Das gute alte Fachwerkhaus, einfachste Hütten in der afrikanischen Wüste, die bei hohen Temperaturen herrlich kühle Innenräume bieten, und selbst die Chinesische Mauer: In allen diesen Bauten kommt Lehm in großen Mengen zum Einsatz.
Lehm ist einer der ältesten Baustoffe der Menschheitsgeschichte. Auch in Österreich hat er eine lange Tradition, jedoch eilt ihm ort ein schlechter Ruf voraus: „Wer früher etwas auf sich hielt, errichtete ein Ziegelhaus. Lehm galt als Arme-Leute-Baustoff. Zu Unrecht natürlich, denn aus heutiger Sicht gibt es nicht viel, das nachhaltiger und bauökologisch sinnvoller erscheint als ein Objekt in Holz-Lehm-Bauweise“, erklärt der Holzbau- und Materialexperte Andreas Breuss. Der Planer hat sein Atelier in der Wiener Künstlergasse und beschäftigt sich schon seit vielen Jahren mit den historisch gewachsenen Baumaterialien. „Lehm kommt den modernen Wohnbedürfnissen sehr entgegen. Er kann Feuchtigkeit und Gerüche binden, vor allem aber das Raumklima regeln. Durch ihre enorme Speichermasse können Lehmkonstruktionen im Sommer die Räume kühl und im Winter warm halten“, erklärt Breuss. Des Weiteren sei der Baustoff an vielen Orten ganz natürlich vorhanden. Man muss dadurch meist keine langen Wege zurücklegen und das macht so manche Diskussion über den ökologischen Fußabdruck irrelevant.
Lehm und Holz in den Himmel gehoben
Die Liste mit den Vorteilen von Lehmbauten könnte man an dieser Stelle noch lange fortsetzen. Doch Lehm alleine reicht dem 55-jährigen Planer bei seinen Projekten oft nicht. Seine zweite Leidenschaft ist das Holz. „Im Zusammenschluss zwei kongeniale Partner“, schwärmt er. Unlängst hat er beide Baustoffe über die Dächer Wiens gehoben. Mit einem privaten Dachausbau im 15. Wiener Gemeindebezirk konnte er sogar die Jury beim wienwood Award 2015 überzeugen. „Dieses Beispiel zeigt modellhaft, wie der Charakter eines leeren Dachbodens mit seiner Großzügigkeit, Materialität und Lichtstimmung sehr wohl in einen neuen, ausgebauten Zustand transformiert werden kann. Unbehandelte, unverleimte Holzbalken und Lehmwände prägen die Räume vom struktiven Ganzen bis in die Details. Alle Möglichkeiten des ökologischen Bauens sind bestechend ausgelotet: im Ansatz und in der Ausformung absolut beachtens- und nachahmenswert“, lobte die Holzbaupreis-Jury. Es ist jedoch noch immer die Ausnahme, dass Dachausbauten in Wien in reiner Holzbauweise ausgeführt werden. Breuss’ Schätzungen zufolge setzt man in 80 bis 90 % der Fälle noch immer auf eine Stahlkonstruktion. Warum das so ist, kann sich Breuss selbst nicht ganz erklären. „Viele Architekten haben wohl noch keine Erfahrung mit dem reinen Holzbau am Dach. Bevor man sich damit länger beschäftigt und auseinandersetzt, entscheiden sich eben viele für die mittlerweile zum Standard gehörende Stahlkonstruktion und wählen den einfacheren Weg“, gibt sich Breuss nachdenklich.
In zwei Wochen regendicht
„Für mich macht der Einsatz von Stahl im Dachgeschossausbau keinen Sinn, da es mit Holz allein viel schneller geht“, so Breuss, der seine Baustelle im 15. Bezirk Wiens in nur zwei Wochen regendicht machen und so auf bituminöse Abdichtungen verzichten konnte, denn diese würden den Innenraum später mit unnötigen Emissionen belasten, so seine Meinung. Damit kam der Planer auch dem Wunsch der privaten Bauherrin entgegen, gänzlich für eine schadstofffreie Umgebung in den neu geschaffenen Wohnräumen zu sorgen. Als weiteres Ziel gibt Breuss an, auch das Holz an sich – soweit möglich – in seiner natürlichsten Form einzubauen. Nur die primären Holzträger und die Wechselsparren entlang der Fensteröffnungen sind Brettschichtholz-Elemente aus verleimter Fichte. Hier hat man ein kompaktes System geschaffen, das mit seinen präzisen Holz-an-Holz-Anschlüssen gleichzeitig auch wärmedämmend ist. Für die Ausführung zeichnete Holzbau Simlinger aus Eisengraberamt in Niederösterreich verantwortlich. „Der österreichische Holzbau verfügt über sehr gut ausgebildete Fachkräfte, die sehr präzise und rasch arbeiten. Mit Holzbau Simlinger hatte ich schon ab der ersten Stunde den richtigen Partner an meiner Seite, der sowohl die gesamten Zimmermannsarbeiten als auch die Berechnung der Statik der Aufstockung übernahm. Bautechnisch konnte ich mich ganz auf das Team verlassen, was zu einer raschen Fertigstellung der Tragkonstruktion beitrug“, so Breuss.
