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© Luuk Kramer

Der beste Brandschutz: das Holz selbst

Ein Artikel von Redaktion | 31.05.2017 - 11:21


Das höchste Holzwohngebäude der Niederlande bietet seinen Bewohnern auf einer Fläche von 5400 m2 eine Menge Raum zur individuellen Entfaltung. Eine durchdachte Konstruktion aus Holz und Verbundelementen ermöglicht selbst eine spätere Umfunktionierung in Büroräume. Ebenso konsequent wie dem Thema Nutzungsflexibilität stellten sich die Erbauer den teils selbst auferlegten Anforderungen an die Nachhaltigkeit und den Brandschutz des Gebäudes.

Wie lose übereinandergestapelt wirken die sieben Stockwerke des 30 m hohen Wohngebäudes PATCH22 inmitten eines im Umbruch befindlichen Industriegebiets in Amsterdam. Das hölzerne Hochhaus mit Douglasienfassade und großzügigen Loggien wirkt anders als seine Umgebung und zeugt gleich in mehrfacher Hinsicht vom Wandel. Einerseits ist seine Höhe, gepaart mit seinem nachhaltigen Baustoff, ein Alleinstellungsmerkmal in den Niederlanden. Gleichzeitig befindet sich seine Umgebung im Umbau: Wohnraum benötigt die Stadt derzeit dringender als Gewerbehallen, sodass für das Viertel zunächst eine gemischte Nutzung vorgesehen ist. Der dadurch zu handelnde Lärm in der Umgebung bestimmt das Umdenken der Investoren und Architekten. Sie vertrauten darauf, aus Holz ein genauso behagliches wie besonderes Heim errichten zu können, das seinerseits wandelbar ist. Bereits im Grundstückspachtvertrag berücksichtigte der Bauherr, „Lemniskade Projects“, die Möglichkeit einer späteren Umnutzung. Das Innere sollte zudem so flexibel gestaltbar sein, dass es sich problemlos in ein Bürogebäude umfunktionieren lässt. Mit einer Deckenhöhe von 4 m hat man ebenfalls vorgesorgt. Flexibilität und Nachhaltigkeit galt es bei der Planung bis aufs Äußerste auszureizen – auch um ein breites Spektrum an extravaganten Käufern anzulocken. Solche, die Wert auf eine Regenwasser-Toilettenspülung legen, finden in PATCH22 ebenso ein Zuhause wie Selbstverwirklicher, die gern jede Steckdose nach ihrem Gusto installiert wissen wollen.

Architekt Tom Frantzen, der Lemniskade gemeinsam mit Baumanager Claus Oussoren gegründet hat, begann 2009 mit den ersten Entwürfen. Im März 2016 war es so weit: Nach nur 14 Monaten Bauzeit waren bis an die Spitze getriebene Nachhaltigkeit, quasi grenzenlose Flexibilität im Innenraum und absurd einfacher, aber funktioneller Brandschutz unter ein und dasselbe einzigartige Dach gebracht. Im November bezog der Letzte – nach entsprechend langer Anpassungszeit – sein individuelles Heim.

So einfach wie genial

Die 30 m hohe Konstruktion des PATCH22 verfügt wegen der starken Windlast am maritimen Standort über ein Erdgeschoss sowie einen Stabilisierungskern aus Beton. Alle weiteren Bauteile wurden mit Brettschicht- und -sperrholz realisiert. Für Elemente mit Außenkontakt verwendete man Redwood. Tragende Wände, Säulen und Balken wurden sichtbar belassen. Die Planer dimensionierten die Holzkonstruktion derart stark, dass diese im Brandfall durch eine entstehende Kohleschutzschicht noch zwei Stunden ihren Dienst tut – so simpel wie einfallsreich. Gleichzeitig bewahrt das Mehr an Dimension – nämlich 8 cm an jeder Seite – davor, dass unnötig zusätzliches CO2 in die Atmosphäre entweicht. Optimaler Schallschutz vor störendem Nachbargewerbe ist inklusive und wird mit einer doppelten Verglasung der Loggien unterstützt. „Holz riecht einfach angenehm. Es klingt gut, ist umweltfreundlich, einfach zu verarbeiten und es zieht eine besondere, oft kaufkräftige Klientel an. Außerdem sorgt es für reichlich Aufmerksamkeit“, wie Frantzen erfahren durfte. 

Mehr als ein CO2-Speicher

Neben den Regenwasserspeichern für die Toilettenspülung sorgen Photovoltaikanlagen für eine effiziente Dachnutzung. Nicht genutzter Strom wird ins Netz eingespeist. Pellets befeuern die Heizung, welche im speziell angelegten Boden individuell verläuft. Er besteht aus hohlen Kammersektionen, deren Decklage einfach zu öffnen ist, um darunter auch alle anderen Installationen verlaufen zu lassen. So lässt sich an beliebiger Stelle eine Steckdose oder auch eine Badewanne auf der Loggia anschließen. „Um diese totale Flexibilität zu erhalten, mussten wir uns von vertikalen Schächten verabschieden und umdenken“, erklärt Frantzen. Da PATCH22 so konstruiert ist, dass die Außenwände und lediglich ein paar vereinzelte Säulen für eine sichere Statik sorgen, sind insbesondere die Wände auch der einzige Weg, um Leitungen in das nächste Geschoss zu verlegen. Auf selber Ebene wiederum sind horizontal kaum Grenzen gesetzt und es können beliebig viele – nicht tragende – Wände eingezogen werden. An eine derartige Limitlosigkeit scheint man sich als Architekt erst gewöhnen zu müssen, da in konventionellen Gebäuden durch die Anlage von Schächten zumindest grob vorgegeben wird, wo etwa das Bad seinen Platz finden soll. Dieses Projekt nimmt jedoch „lange Leitungen“ in Kauf, damit sich seine Bewohner ganz und gar mit ihren Wohnsituationen identifizieren können.

Hochhaus mit Tiefgang

Seinen Namen erhielt PATCH22 übrigens in freier Interpretation des geflügelten Worts und Buchtitels Catch-22 von Joseph Heller. Zwar steht dies eher für einen absurden Teufelskreis, doch verstehen die Namensgeber ihre Kreation eher als enorm positives Pendant dazu, das die Notwendigkeit geschlossener Konsumkreisläufe aufzeigt – bei Material und Energie. Das nächste Projekt dieser Art wird übrigens im Sommer in der Nachbarschaft in Angriff genommen. Top-Up wird ein ebenso flexibler Geschossbau und vielleicht ebenso zahlreich preisgekrönt wie PATCH22. 

Projektdaten

Standort: Amsterdam
Fertigstellung: 2016
Architektur: Frantzen et al. Architecten
Bauherr: Lemniskade Projects
Statik: Pieters Bouwtechniek
Ausführung: Korlam
Nutzfläche: circa 5400 m²
Baukosten: 6, 4 Mio. €Systemlieferant: Kielsteg