Thomas Rohner ist gelernter Zimmermann, Holzbau-Ingenieur, Gründer von cadwork und seit Kurzem auch Leiter des Fachbereichs Holz der Berner Fachhochschule. Für unseren diesmaligen Schwerpunkt „Blick in die Zukunft“ teilt er seine umfassende Expertise auf dem Gebiet der digitalen Prozesse und zeigt auf, in welche Richtung sich der Holzbau entwickeln wird, um für künftige Herausforderungen gewappnet zu sein.
? Herr Professor Rohner, ist aus Ihrer Sicht der Holzbau, wie er in Mitteleuropa betrieben wird, im Vergleich zu anderen Gewerken und Handwerksberufen ein eher modernes oder rückständiges Handwerk?
! Der Holzbau ist das modernste Gewerk der Baubranche. Bezeichnenderweise erwuchs diese Stärke aus einer Schwäche heraus: Der Holzbau ist eine Trockenbauweise und sollte nicht nass werden. Das heißt: alles weg von der Baustelle. Die Vorfertigung hat eine lange Tradition – von ursprünglich vorgefertigten Einzelbauteilen (Abbund) zur Elementfertigung bis zu heute bezugsfertigen Raumeinheiten (Modulfertigung).
? Was hat maßgeblich dazu beigetragen, dass sich die Branche heute so zeigt, wie sie ist?
! Die wichtigsten Schritte waren und sind die konsequente Planung und Vorfertigung. Damit wird der Holzbau wetterunabhängig, so garantiert man den Mitarbeitern gesundheitserhaltende Arbeitsplätze und schafft Qualität und Wettbewerbsfähigkeit. Vorfertigung ohne Digitalisierung und Technologisierung ist nicht denkbar, denn in einem Holzelement oder in einem ganzen Raummodul ist alles enthalten – auch die ganze Haustechnik. Diese HLKS-Elemente (Heizung, Lüftung, Klima, Sanitär) müssen BIM-kompatibel in die Holzbauproduktion einfließen. Wohnmodule, fixfertig möbliert und installiert, bieten heute eine große Chance im urbanen, alpinen und ländlichen Kontext.
? Die Digitalisierung hielt in den vergangenen Jahrzehnten selbst in den kleinsten Ein-Mann-Zimmereibetrieben Einzug. Ist es heutzutage überhaupt noch möglich, unvernetzt und analog zu arbeiten?
! Für nicht digitalisierte KMU ergeben sich tolle Lichtblicke: Alles, was digitalisiert und technologisiert werden kann, wird es. Alles, was nicht digitalisiert und nicht technologisiert werden kann, wird hingegen sehr wertvoll. Es wird immer Nischenmärkte geben, in denen mit solidem Handwerk gutes Geld verdient werden kann.
? In Österreich profitiert der Holzbau noch immer vom Argument der qualitativ hochwertigen „Handarbeit“. Der Trend geht nun auch hier in Richtung Automatisierung. Verliert dadurch das Handwerk nicht seine vorteilhafte Stellung in Bezug auf die Bauqualität?
! Im Gegenteil, es war noch nie so interessant, Zimmerer zu werden, denn noch nie konnte die Branche ihren Handwerkern ein so breites Angebot an Aus- und Weiterbildungen anbieten. „Vom Lehrling zum Professor“, lautet eines dieser Konzepte oder auch: „kein Abschluss ohne Anschluss“. Wer mit Holz bauen möchte, muss das Material kennen. Wer sein Handwerk beherrscht, wird sein ganzes Leben davon profitieren können – durch alle Wandel der Zeit hindurch. Nur dank der Technologie der vergangenen Jahrzehnte konnte der Holzbau dermaßen zulegen – im städtischen, ländlichen und industriellen Kontext. So können heute große Überbauungen, Leuchtturmprojekte, wie das Tamedia-Gebäude, die Omega-Swatch-Zentrale oder das Centre Pompidou, aber auch Brücken, Türme und Hochhäuser in Holz realisiert werden.
? Wenn die Technologisierung immer weiter voranschreitet und autark arbeitende Maschinen immer mehr Aufgaben übernehmen, bleibt dann nicht der Handwerker auf der Strecke? Wie wird der Holzbau-Meister der Zukunft aussehen?
! Das Wichtigste ist, dass wir lernen, die Technologie zu nutzen, und nicht selbst zur Technologie
werden. Der Zimmerer bringt ein Grundsetting mit, welches ihm den Umgang mit Technologie einfach macht: Er ist schwindelfrei, hat ein gutes Vorstellungsvermögen und ist ein Teamplayer. Der Holzbau-Meister und der Holzbau-Ingenieur werden künftig zu Netzwerkern mit Coachingfunktion. Ihre Kunst wird es sein, Teams, Disziplinen, Ideen und Holz zu verbinden.