Die BSH-Träger wurden so dimensioniert, dass der erforderliche Brandschutz trotz Sichtbauteilen gewährleistet werden kann. Die sekundäre Dachkonstruktion mit den Sparren besteht aus Fichten-Konstruktionsvollholz. Darunter liegt eine Schalung aus sägerauem Weißtannenholz. Zwischen den Sparren sorgen 30 cm dicke Holzfaserdämmplatten für die nötige Wärmedämmung. Diese haben laut Breuss einen ökologischen Vorteil und bieten zudem einen – für das Dach eines Wiener Zinshauses relevanten – besseren Schutz gegen sommerliche Überhitzung und Schallimmissionen. Bei der Gestaltung der Terrasse und der Treppe auf das begrünte Dach hat sich der Planer ebenfalls für die Weißtanne aus seiner Heimat Vorarlberg entschieden, da diese die Eigenschaft besitzt, mit der Zeit einheitlich schön zu vergrauen. Gaupen aus Glas sorgen für ausreichend Tageslicht und bieten dem Betrachter spannende Einblicke.
Holz trägt, Lehm schützt
In den Innenräumen wurde die Kombination der „kongenialen“ Baustoffe Holz und Lehm weitergeführt. Alle Trennwände des 200 m2 großen Rohdachbodens sind Holzständerkonstruktionen mit einer Ausfachung aus Lehm und Schilf. Darüber liegt ein Lehmputz, der die luftdichte Ebene darstellt. Auf Folien und Gipskarton konnte zur Gänze verzichtet werden. Fotos vom schrittweisen Wandaufbau erklären das durchdachte System im Handumdrehen: Auf die Holzschalung werden Schilfmatten aufgenagelt, die als Trägermaterial für den Lehm dienen. Auf Wunsch der Bauherrin wurde auch eine Wandheizung eingebaut. Anschließend wird die Konstruktion zwei Mal grob verputzt. Schließlich folgt durch Glättung die letzte Wandschicht aus Lehm. „Lehm ist ein vielseitiger und intelligenter Baustoff, der bei richtiger Kenntnis seiner Eigenschaften viele Funktionen übernehmen kann, etwa den luftdichten Gebäudeabschluss, die Wärme- und Feuchtigkeitsregulierung oder den Schall- und Brandschutz – Anforderungen, die üblicherweise nur mit künstlichen Baustoffen erfüllt werden“, zählt Breuss die Vorteile des Lehmbausystems auf. Erforderliche Dämmungen sind aus Holzfaserplatten und Schallentkoppelungen wurden mit Filz statt Polystyrol ausgeführt. „Mein Ziel war ein weitestgehend chemie- und emissionsfreier Innenraum, der auf das Wohlbefinden der Bewohner fokussiert ist“, so der Planer.
Raumfeuchte – kein leidiges Thema mit Lehm
Die Feuchteproduktion in Wohnräumen unterliegt starken Schwankungen, etwa durch Kochen, Duschen oder Schlafen. Damit die dadurch verursachte Feuchtezunahme der Raumluft nicht zu schwülem Innenraumklima und Schimmelbildung führt, ist es wichtig, dass die Feuchtigkeit abtransportiert werden kann. Lehmputz schafft das durch diffusionsoffene Wände und ist deshalb ideal für den Innenausbau von Dachböden geeignet, weil er als Puffer dient und über ein enormes Wärmeausgleichsvermögen verfügt. „Wichtig für den Lehmbau ist aber auch eine funktionierende Querlüftung. So kann in der Nacht die warme Luft entweichen. Für besonders heiße Tage wurden an den Fenstern intelligente Beschattungssysteme angebracht. Das Feedback der Bauherrin diesbezüglich ist durchwegs positiv. Es gibt wenige Temperaturspitzen. Das Klima in den Wohn- und Schlafräumen bleibt die meiste Zeit sehr konstant. Im Winter kann somit auch eine Menge an Heizenergie gespart werden“, weiß der Planer.
Selbst beim Estrich dem Beton keine Chance gelassen
Andreas Breuss, der den Lehrgang „überholz“ an der Kunstuniversität in Linz absolvierte und sich dort im Zuge seiner Masterarbeit intensiv mit den „Kraftbaustoffen“ des 21. Jahrhunderts beschäftigte, wohnt in der 223-Seelengemeinde Mitterretzbach im Bezirk Hollabrunn. Dort steht auch sein selbst ernanntes „Musterhaus“, für dessen moderne Sanierung er im Vorjahr sogar mit einer Anerkennung beim Niederösterreichischen Kulturpreis in der Sparte Architektur bedacht wurde. „Das 150 Jahre alte Haus hat den Anstoß für Weiterentwicklungen und neue Experimente gegeben. So entstand das Konzept für ein neues, vorfertigbares Holz-Lehm-Bausystem, das sowohl im Flach- als auch Geschossbau anwendbar ist“, erklärt Breuss. In Mitterretzbach lag auch der Ursprung für seinen ausgeklügelten Lehmestrich, der zum ersten Mal beim vorliegenden Projekt in Wien 15 zum Einsatz kam. Alles begann mit dem Aushub einer Baustelle, für den sich der Planer näher interessierte – genauer gesagt für den darin enthaltenen Lehm. Breuss holte sich das Einverständnis des Bauherrn und ließ den Lehm nach Wien abtransportieren. „Ich wollte eine Alternative zum Betonestrich entwickeln und habe mit diesem herkömmlichen Baustellenlehm erst einmal zwölf Versuche an kleinen Elementen unternommen, um das Material auf Kompaktheit und Schwindverhalten zu testen. Der Lehm hat sich für die Einbringung als Estrich als sehr geeignet erwiesen“, erzählt Breuss.
