Die Büros befinden sich entlang der Fassade, während in der Mitte eine offene Kommunikationszone mit Teeküchen und Begegnungsflächen liegt. © Adolf Bereuter
Ein Rathaus ist immer auch ein Statement. Es steht für Verwaltung und Öffentlichkeit – zugleich als Ausdruck der Identität und des Selbstverständnisses einer Stadt. In Hohenems wurde 2025 ein solches Zeichen neu gesetzt. Die Entscheidung für den Neubau war nicht nur organisatorisch, sondern auch städtebaulich bedeutsam, da die Verwaltung zuvor auf mehrere Gebäude verteilt war. Im Wettbewerb setzte sich das Konzept von Berktold Weber Architekten aus Dornbirn durch, die das Rathaus als nördlichen Anker in Verlängerung der Radetzkystraße positionierten. „Uns war wichtig, eine klare Verbindung zur Altstadt herzustellen und zugleich ein Zeichen für die Zukunft zu setzen“, erklärt Architektin Helena Weber, die das Architekturbüro gemeinsam mit ihrem Partner Philipp Berktold führt. Sie führt weiter aus: „Das Rathaus entstand im Rahmen eines EU-weit ausgeschriebenen Wettbewerbs. Grundlage dafür war ein vorgeschaltetes, kooperatives Planungsverfahren, das für das gesamte Rathausquartier durchgeführt wurde. Darauf aufbauend wurde ein Bebauungsplan erstellt. Auf dieser Basis konnten wir den Wettbewerb für uns entscheiden.“ Der Standort wurde so gewählt, dass eine Achse vom Schlossplatz über die historische Marktstraße bis zum Rathausvorplatz entsteht. Dort öffnet sich eine neu gestaltete Grünfläche mit Linden, Staudenbeeten, Brunnen und Sitzgelegenheiten. Sie ist Teil eines durchdachten Freiraumkonzeptes, das sich über das gesamte Rathausquartier bis zur Parkanlage der Villa Rosenthal erstreckt. Der Außenraum wurde nicht als Beiwerk, sondern als integraler Bestandteil mit Biodiversitätsmaßnahmen gedacht. Neben Aufenthaltsqualität für Menschen werden auch im Sinne eines Animal-Aided Designs die Bedürfnisse von Tieren berücksichtigt: Fledermausnistkästen in der Fassade, reflexionsarmes Glas als Vogelschutz, ein begrüntes Dach zur Regenwasserrückhaltung.
Holz als tragende Idee
Holz prägt auch in den Innenräumen die Atmosphäre. Sichtbare Fichtenstützen und -decken treffen auf Böden und Wände aus ruhigem Eschenholz. © Adolf Bereuter
Dass das Rathaus ein Holzbau wird, stand schon im Wettbewerb fest. Für das Team um Berktold und Weber war dies eine willkommene Herausforderung. „Der Holzbau war seitens der Stadt ausdrücklich gewünscht. Wir haben die ökologischen Standards konsequent umgesetzt und konnten auf diesem Weg für den Kommunalgebäudeausweis des Energieinstitutes Vorarlberg die höchste Förderstufe erreichen. Zudem wurde das Projekt von einer Cradle-to-Cradle-Fachplanung begleitet“, berichtet Berktold. Das Gebäude ist ein durchdachter Holzbau, der Flexibilität zulässt. Vertikal tragen Fichtenholzstützen die Lasten des Gebäudes, während die diagonal verdübelten Brettstapeldecken aus regionalem Fichtenvollholz für die horizontale Stabilität sorgen. Die Decken werden durch Holzwerkstoffplatten zu stabilen Deckenscheiben verbunden. Diese Scheiben wirken zusammen mit den Holzträgern und den beiden Betonkernen aussteifend und übernehmen so die notwendige Stabilität und Steifigkeit der gesamten Konstruktion. Die Betonkernbereiche tragen zusätzlich Lasten aus Wind und Erdbeben, während Holzüberzüge im Fassadenbereich und Unterzüge in der inneren Mittelzone die Deckenelemente lagern.
