Lebensabschnitt Holzhochhaus

Ein Artikel von Raphael Zeman | 30.10.2025 - 07:31
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© Günter Richard Wett

Die Tiroler Versicherung hat ihren Hauptsitz an der Ecke Wilhelm-Greil-Straße / Gilmstraße, mitten in Innsbruck. Da der Bestand nicht über ausreichend Platz für den prognostizierten Mitarbeiterbedarf verfügte, entschied man sich für einen Neubau und lud zu einem Wettbewerb. Dabei waren den Bauherren drei Themen besonders wichtig: die städtebauliche Einbindung, die Schaffung moderner Bürowelten und allen voran Nachhaltigkeit.

Urban, modern, nachhaltig

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Der Eingangsbereich ist über zwei Geschoße nach hinten versetzt. Dadurch ist die Tiefgarageneinfahrt besser einsehbar und die fußläufige Verbindung zwischen Bahnhof und Innenstadt attraktiver. © Andreas Schindl

„Der Standort befindet sich mitten im urbanen Raum, in der Verbindungsachse vom Bahnhof zur Innenstadt, direkt an der Einfahrt zu Innsbrucks größter Tiefgarage. Mit einem zweigeschoßigen Rücksprung im Eckbereich haben wir die Situation komplett entschärft und die fußläufige Verbindung attraktiver, die Gründerzeit wieder spürbar gemacht“, erklärt Conrad Messner, Co-Geschäftsführer von DIN A4 Architektur. Dem Wunsch der Bauherrschaft nach modernen Arbeitswelten kam man nach, indem man die Büros in den Randbereichen verortete und mittig einen hohen Flächenanteil für Kommunikationszonen schuf. Die bewusst größer dimensionierten Stiegenhäuser dienen nicht bloß der Erschließung, sondern auch der Interaktion und dem kollegialen Austausch – die Mitarbeiter sollen zur Nutzung animiert werden, anstatt immer den Lift zu nehmen. Und zu guter Letzt das Thema Nachhaltigkeit: „Die Holzbauweise, die Fassaden- und Dachbegrünungen und die großflächige Photovoltaikanlage an der Innenhoffassade sind allesamt nachhaltige Elemente. Aber Nachhaltigkeit bedeutet auch, einen Mehrwert für die Gesellschaft über die Themen Ressourcenverbrauch und Klimakrise hinaus zu schaffen, mehrwertige Räume zu generieren. So kann zum Beispiel die Mensa als Veranstaltungsort genutzt werden und die Dachterrasse verschieden bespielt werden“, erzählt Messner.

Zimmermannsmäßige Verbindungen

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© Günter Richard Wett

Mit diesem Konzept gewannen DIN A4 Architektur aus Innsbruck den Wettbewerb und fungierten fortan als Generalplaner. Bereits im Grundkonzept wurde die Holzbauweise erarbeitet und sehr früh im Entwurfsprozess eine Ausschreibung dafür erstellt, die Holzbau Saurer aus Höfen für sich entschied. Ab da entwickelte man das Gebäude zusammen und profitierte vom jeweiligen Know-how. Die anfänglich von den Architekten in Stahl geplanten Knoten beispielsweise wurden vom Holzbauunternehmen durch zimmermannsmäßige Verbindungen ersetzt und dadurch 200.000 € an Stahlteilen eingespart, verrät Messner. „Das ist ein Modell, das ich sehr positiv sehe, so etwas geht nur im gemeinschaftlichen Prozess. Wir haben immer mit dem Vier-Augen-Prinzip gearbeitet und gegenseitig die Statik kontrolliert“, so der Architekt. Auch die Bauphysik war ein Thema, vor allem was die Schallanforderungen betrifft. Hier hat man sich mit dem Bauherrn zusammen an ein sinnvolles Kosten-Nutzen-Verhältnis angenähert.

Schlanke Dimensionen schaffen Raum

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In den beiden obersten Geschoßen befinden sich die Mensa, Seminar- beziehungsweise Schulungsräume und die begehbare, extensiv wie intensiv begrünte Dachterrasse. © Günter Richard Wett

Was schließlich entstand, ist ein Achtgeschoßer, der ab dem ersten Obergeschoß in Holz errichtet wurde. Lediglich die Untergeschoße und das Erdgeschoß sowie die Stiegenhäuser und Brandschutzwände zu den Nachbarn bestehen aus Stahlbeton – der Rest wurde in Holz gebaut. Das Holzskelett wurde mit Baubuche hergestellt. Pollmeier Massivholz lieferte dafür rund 210 m³ Stützen und Träger, für Wände und Decken kamen etwa 1800 m³ Brettsperrholz der Firma Theurl zum Einsatz. „Die Idee für die Baubuche kam von der Tragwerksplanung. Durch diese Bauweise konnten wir die Stützen und Träger bis ins achte Obergeschoß schlank halten und dadurch viel Raum gewinnen. Ebenso haben wir den Boden- bzw. Deckenaufbau optimiert und so alle Geschoße mit einer Raumhöhe von 2,8 m herstellen können“, erzählt Messner.

Streitpunkt Fassadenbegrünung

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Die Hoffassade ist mit einer großflächigen Photovoltaikanlage ausgestattet, die jährlich etwa 135.000 kWh produziert. © Günter Richard Wett

Auf die Frage, ob die Kombination Fassadenbegrünung und Holzbau hinsichtlich Feuchtigkeit durch die Bewässerung eine Herausforderung war, schildert der Architekt: „Die Tiroler Versicherung wollte im Sinne des Bautenschutzes von Anfang an den modernsten Stand der Technik verbauen und eine Fassadenbegrünung realisieren. Bedenken gab es, die Bauherren und der Bürgermeister haben sich dann aber stark dafür eingesetzt.“ Generell hat das Projekt von der intensiven und motivierten Kollaboration profitiert. Architekten, Tragwerks- und Grünraumplaner arbeiteten gemeinsam daran, dass die Anforderungen an die Fassade nicht höher als bei einem „herkömmlichen“ Holzbau ausfielen. Zudem wurde über das gesamte Gebäude hinweg ein flächendeckendes Feuchtigkeitsmonitoringsystem verbaut. Die Photovoltaikfassade wiederum wurde in enger Zusammenarbeit mit dem ausführenden Schlosser entwickelt.

