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Geborgene Raumatmosphäre: Wie eine Oase, rundum umgeben von sich verflechtendem Astwerk, mutet die Cambridge Moschee an. Für die natürliche Belichtungdes Raums ist über jeder der aufgehenden Stützen ein Oberlicht angeordnet.  © Marks Barfield Architects

Reichlich Hirn in 30 wilden Bäumen

Ein Artikel von Redaktion | 04.07.2018 - 09:25


Keine Replik auf bestehende Moscheen sollte es werden. Die aufgeschlossene Bauherrschaft bestand bei diesem Neubau nicht einmal auf ein Minarett. Wir berichten, wie kunstvolle Architektursprache und hochtechnische Parametrik der „Cambridge Mosque“ zu Außerordentlichkeit verhalfen.

Auf einer Industriebrache an der pulsierenden Mill Road in Cambridge kommt das Gotteshaus zum Stehen. Nicht nur Befürworter hatte das Projekt zu Beginn. Durch den Einbezug der Bevölkerung, die äußerliche Anpassung an das Stadtbild mittels Backsteinfassade und die Schaffung öffentlich zugänglicher Bereiche konnte man Ressentiments letztendlich ausräumen. Die Ausführungsart in Holzbauweise und der für eine Moschee unkonventionelle Entwurf trugen natürlich zur Akzeptanz bei. Das Londoner Büro Marks Barfield Architects sorgte mit seiner Idee dafür, dass 30 „Bäume“ aus gekrümmten Brettschichtholzträgern das Moscheedach halten. Herzstück ist der 8,5 m hohe Gebetssaal mit Platz für 1000 Gläubige. Wie wild schlängeln sich die „Baumkronen“ an der Decke. Umso mehr Struktur und Organisation brauchte es in den Bereichen Planung und Produktion.

„Wegen der Kundenpräferenz, der Umsetzbarkeit
und aus Kostengründen wurde auf die
Holzbauweise umgeschwenkt“

 

Holzbau von Beginn an involviert

Schon im Massivbau wären die vielfachen, zweisinnigen Rundungen und Verschlingungen einessolchen Gewölbes erhebliche Herausforderungen gewesen. Vorerst tatsächlich als Mauerwerk geplant, wurde zu einem frühen Zeitpunkt auf die Holzbauweise umgeschwenkt. Wegen der Kundenpräferenz, der Umsetzbarkeit sowie aus Kostengründen, wie Julia Barfield, die das Architekturbüro gemeinsam mit ihrem Mann, David Marks, gründete, erzählt. „Die Idee war, dass die Stützen wie Bäume anmuten. Integraler Bestandteil war für uns der nahtlose Übergang zwischen Säule und Dach. So entstand eine einheitliche Komposition, die sowohl an das traditionelle englische Fächergewölbe als auch die islamische Tradition der geometrischen Kunst erinnert.“

Da der Gebetssaal in der Herstellung sehr anspruchsvolle, mehrfach gekrümmte Fichtenbrettschichtholzträger integriert, zogen die Architekten bereits in der Entwicklungsphase die Holzbauspezialisten Blumer-Lehmann hinzu. 2016 erhielten die Schweizer nach einer Ausschreibung endgültig den Auftrag für Holzbauplanung, Produktion und Montage. Sie beauftragten wiederum die Digitalisierungsexperten von Design-to-Production (D2P) mit der Entwicklung eines detaillierten, parametrischen CAD-Modells der Holzkonstruktion. Ausgehend von den Entwurfszeichnungen der Architekten, entstand so in enger Zusammenarbeit von Blumer-Lehmann, D2P sowie den Ingenieuren von SJB Kempter Fitze das komplett digitalisierte Vorfertigungs- und Montagekonzept der Konstruktion.

2700 Segmente, reduziert auf 145 Bauteiltypen

„Wir haben die Form so modelliert, dass der Gewölbeschub an jeder Stelle optimal ausgenutzt werden kann, was vergleichsweise kleine und vor allem an jeder Stelle gleiche Trägerquerschnitte von 160 mal 250 mm ermöglichte“, erläutert Johannes Kuhnen von D2P die Herangehensweise. „Gleichzeitig konnte die Rotationssymmetrie der Trägersegmente rund um die Stützen gewahrt werden, wodurch sich in der Produktion die Zahl der Gleichteile erhöht und trotz der freien Form eine Fertigung mit rationellen Losgrößen möglich wurde.“ Auf diese Weise ließen sich die rund 2700 Segmente auf nur 145 unterschiedliche Bauteiltypen reduzieren, die ihrerseits auf nur 23 verschiedenen Brettschichtholz-Rohlingen basieren. Diese Rohlinge hatten es allerdings in sich, wie Jephtha Schaffner, Projektleiter bei Blumer-Lehmann, erklärt: „Wir haben mit geraden, aber auch einfach und sogar zweifach gekrümmten Ausgangselementen gearbeitet, die alle fünfachsig gefräst wurden. Das erforderte eine sorgfältige Produktionsstrategie und vor allem eine Weiterentwicklung unserer Software, die wir in Teilen quasi neu geschrieben haben.“ 

Rasche Nachbestellung nicht möglich

Die anschließendend insgesamt rund 2000 m² großen Flachdachbereiche entstanden ebenfalls in Holzbauweise – als Holzrippendecken – Außen- und Innenwände überwiegend als Holzrahmenkonstruktionen. Damit galt es, neben den anspruchsvollen holzbautechnischen Lösungen auch eine logistische Aufgabe zu lösen. Denn die Bauteile des Tragwerks sowie alle Wände, Dächer und Decken wurden im Schweizer Werk vorgefertigt. Insgesamt 80 Lastwagenladungen mit knapp 3800 einzelnen Bauelementen legten die Reise von Gossau im Kanton St. Gallen ins rund 1500 km entfernte Cambridge zurück. „Nur wenn jedes Bauelement zum richtigen Zeitpunkt auf der Baustelle eintrifft, funktioniert die Montage nach Plan. Bei einem sieben Tage dauernden Transport kann man ein eventuell fehlendes Teil nicht mal eben so mit einem Anruf in der Firma nachbestellen.“

39.000 Schraubverbindungen, jede sitzt

Besondere Sorgfalt verlangte die Auswahl des jeweils richtigen Verbindungsmittels, waren doch insgesamt rund 39.000 Schraubverbindungen unterschiedlicher Art und Dimension zu berücksichtigen. Gekrönt wird der Gebetssaal von einem weithin sichtbaren, 9 m hohen Dom, der auf dem Boden montiert und dann mit dem Kran auf die Deckenkonstruktion gehoben wurde. Die seitlich an den Dom anschließenden, insgesamt rund 2000 m² großen Flachdachbereiche entstanden als Holzrippendecken, die Außen- und Innenwände überwiegend als Holzrahmenkonstruktionen. Den raumseitigen Abschluss bilden jeweils Dreischichtplatten, die einen weißen Brandschutzanstrich erhielten. Voraussichtlich Anfang 2019 wird die Moschee eröffnet.