Das genaue Rezept der Lehmmischung will er nicht verraten. Die Mixtur wurde schließlich samt Fußbodenheizung zwischen Lagerhölzern eingebracht und war nach einer Trocknungsphase von sechs Wochen (genauso lange braucht ein Betonestrich für die Austrocknung) begehbar. Das tolle am Lehmestrich: Es konnte so auch in der Bodenkonstruktion auf chemiegebundene Materialien verzichtet werden. Der Holzboden aus unbehandelter, sägerauer Weißtanne wurde einfach auf den Lagerhölzern verschraubt. Auch eine Demontage und Weiterverwendung des Bodens werden so zu keinen Problemen. Darunter liegt ein diffusionsoffener Aufbau, der ebenfalls Feuchte reguliert und sich perfekt an das Innenraumklima anpasst. Damit Lehm herkömmlichen Estrich in Zukunft ersetzen kann, braucht es laut Breuss aber noch mehr Forschungsarbeit. Bisher habe man lediglich die ökologische Materialqualität nachgewiesen. „Ich würde gerne große Unternehmen mit der Produktion von Lehmestrich beauftragen. Dafür brauche ich jedoch allgemein gültige Prüfzeugnisse und Werte, wie etwa jene zum Trittschallschutz. Mein nächster Schritt wird also in Richtung Forschungseinrichtungen gehen, die derartige Tests vornehmen. Lehmestrich muss ebenfalls standardisiert werden, denn der Bedarf ist absolut gegeben“, ist sich Breuss sicher.
Kompromisslos ökologisch bis in die Dusche
Schon erstaunlich, wie viel Lebensqualität Andreas Breuss mit den zwei neuen Wohnungen zu je 55m2 und 95 m2 aus einem Rohdachboden geschaffen hat. Dabei lohnt sich ein näherer Blick auf die Bäder, denn auch dort sucht man Stein und Fliesen vergeblich. Geduscht wird ebenfalls umgeben von Holz, wobei sich natürlich die Frage aufdrängt, wie die ökologische Duschwand wohl nach einigen Jahren der Benutzung aussehen wird. Breuss setzt auch hier auf Langzeiterfahrungen und Lehm. Die Duschwand funktioniert ähnlich wie eine hinterlüftete Fassade. Die richtige Konstruktion ist hierbei entscheidend. Direkt hinter der auf Holzlatten aufgeschraubten Holzduschwand befindet sich der Lehmputz, der durch das Holz vor Spritzwasser geschützt ist. Das Wasser hinterlässt keine Spuren am Holz, solange es trocknen kann, und dafür sorgt die hervorragende Feuchtigkeitsabsorbierung des Lehms. „In diesem Bad wird deshalb auch nie ein Spiegel beschlagen sein, was echt praktisch ist“, erklärt der 55-Jährige.
„Ein Schatz, der schlummert“
Trotz aller seiner Feinheiten sei der Dachgeschossausbau in Fünfhaus „ein Schatz, der schlummert“, bezieht sich Breuss vor allem auf das geringe öffentliche Echo nach der Prämierung beim wienwood-Holzbaupreis 2015. Der Planer wünscht sich mehr Nachahmer und Interesse am Lehmbau im Allgemeinen. Schließlich seien die Baukosten für ein derartiges Projekt mit dem eines Dachbodenausbaus im gehobeneren Standard vergleichbar. „Wir sind hier weit weg vom Luxussegment, aber darum geht es heutzutage leider immer öfter“, ärgert sich Breuss. Die Wohnform auf und über den Dächern der Stadt ist äußerst beliebt, werde aber leider immer mehr rücksichtslos gegenüber dem Bestand und seiner gewachsenen Umgebung vorwiegend renditenorientiert geplant. Im Gegensatz dazu müsse das Ziel ein verträglicher Dachbodenausbau sein, der einerseits einen hohen ökologischen Wert hat und andererseits ein soziales und besonnenes Ausmaß im Verhältnis zur bestehenden Infrastruktur einnimmt. Das bedeute auch, Dachaufbauten so zu planen, dass sie den darunterliegenden Wohnungen in den Höfen möglichst wenig Sonneneinfall und Licht wegnehmen, hält Breuss fest.
Projektdaten
Standort: Wien
Fertigstellung: 2014
Planung: Andreas Breuss
Statik und Ausführung: Holzbau Simlinger
Nutzfläche gesamt: 150 m2