? Die Berner Fachhochschule bietet seit Kurzem den neuen Studiengang „Digitale Vernetzung im Holzbau“ unter Ihrer Leitung an. Welche Schwerpunkte werden bei diesem Lehrgang gesetzt?
! Der neue Weiterbildungsstudiengang vermittelt Methodenkompetenz im durchgängigen Umgang mit digitalen Medien und Techniken im Holzbau. Damit entspricht die BFH-AHB den Entwicklungen in der (Holz-)Baubranche. Denn die Bauweise der Zukunft basiert auf Vernetzung, Lebenszyklen, Zusammenarbeit und Nachhaltigkeit. Planung, Fertigung, Montage sowie Unterhalt werden durchgängig digitalisiert. Die konkreten Lerninhalte des Studiengangs reichen von Building Information Modeling (BIM) über die digitalen Prozesse Entwurf und Planung bis hin zur digitalen Produktion mit CAD-CAM, Solid Modeling, deren Vernetzung untereinander etc.
? Manche meinen, BIM sei lediglich eine nahtlose Vernetzung und Synchronisierung digitaler Prozesse, welche schon seit Jahren etablierte Standards in den Unternehmen sind. Ist das richtig oder geht BIM darüber hinaus?
! Die BIM-Methodik realisiert Mehrwerte. Hierzu zählen beispielsweise die Planungssicherheit durch ein Koordinationsmodell mit Kontrollmethodik, die Kontrolle über Geometrie, Massen, Mengen, gesetzliche und normative Vorgaben, die Verknüpfung der Geometriemodelle mit dem Faktor Zeit und anderen Prozessen sowie eine Effizienzsteigerung und Fehlervermeidung. Zudem kann es zu keinem Informationsverlust durch Brüche im Informationsfluss kommen.
? Welche Chancen bringt diese Vernetzung mit sich?
! BIM ist eine Baukultur, welche das Bauen schneller, fehlerfreier, transparenter und kosteneffizienter macht. BIM und Industrie 4.0 ermöglichen den Austausch von Planungs- und Bauleistungen. Sie fördern also die Bündelung der Kräfte und Kompetenzen. Dadurch kann ein KMU, welches in seinen Märkten gut verwurzelt ist, Bauleistungen anbieten, an die früher nicht zu denken gewesen wäre. Die Kunst, dass alle Partner gleichwertig profitieren können, obliegt dem BIM-Koordinator.
? Ist der Holzbau beim Thema BIM innerhalb der Baubranche Vorreiter oder Nachzügler?
! Ich bin der Meinung, der Holzbau darf stolz sein, dass er betreffend BIM schon vor vielen Jahren richtige Weichen gestellt hat – in der dualen wie akademischen Ausbildung, aber auch in der Umsetzung in den Betrieben. Je höher der Vorfertigungsgrad wird, desto komplexer und gewerkübergreifender wird die Fertigung. Diesbezüglich ist der Holzbau immer noch voll in der Entwicklungsphase.
? Bitte zeichnen Sie zum Abschluss ein gedankliches Bild der Zukunft. Wie könnte sich aus Ihrer Sicht ein wahrscheinliches Szenario darstellen?
! Die zukunftsorientierten Paradigmen des Holzbaus schöpfen ihre Innovationskraft aus dem hybriden Kombinieren von Tradition, Technik, Effizienz und Bildung. Die Bauweise der Zukunft basiert auf Vernetzung, Lebenszyklen, Zusammenarbeit und Nachhaltigkeit. Die Planung, Fertigung, Montage und Unterhalt werden durchgängig digitalisiert. Neben dem Neubau wird die Ertüchtigung des bestehenden Gebäudeparks bezüglich Energieeffizienz, Erdbeben-, Brand-, Schall-, Feuersicherheit, Generationenkompatibilität und Gebäudesteuerung sehr große Märkte für den Holzbau eröffnen.
Laubholz wird zunehmend wichtiger für Hochleistungsbauteile oder im Bauen für Allergiker. Die Forschung beschäftigt sich auch mit der „Programmierbarkeit“ von Holz, sprich man modifiziert Holz so, dass es nicht mehr verrottet, nicht mehr brennt, magnetisiert wird oder gar Energie erzeugen kann.
Besten Dank für das aufschlussreiche Gespräch, Herr Rohner!