Die Entscheidung für Holz war kein Selbstzweck. Sie trägt zur ökologischen Bilanz bei, bindet langfristig CO2, reduziert Transportwege und schafft eine warme, natürliche Atmosphäre. „Wir wollten zeigen, was Holzbau heute leisten kann: hohe Präzision, Robustheit und gleichzeitig Flexibilität“, so Weber. Tatsächlich ermöglicht das Stützen-Decken-System freie Grundrisse. Die Büroflächen können sich mit den Anforderungen der Verwaltung verändern – ein entscheidender Vorteil für die kommenden Jahrzehnte. „Holz ist für uns ein zukunftsfähiger Baustoff. Wir bauen so viel wie möglich in Holz“, erklärt Weber. Die Zusammenarbeit mit dem ausführenden Betrieb i+R Holzbau war laut Architektin ausgezeichnet. „Dort gibt es viel Expertise und handwerkliches Können. Bei dieser Bauweise muss sehr früh sehr genau planen, da auf die Baustelle ja nur mehr die fertigen Sichtelemente geliefert werden. Da braucht man schon Profis an seiner Seite“, betont Berktold.
Innenräume zum Wohlfühlen
Die zentrale Zone bildet auch den sozialen Kern des Hauses. Rund angeordnete, farblich fein abgestimmte Sitzinseln laden zum Verweilen und Beisammensein ein. © Adolf Bereuter
Das Rathaus hat sechs Geschoße und eine Tiefgarage. Innen folgt die Organisation einem klaren Prinzip: Die Büros befinden sich entlang der Fassade, während in der Mitte eine offene Kommunikationszone mit Teeküchen und Begegnungsflächen liegt. Transparenz und Tageslicht spielen dabei eine zentrale Rolle. Wer das Rathaus betritt, spürt sofort, dass es hier nicht um Behördengänge in sterilen Fluren, sondern um Offenheit geht. Die zentrale Mittelzone bildet auch den sozialen Kern des Hauses. Rund angeordnete, farblich fein abgestimmte Sitzinseln laden zum Verweilen und Beisammensein ein. Schon beim Betreten wird man eher an moderne Hotellobbys erinnert, die stilvoll, offen und voller Leben sind. Hier gibt es keinen Platz für steife Routine oder grauen Büroalltag. Stattdessen entfaltet sich ein warmes Ambiente, das inspiriert und fröhlich stimmt. Vertikale Lufträume vernetzen die Geschoße, Außenterrassen laden dazu ein, den Blick über die Stadt schweifen zu lassen.
Holz prägt auch in den Innenräumen die Atmosphäre. Sichtbare Fichtenstützen und -decken treffen auf Böden und Wände aus ruhigem Eschenholz. Farbig nuancierte Textilien setzen Akzente. Das Ergebnis ist ein Arbeitsplatz, der nicht nur funktional ist: „Das Rathaus ist wie eine Stadtrezeption gedacht – ein offenes Haus für die Bürgerinnen und Bürger“, sagt Berktold. Das großzügige Tageslicht, das durch umlaufende Fensterbänder in die Büros strömt, prägt das Raumgefühl. Unterstützt wird dies durch einen gesteuerten Sonnenschutz. Die Beleuchtung folgt einem spannenden Konzept: „Das künstliche Licht passt sich im Verlauf des Tages an den menschlichen Biorhythmus an und steigert so Konzentration und Wohlbefinden“, weiß die Architektin.
Lowtech als Haltung
Das Rathaus versteht sich bewusst als Lowtech-Gebäude ohne Klimaanlage. „So viel Technik wie notwendig, so wenig wie möglich“, lautete das Credo. Eine Kombination aus Wärmepumpe und Bauteilaktivierung über Gründungspfähle ermöglicht die Beheizung im Winter sowie die Kühlung im Sommer. Ergänzt wird dieses Konzept durch ein Kaskadenlüftungssystem und eine kontrollierte Nachtlüftung, die die natürliche Kaminwirkung nutzt. Ein intelligentes, außenliegendes Sonnenschutzsystem nutzt die winterlichen solaren Gewinne, verhindert die sommerliche Überwärmung und schafft optimalen individuellen Blendschutz.
