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Der erste sechsgeschossige Holzwohnbau der Steiermark: Auf dem Areal der ehemaligen Hummelkaserne in Graz stehen seit Juli 2016 vier dieser Passivhäuser.  © Paul Ott

Grüne Lunge Graz

Ein Artikel von Redaktion | 10.03.2017 - 11:22

Dort, wo früher Soldaten ausgebildet wurden, entstand der erste sechsgeschossige Holzwohnbau der Steiermark. Die vier Passivhäuser am städtischen Areal der Grazer Hummelkaserne wurden von sps-architekten geplant, verfügen über jeweils 23 Wohnungen und sind nach den modernsten technischen Standards ausgerüstet. Insgesamt wurden 1600 m3 Brettsperrholz verbaut.

Anfang November 2016 fand in Graz auf Initiative von Wohnbaulandesrat Johann Seitinger ein Symposium zum Thema „Zukunft Wohnen – ein Dach überm Kopf oder mehr?“ statt. Mit renommierten Fachexperten aus den Bereichen Ethik, Raumordnung, Architektur und gemeinnütziger Wohnbau diskutierte man dabei über aktuelle Entwicklungen und Trends. Die Wohnformen von morgen würden zum bunten Spiegelbild der vielfältigen individuellen Lebensstile, lautete der allgemeine Konsens.

Gerade im Wohnbau gelte es, sich den geänderten Lebensbedingungen der Menschen zu widmen. Die Wohnungen der Zukunft müssen sich den Bedürfnissen der Menschen – vom Single über Familien bis hin zu aktiven Senioren – anpassen, flexible Grundrisse aufweisen und vor allem leistbar sein. Im Anschluss an das Symposium wurden hervorragende Projekte aus den Bereichen „geförderte Sanierung“ und „geförderter Neubau“ prämiert. Unter den Siegern fand sich auch der Salzburger Architekt Simon Speigner (sps-architekten) mit seinem Projekt Hummelkaserne Graz. Kein Wunder, hat der Planer doch gemeinsam mit Kaufmann Bausysteme als Generalübernehmer und der ENW Gemeinnützige Wohnbaugesellschaft als Bauherr auf einem Teil des riesigen Areals im Südwesten von Graz den bisher höchsten Holzwohnbau Österreichs errichtet. „Dass hier mit Holz gebaut wurde, freut mich sehr. Holz hat Zukunft“, kommentierte Wohnbaulandesrat Johann Seitinger bei der Preisverleihung mit Nachdruck.

Die Qualität muss stimmen

Zudem ist es der erste sechsgeschossige Holzwohnbau der Steiermark. Die für das Projekt verwendeten Brettsperrholz-Elemente binden den CO2-Jahresverbrauch von 160 Steirern – ein Segen für das Klima! Was aber bringen alle diese Zahlen? „Wir sprechen hier in Superlativen, die über kurz oder lang ein Ablaufdatum haben. Gerade im Bereich Holzbau versucht man sich derzeit an immer höheren Dimensionen, nicht nur im Ausland. Wichtiger ist doch, dass die Qualität der vier Sechsgeschosser Bestand hat“, ist sich Architekt Simon Speigner des nachhaltigeren Aspekts des Bauprojekts sicher. Der Umsetzung und Fertigstellung des Bauvorhabens im heurigen Sommer ging ein geladener Wettbewerb im Jahr 2012 voraus. Auf Grundlage einer städtebaulichen Studie der Stadt Graz sollten am Areal der ehemaligen Hummelkaserne soziale Wohnbauten entstehen. Die Anlage wurde mit dem der steirischen Wohnbauförderung entsprechenden Budget errichtet. Die Einhaltung dieses Kostenrahmens musste bereits im Wettbewerb garantiert werden. Dazu aber später noch mehr.

Mehr Platz für weniger Verkehr

„Wir haben uns für eine lockere Bebauung entschieden, die in ihrem Gesamteindruck eine eher kleinteilige Wirkung erzeugt. Dadurch entstand auch genügend Platz für öffentliche Wege, Fußgänger und Radfahrer. Die Außenraumgestaltung sollte auch Bezug zum Pflegewohnheim Peter Rosegger nehmen, einem zweigeschossigen Holzbau an der Nordseite des Grundstücks, der im Jahr 2014 ebenfalls von der ENW errichtet wurde“, berichtet der Architekt. Die vier Passivhäuser verfügen über jeweils 23 Wohnungen und sind mit Photovoltaik, Wärmerückgewinnung, kontrollierter Wohnraumbelüftung und E-Tankstelle nach den modernsten technischen Standards ausgerüstet. Alle Unterkünfte sind südwestlich ausgerichtet und bieten großzügige Balkone und Terrassen. „Die einzelnen Wohnungen sind gleich aufgebaut und können innerhalb ihrer Grundstruktur durch flexible Veränderung der Zimmertrennwände leicht individualisiert werden“, so Speigner. Ein großer Vorteil heutzutage. Insgesamt besteht die Siedlung aus 92 geförderten Einheiten. Die Stadt Graz legte viel Wert darauf, dass das Areal weitgehend verkehrsfrei gehalten wird. Großzügige Fahrradräume und eine Werkstatt sollen die Anzahl der Drahtesel am Gelände ankurbeln. In den kommenden Jahren ist auch ein Straßenbahnanschluss an der Nordseite geplant. 

