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Rund 70 m in der Längsachse sowie 45 m in der Querachse misst der Holzglobus des Auditoriums – 1700 individuell gefertigte Einzelelemente waren dafür notwendig.  © Laurent Blossier

Musik in meinem Brettschichtholz

Ein Artikel von Redaktion | 01.09.2017 - 08:24


Die Île Seguin am Ufer der Seine in Boulogne-Billancourt hat seit dem Frühjahr ein neues Wahrzeichen: „La Seine Musicale“. Das Musik- und Kulturzentrum trägt die Handschrift des japanischen Architekten Shigeru Ban und des Franzosen Jean de Gastines. Zuletzt arbeiteten die beiden für das berühmte Centre Pompidou-Metz zusammen. Nach knapp dreijähriger Bauzeit besteht „La Seine Musicale“ nun aus einem multifunktionalen Konzertsaal für 4000 Personen, einem Auditorium sowie Probe- und Aufnahmeräumen. Die markante Holzkonstruktion rund um den eiförmigen Musiksaal mit Solarsegel davor kommt aus Kleinheubach.

Das fast 300 m lange Neubauwerk ziert eine gigantische Glasperle. Betrachtet man das Kon-strukt ausschließlich von außen, könnte man meinen, Shigeru Ban sei von seinem Holzkurs abgekommen. Erst auf den zweiten Blick nimmt man die komplexe Gitterkonstruktion aus Fichten- und Buchen-Brettschichtholz hinter der Glasfassade wahr. Umso präsenter ist das Material im Inneren der eiförmigen Struktur. 

900 m3 BSH, 1700 individuelle Einzelteile

Die Formausprägung stellte das ausführende Unternehmen, HESS TIMBER, allerdings vor eine Herausforderung. Aufgrund der Freiformfläche der gläsernen Hülle musste der Großteil des Brettschichtholzes zweifach gekrümmt gefertigt werden. Die Handwerker lösten das Problem mit einem patentierten System des BSH-Herstellers und durch den Einsatz von 3D-CNC-Pressen: Das dreidimensionale Brettschichtholz wird dabei so gefertigt, dass die Holzfasern exakt der Geometrie des Bauteils folgen. Insgesamt verbaute man 900 m³ Brettschichtholz. Der Auftrag beschränkte sich also nicht nur auf die Produktion des Brettschichtholzes. Das Unternehmen zeichnete auch für die Planung und Montage verantwortlich. Innerhalb von rund zehn Monaten waren alle 1700 individuell gefertigten Einzelteile montiert.

Ausgeklügelte Holz-Holz-Verbindung

Zusätzliche Konstruktionsinfos hält der Projektbeteiligte Hermann Blumer von Blumer Lehmann parat: „Die Brettschichtholzstäbe sind untereinander über Holz-Holz-Verbindungen verbunden. Die Diagonalen kreuzen sich schubfest in Überblattungen. An den Stabenden der horizontalen Gurte werden gewaltige Zugkräfte im Stoß über gezackte Schäftungen mechanisch übernommen. Die dazu erstmals benutzten Nockenleisten bestehen aus hochfestem Buchensperrholz.“

Umgeben wird die Gitterkonstruktion von Solarpanelen, angeordnet in Dreicksform. Je nach Sonnenstand wandert das mobile Segel um den Holzglobus, um einerseits maximale Energieeffizienz zu erreichen und andererseits für Verschattung zu sorgen.

1000 hölzerne Sechsecke im Inneren

Aber nicht nur bei der Konstruktion rundum, auch im Inneren des Auditoriums hinterließ Ban seine Signatur. Rund tausend ornamentierte hölzerne Sechsecke zieren die Decke. An den Wänden kommen ebenfalls teils geschwungene Elemente zum Einsatz.

Dass eine solche Architektur nun auf der Insel Platz findet, war ein langwieriger Prozess. Ab 1929 errichtete Louis Renault eine Autofabrik, in der legendäre Modelle wie der R4 entstanden. 1992 schloss das Stammwerk und es folgten zwei Jahrzehnte etlicher Umsetzungsprojekte, die allesamt scheiterten. 2009 legte Architekt Jean Nouvel einen Masterplan zur Neubebauung der Insel vor. Seitdem kommen einige Ideen in Gang. Für das Aufblühen der Île Seguin ist zu wünschen, dass Pleiten und Pannen in Zukunft ausbleiben und die Insel nach dem Vorbild des „La Seine Musicale“ weiter gedeiht. 

Projektdaten

Standort: Boulogne-Billancourt/ FR
Fertigstellung: Frühjahr 2017
Architektur: Shigeru Ban,  Jean de Gastines
Tragwerksplanung: sblumer ZT
Fertigung, Werksplanung, Montage der Holzkonstruktion: HESS TIMBER
weitere Projektbeteiligte: Le Conseil Départemental des Hauts-de-Seine, Tempo Île Seguin, Bouygues Construction, TF1, Sodexo