Doch gerade beim Hochhaus ist nicht nur die Feuchtigkeit, sondern auch der Brandschutz ein heiß diskutiertes Thema. Hier wurde bereits in der Planungsphase ein Schwerpunkt auf die Herausforderungen von Installationsöffnungen bei Wand- und Deckenelementen aus Brettsperrholz gelegt. Für die ausgewählten Brandabschottungssysteme war ein Anwendungsnachweis notwendig. Durch die frühzeitige Einbindung der Projektpartner konnten dafür eigens Brandversuche durchgeführt werden, so der Systemlieferant Theurl.

„Was in den Köpfen drinsteckt“

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Die Stiegenhäuser sind bewusst geräumig und offen gestaltet, um die Kommunikation unter den Mitarbeitern zu fördern. © Simon Rainer

„Dieses Projekt hat unglaublich Spaß gemacht“, resümiert Messner und führt aus: „Man hat ein gemeinsames Ziel definiert und miteinander am selben Strang gezogen. Alle Beteiligten haben als großes Gemeinsames agiert, sind respektvoll miteinander umgegangen. Die Bauherrschaft hat sogar eigene T-Shirts zur Verfügung gestellt, die auch tatsächlich von der Mehrheit auf der Baustelle getragen wurden. Man hat sich einfach mit dem Projekt identifiziert und einander vertraut. So wurde am Ende des Tages das gemeinsame Ziel erreicht und wir sind genau in den vorgegebenen Kosten geblieben. Da sieht man, was in den Köpfen drinsteckt, wenn alle miteinander motiviert sind. Wir alle haben uns intensiv mit dem Projekt beschäftigt, mit der Fertigstellung ist fast so etwas wie ein Lebensabschnitt zu Ende gegangen.“

Florian Saurer, Co-Geschäftsführer von Holzbau Saurer, kann dem nur beipflichten: „Der Neubau der Tiroler Versicherung zeigt eindrucksvoll, welches Potenzial im modernen Holzbau steckt. In Kombination mit gezielt eingesetzten mineralischen Baustoffen entsteht eine Symbiose, die nachhaltige, leistungsfähige und ästhetische Gebäude ermöglicht. Die Bauherrschaft, Isolde Stieg und Franz Mair, hatten ihre Vision eines nachhaltigen Gesamtprojekts – von der Bauweise bis hin zu gesellschaftlichen Themen – bis zum Schluss akribisch verfolgt. Ebenso verlief die Entwicklung und Ausführung mit allen Beteiligten äußerst positiv, harmonisch und mit viel Freude – allen voran in der Zusammenarbeit mit Conrad Messner und seinem Team von DIN A4. Das Ergebnis ist ein richtungsweisendes Vorzeigeprojekt, das Maßstäbe für zukünftige Bauvorhaben setzt.“

Der Faktor Emotion

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Der Anspruch der Architekten war kein modisches, sondern ein zeitloses, über die Jahre hinweg ästhetisches Gebäude. Großzügige Verglasungen, moderne Beleuchtung und helle Holzoberflächen sorgen für ein angenehmes Ambiente. © Günter Richard Wett

Für Messner hat sich das Projekt „ein bisschen wie früher“ angefühlt. Als er vor 30 Jahren seine Karriere begann, sei das Miteinander noch im Mittelpunkt gestanden – heute würden die meisten Firmen schon bei der Ausschreibung suchen, wo sie ihre eigenen Vorteile herausholen können. „Es werden viele junge Menschen durch Streitigkeiten am Bau verheizt. Mit Projekten wie diesem hingegen kann man Leute motivieren. Es ist schön, etwas beim Entstehen zuzusehen und nachher sagen zu können: ,Das habe ich gemacht‘.“

Emotional involviert waren auch die zukünftigen beziehungsweise jetzigen Mitarbeiter der Tiroler Versicherung. Nicht jeder sei begeistert gewesen, dass man eine „Holzkiste“ baut. „Manche hatten Angst, dass es zu nostalgisch, zu rustikal wird“, berichtet Messner. Doch das erste Holzhochhaus Innsbrucks wurde bewusst urban gestaltet, das Holz weiß lasiert. Die Baubuche mit wenigen bis keinen Ästen kam dem ebenfalls entgegen. Der Anspruch war, ein Generationenhaus zu schaffen, das nicht modisch, sondern über mindestens 100 Jahre hinweg ästhetisch ansprechend ist. Und nachhaltig, wie die klimaaktiv Gold-Zertifizierung unterstreicht.

Projektdaten

Standort: Innsbruck
Bauherr: Tiroler Versicherung
Bauzeit Rohbau und Fassade: 12/2022 – 10/2023
Bauzeit Innenausbau bis Bezug: 11/2023 – Sommer 2024
Architektur: DIN A4 Architektur
Tragwerksplanung: ZSZ Ingenieure 
Knotenstatik: Samuel Blumer
Holzbau: Holzbau Saurer
Holzmenge: rund 210 m³ Baubuche, rund 1800 m³ Brettsperrholz
Systemlieferanten: Baubuche: Pollmeier Massivholz; Brettsperrholz: Theurl Holding
Bruttogeschoßfläche: 13.000 m²