Sechs Geschosse in nur 30 Tagen

Die Baukörper bestehen aus betonierten Lift- und Stiegenhauskernen und Wand-/Deckenkonstruktionen aus vorgefertigten Brettsperrholz-Elementen. Dank der hohen Vorfertigung konnte man jeweils sechs Geschossen in nur 30 Tagen beim Wachsen zusehen. Beeindruckend, nicht nur für die Bewohner der näheren Umgebung. Die lokalen Medien berichteten am laufenden Band vom Grazer Leuchtturmprojekt, das Nachahmer ermutigen soll. Eine leise und saubere Baustelle war ein weiterer positiver Nebeneffekt der Ausführung in Holz. Die aktuell geltende OIB-Richtlinie ermöglicht, bis zu sechs Geschosse (inklusive Erdgeschoss) in Holzbauweise zu errichten (Gebäudeklasse 5). Die steirische Bauordnung weist allerdings eine Besonderheit auf, denn die geforderte Brandwiderstandsklasse beträgt dort nicht REI 90, sondern lediglich REI 60. „Damit hatten wir nicht nur die Möglichkeit, Holz als heimischen Baustoff zu verwenden, sondern auch die Errichtungszeit zu minimieren“, berichtet Speigner. „Zudem kam BauBuche in Form von Deckenträgern zum Einsatz, die aufgrund der besseren Eigenschaften des Laubholzes um ein Drittel niedriger als Nadelholz dimensioniert werden konnten“, fügt Speigner hinzu.

Gesetzeslage schränkt ein

In anderen Ländern, wie zum Beispiel Norwegen, ist der Einbau eines betonierten Stiegenhauskerns obsolet. Dort baut man selbst ganze Liftschächte aus Vollholz. In Graz wurde davon jedoch abgesehen. Speigner dazu: „In Österreich schränkt uns diesbezüglich leider noch immer die derzeitige Gesetzeslage ein. Baut man in anderen Ländern in Holz, setzt man oft Sprinkleranlagen ein. Diese werden bei uns aus Kostengründen aber meist abgelehnt.“ Der Architekt fügt einen weiteren wichtigen Aspekt hinzu: „Rein statisch gesehen, wäre ein betonierter Kern natürlich verzichtbar gewesen.“

Die Häuser sind mineralisch gedämmt und mit geschossweise hinterlüfteten, geschlossenen Fassaden aus vertikalen Lärchenholzbrettern versehen. Die Holzoberflächen, die im Lauf der Zeit vergrauen werden, unterstreichen den eigenständigen und zurückhaltenden Charakter der gesamten Anlage und ergänzen das Bauensemble am Areal der ehemaligen Kaserne.

9, 8 Mio. € Baukosten

Wie bereits eingangs erwähnt, musste das vom Land Steiermark zur Verfügung gestellte Budget in der Höhe von 9, 8 Mio. € für den Bau der Wohnhausanlage streng eingehalten werden. Kein einfaches Unterfangen für Planer und ausführende Unternehmen. Mit kleinen Tricks, die man nach Fertigstellung eher als architektonische Finessen betrachten würde, gelang es den Beteiligten dennoch. „Gemeinsam mit Kaufmann Bausysteme haben wir auf eine weitsichtige und kostenschonende Planung Wert gelegt.

Dennoch war es mir wichtig, dass dieser Bau ein hohes architektonisches und konstruktives Niveau aufweist“, betont der Architekt. So wurde etwa darauf verzichtet, die Oberflächen in den Stiegenhäusern zu verputzen. Stattdessen habe man die Betonwände sichtbar gelassen und gemeinsam mit Farbspezialist Ernst Muthwill ein Konzept erarbeitet, das sich durch alle Treppenhäuser zieht. „Diese Farbakzente werten nicht nur die Betonoberflächen optisch auf, sondern dienen auch zur Orientierung und erzeugen insgesamt eine helle, freundliche Stimmung in den Erschließungsbereichen.“

„Wollte Holz sichtbar belassen“

Der Beton im Außenbereich wurde beim sozialen Mietwohnbau aus Kostengründen also sichtbar belassen. Und das Holz im Innenbereich der Wohnräume? An dieser Stelle wird ein wunder Punkt beim planenden Architekten angesprochen: „Dass in den Wohnungen, entgegen der Absichten meines Büros, die Oberflächen der Brettsperrholz-Elemente nicht einmal teilweise sichtbar belassen, sondern vollständig mit Gipskartonplatten beplankt wurden, ist meiner Meinung nach einem unbegründeten Misstrauen gegenüber dem Baustoff Holz geschuldet. Hier wäre es einfacher, billiger und auch atmosphärisch vorteilhaft gewesen, meinem Wunsch nachzugehen und das Holz sichtbar zu belassen“, hält Speigner fest. Trotz dieses Wermutstropfens ist die Siedlung sowohl innen als auch außen hervorragend gelungen und gilt als ein beispielhafter Beitrag zur städtebaulichen Entwicklung in Graz.

Noch viel wichtiger ist, dass dieses Projekt aufzeigt, dass österreichischer Wohnbau in Dimensionen bis zu sechs Geschossen sowohl ökonomisch als auch technisch einwandfrei in Holz machbar ist. Man darf auf Nachahmer gespannt sein, hoffentlich bald in allen Bundesländern.

Projektdaten

Bauzeit: Januar 2015 bis Juli 2016
Bauherr: ENW – Gemeinnützige Wohnungsgesellschaft
Architektur: sps-architekten zt
Statik: merz kley partner ZT
Brandschutz: IBS – Technisches Büro
Generalübernehmer: Kaufmann Bausysteme
Holzlieferant: Mayr-Melnhof Holz
Holzeinsatz: 1600 m³ Brettsperrholz
Baukosten: 9, 8 Mio. €
Grundstücksfläche: 11.021 m²
Bruttogeschossfläche: 8000 m²
Nutzfläche: 6600 m²