Eine Fassade mit Botschaft
Von außen zeigt sich das Rathaus in einer vertikalen Wechselfalzfassade aus unbehandeltem Fichtenholz. Davor sind Lamellen gelagert, die als konstruktiver Sonnenschutz dienen, die Eigenverschattung erhöhen und zugleich Einblicke und Ausblicke rhythmisieren. Doch sie sind mehr als funktionale Elemente: In die Nordfassade sind Buchstaben eingekerbt, die sich zu einem Schriftzug fügen. Erst aus einer bestimmten Perspektive wird er lesbar: „Geburt der Gegenwart“. Der Titel eines Essays von Jean Améry, Schriftsteller und Widerstandskämpfer mit Hohenemser Wurzeln, wird so Teil der Architektur. „Es war uns wichtig, das kulturelle Gedächtnis der Stadt sichtbar zu machen und das Rathaus zu verorten. Schrift spielt hier historisch eine große Rolle. Es gibt eine aktive Literaturszene, das Literaturhaus Vorarlberg, ein jüdisches Museum, viele Autorinnen und die erste Buchdruckerei Vorarlbergs. In der Schlossbibliothek des Palastes wurden im 18. Jahrhundert Handschriften des Nibelungenliedes gefunden. Die Fassade ist somit nicht nur Hülle, sondern auch Projektionsfläche für dieses Erbe“, sagt Weber. Auch die große Rathausuhr an der Außenhaut ist mehr als Dekoration und knüpft an die Tradition öffentlicher Uhren auf Rathäusern. Zugleich ist sie uraltes Symbol für das Thema Zeit, das auch im Améry-Zitat mitschwingt.
Ein Symbol für die Zukunft
Wer sich jetzt der Hohenemser Innenstadt von Norden nähert, spürt sofort, dass hier etwas Neues entstanden ist. Das Rathaus erhebt sich wie ein klarer Orientierungspunkt und zugleich wie ein offenes Haus, das in alle Richtungen grüßt. Seine Uhr, weithin sichtbar, markiert quasi diesen Moment des Wandels hin zu einem architektonischen Statement. Es zeigt aber auch, wie Holzbau, Nachhaltigkeit und städtebauliche Qualität zusammenspielen können. Für die Mitarbeiter ist es ein inspirierender Arbeitsort, für die Bürger ein offenes Haus, für die Stadt ein identitätsstiftendes Symbol. „Geburt der Gegenwart“ – dieser Schriftzug in der Fassade ist mehr als Zitat. Er ist Programm. Das Rathaus lebt ihn als Bauwerk, das in der Gegenwart verankert ist und die Zukunft des Bauens sichtbar macht. So sichtbar, dass das Gebäude mit einem Preis beim diesjährigen Holzbaupreis Vorarlberg bedacht wurde. „Das ist für unser Büro eine schöne Anerkennung für konsequente Umsetzung und nachhaltige Planung“, so Weber. Besonders am Herzen liegt ihr aber die ökologische Dimension des Großprojekts. „Wir haben konsequent nach Cradle-to-Cradle-Prinzipien geplant, also mit Blick auf Rückbaubarkeit und Materialkreisläufe. Zudem war die Zusammenarbeit mit dem Auftraggeber sehr stabil und gut abgestimmt – politisch wie organisatorisch. Das hat wesentlich zum Gelingen beigetragen.“
Projektdaten
Standort: Hohenems
Bauherr: Stadt Hohenems
Planungsbeginn: 03/2022, Baubeginn: 09/2023,
Fertigstellung: 04/2025
Architektur und Generalplanung: Berktold Weber Architekten
Bauleitung: Albrecht Baumanagement
Holzbau: i+R Holzbau
Tragwerksplanung: gdb
Fassade: gdb Projects
Bauphysik: Hafner Weithas Bauphysik
Haustechnik: Planungsteam E-Plus
Elektrotechnik: Hecht Licht- und Elektroplanung
Brandschutz: K&M Brandschutztechnik
Cradle2Cradle: Spektrum Bauphysik & Bauökologie
Landschaft: Vogt Landschaftsarchitekten
Grundstücksgröße: 977 m²
Verbaute Holzarten: konstruktiver Holzbau & Fassade: Fichte;
Innenausbau: Esche