aufbau halfen Freunde.
© Bernhard Fiedler

Ein enger Budgetrahmen machte es notwendig, dass Familie und Freunde der Bauherren zum Helfen auf die Baustelle eingeladen wurden. So stellte sich Fiedlers Bruder als Talent im Trockenbau heraus, eine anschließende Streichparty mit guten Freunden brachte den Wänden mittels Farbe ihr schönes Weiß. Eine verhältnismäßig günstige Küche eines schwedischen Einrichtungshauses wurde mit besonderen Armaturen aufgepeppt und selbst zusammengeschraubt. „Als Dankeschön gab es nach getaner Arbeit immer Pizza“, schmunzelt Fiedler, der gerne an die schaffensfrohe Zeit vor dem Einzug zurückdenkt. „Wir würden jederzeit wieder mit JOSEP-Architekten bauen, da sie uns immer mit guten Ratschlägen zur Seite gestanden sind”, ist sich der Bauherr sicher. Die Holzfassade hat man zudem unbehandelt belassen. „Wir hielten es für eine nette Idee, dass das Haus quasi mit einem mitaltert. Deshalb haben wir uns auch an der Außenseite des Hauses bewusst für die Natur entschieden“, gibt Fiedler zu. Naturverbunden, ohne viele technische Spielereien stellt sich das Haus bis ins Detail dar. Geheizt wird über eine Luftwärmepumpe, gelüftet allerdings ganz traditionell per Durchzug mittels geöffneter Fenster. „Wir haben bewusst auf eine Raumluftanlage verzichtet und setzen auf das gute alte Fenster-auf-Fenster-zu-Prinzip“, erklärt Haumer mit einem Augenzwinkern. Und damit die Sonne im Sommer vor allem das Dachgeschoss nicht allzu sehr aufheizt, ist wie bei alten Heuschobern eine lockere, durchlässige Lattung vor der Loggia angebracht.

Den Nervenkitzel im Blut

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© Bernhard Fiedler

Apropos Loggia: Diese war im ersten Entwurf der Architekten so gar nicht vorgesehen und wurde erst auf Wunsch der Bauherren den späteren Plänen hinzugefügt. „Sie entstand aus der Idee, am höchsten Punkt des Hauses ganz nach vorne gehen zu können, um hinaus- beziehungsweise hinunterzuschauen. Mit der Holzlattung als Sichtschutz wirkt der Freibereich wie ein Wohnzimmer im Freien“, weiß Kreuter. Für Fiedler und Maruna ist diese Loggia – neben ihrem Garten – gerade in ungewissen und einschränkenden Zeiten wie diesen wichtiger denn je. „Damit können wir den Urlaub in die eigenen vier Wände holen“, freut sich Fiedler, für den die Loggia sowie der Betonvorsprung, auf dem das Haus ruht, eine Anlehnung an die Kletterei darstellen. „Eine ungesicherte Kante, zu der man immer wieder ganz nach vorne gehen kann, um die Nerven ein wenig zu kitzeln, finden wir einfach toll“, scherzt der Bauherr. Und was, wenn vorübergehende Passanten aufgrund der tollen Architektur auch einmal am Haus hängen bleiben? „Einfach klingeln. Wir sind da sehr offen und zeigen allen Interessierten gerne unser wohnliches Traumholzhaus“, ergänzt der sympathische AHS-Lehrer und Kletterprofi.

Projektdaten

Standort: Wien
Bauherrschaft: Bernhard Fiedler und Andrea Maruna
Fertigstellung: Mai 2018
Bauzeit inkl. Planung: 2016 bis 2018
Architektur: JOSEP
Holzbau: Kreiseder Holzbau
Holzmenge: 58 m3
Tragwerksplanung: KS Ingenieure
Grundstücksfläche: 756 m²
Nutzfläche: 189 m²