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Gebaut von jungen für junge Menschen: das „Bilding“ in Innsbruck.  © Günter Wett

Aus dem Lehrkorsett für Ideenraum

Ein Artikel von Redaktion | 19.07.2016 - 14:53


Kreativität entsteht dort, wo gängige Denkmuster verlassen und Raum für Außergewöhnliches geschaffen werden. Viel zu kurz kommen diese beiden Gegebenheiten heute oft in der Alltagsrealität von Kindern und Jugendlichen, aber auch im engen Lehrkorsett von Studenten. Gleich in doppelter Hinsicht zeichnet sich deshalb das jüngste Projekt des Instituts für experimentelle Architektur ./studio3 an der Universität Innsbruck aus, das sich dank zahlreicher Unterstützer gegen Konventionen stellt und Raum für Ideen schafft. Ein Holzbau ist Ausdruck dafür.

Wenn der Architekturstudent Niklas Nalbach am Innsbrucker Rapoldipark vorbeiradelt, dann zaubert es ihm wie von selbst ein Lächeln ins Gesicht. Der Grund dafür ist „Bilding“, ein im Kollektiv entstandener Holzbau, der seinem Entwurf entstammt und im Herbst vergangenen Jahres seinen Bauabschluss fand. Die Vorarbeit leisteten Arno Ritter mit dem Verein „aut. architektur und tirol“ und Monika Abendstein, die mit ihrer „KUNSCHTschule“ bislang einem Nomadendasein frönte. Die „Kunscht“ von Abendstein liegt darin, Kinder und Jugendliche im Alter zwischen vier und 19 Jahren in Form von kostenlosen Kursen und Workshops für Kunst und Architektur zu begeistern sowie ihnen kreative Entfaltungsmöglichkeiten zu bieten – dies bis vor Kurzem an wechselnden Standorten. Doch das Wanderdasein sollte ein Ende finden. Diese Idee keimte schon lange, die Realisierung ließ allerdings etwas auf sich warten.

Unternehmen spenden Leistung

Aus 17 Projekten, die im Rahmen einer zweisemes-trigen Bachelorarbeit – betreut von Walter Prenner, Verena Rauch und Wolfgang Pöschl – vorgeschlagen wurden, wurde Niklas Nalbachs Entwurf zur weiteren Bearbeitung ausgewählt. Damals stand schon fest, dass Binderholz die Brettsperrholz-Elemente liefern und Schafferer Holzbau die Montageleitung übernehmen würde. Teilleistungen kamen dabei kostenlos. Auch etliche weitere regionale Spender beteiligten sich am gemeinnützigen Vorhaben. Schlussendlich ist es der Entwurfs- und Aufbauarbeit von Studierenden des ./studio3, zahlreichen Unternehmen und der unentgeltlichen Leistung von Statikern, Architekten und Fachplanern zu verdanken, dass mit dem Holzbau begonnen werden konnte.

Das „Bilding“, eine Wortkombination aus Bild und Ding, eröffnete schlussendlich im Herbst vergangenen Jahres auf einem von der Stadt Innsbruck temporär zur Verfügung gestellten Grundstück. Auf Anhieb waren Veranstaltungen, wie die „Kleine Architekturwerkstatt“ oder die „Projektwerkstatt Grafikdesign“, ausgebucht. Die Kurse sind mit öffentlichen Förderungen subventioniert und für Kinder kostenlos.

Begeisterung trägt Projekt

Bis es so kommen konnte, war einiges an schweißtreibender Vorarbeit nötig. Die Studenten übernahmen die komplette Ausführungsplanung und verbrachten monatelang Tag für Tag auf der Baustelle. Sie machten es mit ihrem Arbeitseinsatz erst möglich, dass das „Bilding“ in knapp fünf Monaten kostengünstig und mit einfachen Mitteln realisiert werden konnte. „Sie brannten für das Projekt. Und umgekehrt war es auch für die Studenten eine sehr wertvolle Erfahrung, denn die Arbeit nahm ihnen den Respekt vor der tatsächlichen Umsetzung und dem Bau selbst“, erklärt Verena Rauch, die das Vorhaben von Anfang an als Universitätsassistentin begleitete. „Zu diesem Zweck übertrugen wir ihnen auch absichtlich viel Verantwortung. Allerdings muss man dazusagen, dass ich mit der Holzbauweise bereits als Studentin Erfahrungen bei einem Kindergarten in Afrika machen durfte. Eine derartige Möglichkeit wollte unser Institut auch heuer wieder den Studenten der Uni Innsbruck eröffnen.“ So fanden auch beim Holzbau im Rapoldipark alle Beteiligten je nach Talent und Kompetenz ihr Aufgabengebiet in Kleingruppen.

Gegen den rechten Winkel gesträubt

Die Frage, ob es aufgrund all der Verantwortung auch schlaflose Nächte gab, verneint Student Niklas Nalbach. Nächtelange Diskussionen in Bierbegleitung dagegen schon. Das Endergebnis kann sich jedenfalls sehen lassen. Die äußere Erscheinungsform spiegelt ganz wunderbar das Innenleben des Werkstättenbaus wider. Mehrere ineinander verschachtelte Bauteile sträuben sich gegen den rechten Winkel. Man könnte fast meinen, die Baukörper probieren sich aus, so wie es von den Benutzern, den Kindern und Jugendlichen getan wird. Spitz zusammenlaufende Ecken, schräge Fensterflächen und Niveauunterschiede des Fußbodens machen das Rauminnere zum Ort des Erlebens.

So hat Raum für Ideen auszusehen. Drinnen finden sich groß proportionierte, nicht voneinander getrennte Räume. Alles ist aus Holz – die Wände, die Decken, die Möbel. Was die Kinder von der Innenraumgestaltung halten? „Das Gebäude ist ganz aus Holz und hat keine Zimmer“, lauten die begeisterten Meinungen. Die Wände bestehen aus 10 cm dicken Brettsperrholz-Elementen, die Decken sind 20 cm stark. Unter Anleitung von zwei Zimmerern von Schafferer Holzbau brachten zahlreiche Beteiligte die Schraubverbindungen an und fixierten die einzelnen Elemente. In nur fünf Tagen stand der Rohbau. Nur nach unten hin ist das Konstrukt gedämmt. Diese Entscheidung resultierte hauptsächlich aus Kostengründen. Eine Zwei-Scheiben-Verglasung mit Sonnenschutzschutzbeschichtung hält die Sommerhitze ab. „Innen herrscht ein ganz angenehmes Klima“, berichtet Verena Rauch aus eigener Erfahrung. „Über den Energieverbrauch wissen wir natürlich erst nach mehrjährigem Praxistest exakt Bescheid.“ Als allumfassende Hülle dient eine weiße, hochpolymere Abdichtungsbahn, die am Dach mechanisch gesichert und an den Wänden nahtlos verschweißt ist.

Baukörper mit Schwung im Park

Offen gestaltet sich das Innenleben des Sonderbaus – offen für Entfaltung. Und draußen erschließt sich das Konzept dem Bauort. Raumhohe Glasfronten verbinden den geschwungenen Baukörper mit der Landschaft. Vorgelagerte Terrassen und die Rundumbepflanzung schaffen einen sanften Übergang zum angrenzenden Park.

„Als Sonderbau ist das ‚Bilding‘ als weiterzudenkendes Konstrukt anzusehen, als Werkzeug. Uns beschäftigt es durchaus, experimentelle Architektur auf kostengünstiger Basis weiterzuentwickeln“, fügt Rauch am Ende hinzu. Den ersten Beweis, dass auch mit knappen Ressourcen abseits von Standardarchitektur wertvoller Kulturraum geschaffen werden kann, trat man mit dem außergewöhnlichen Werkstättengebäude allemal an. Auf eine Fortsetzung darf man gespannt sein.

Projektdaten:

Standort: Innsbruck
Fertigstellung: 2015
Entwurf: Niklas Nalbach
Umsetzung: Studierende des ./studio3
Holzbau: Studierende & Schafferer Holzbau
Systemlieferant: Binderholz
Nutzfläche: 240 m2