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Von außen sieht man dem „Haus des Lernens“ seinen ökologischen Kern gar nicht an. Dabei handelt es sich um ein Vorzeigeprojekt in Sachen ökologisches Bauen – Holzbauweise, Strohdämmung und Lehmputz inklusive. © Copyright: Rupert Steiner www.rupertsteiner.com

Strohgescheit!

Ein Artikel von Redaktion | 23.05.2019 - 10:21


Es nennt sich „Haus des Lernens“, steht in St. Pölten und besteht zu 90 % aus recycelbaren Materialien. Darüber hinaus gilt es – noch – als das größte mit Stroh gedämmte Gebäude in Österreich. 2000 Strohballen sorgen für den besten Wärme- und Schallschutz.

Stroh ist als Nebenprodukt der Landwirtschaft ein nachhaltiger und natürlicher Baustoff, der nahezu unbegrenzt verfügbar ist. Strohballen dämmen ausgezeichnet Wärme und Schall, sind in der Anschaffung günstig, sorgen in Verbindung mit Kalk- oder Lehmputz für ein angenehmes Raumklima und haben eine ausgezeichnete CO2-Bilanz. Trotzdem: Der Strohbau in Österreich fristet nach wie vor ein Nischendasein. In Europa hat im Hinblick auf den Einsatz der goldenen Halme beim Bauen Frankreich die Nase vorn. „In Frankreich existieren über 3000 Gebäude, die mit Stroh gedämmt wurden, darunter sogar ein Zehngeschosser in Holzbauweise. Zudem finden sich dort zahlreiche Unternehmen, die sich mit dieser nachhaltigen Dämmweise beschäftigen“, weiß Strohbauexperte und Architekt Erwin Schwarzmüller. Ein Grund für den relativen Erfolg des Strohbaus in Frankreich liegt seiner Meinung nach darin, dass dort im Jahr 2011 verbindliche Regeln für das Bauen mit Stroh veröffentlicht wurden, die den Charakter technischer Bauvorschriften haben. „Auch in Deutschland wurde 2014 eine Strohbau-Richtlinie veröffentlicht, die als Ergänzung zu den anerkannten Regeln der Technik zu verstehen ist und Qualitätsstandards sichern soll“, erklärt Schwarzmüller. Hierzulande fehlt ein dementsprechendes Regelwerk bislang.

Wissen um Verwendung als Voraussetzung

Dazu hemmen Vorurteile, wie leichte Brennbarkeit oder Schädlingsbefall, eine häufigere Anwendung. „Es müssen auch handwerkliche Probleme überwunden werden. Wer mit Stroh dämmen will, muss sich Wissen über eine sinnvolle und vor allem wirtschaftliche Einbringung aneignen“, erklärt Schwarzmüller. Schon während seines Architekturstudiums haben ihn ökologische Bauweisen fasziniert. Beruflich befasst er sich seit 2001 mit der Materie und war seither auch an zahlreichen Projekten beteiligt. Gemeinsam mit dem Ökologieinstitut hat der Planer 2003 die Grundlage geschaffen („Stroh kompakt“), dass der Einsatz von Stroh beim Bauen in Österreich gesetzlich erlaubt ist. „Seit 2010 entsprechen ETA-zugelassene und -zertifizierte Strohballen der OIB-Richtlinie. Dennoch sind uns die Franzosen ab 2006 in Sachen Forschung und Ausführung davongeprescht“, so der Strohforscher.

Vorzeigeprojekt soll Strohforschung ankurbeln

Um das bereits vorhandene Know-how zu nutzen und die österreichische Strohforschung sichtbarer zu machen, hat Schwarzmüller gemeinsam mit der Gemeinnützigen Sanierungs- und Beschäftigungs-GmbH (kurz GESA) im Vorjahr ein Projekt aus der Taufe gehoben, das als Leuchtturm in Sachen Strohdämmung gilt. Das „Haus des Lernens“ in St. Pölten bietet Arbeitssuchenden Beschäftigung, fachliche Qualifizierung und Beratung, um wieder am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Die Langzeitarbeitslosen erlangen dort neues Fachwissen in diversen Bereichen. Zur Errichtung des Neubaus wurde ein eigenes Projekt zur „Qualifizierung für den Umgang mit ökologischen Baustoffen“ gegründet. Dieses wurde beim Europäischen Sozialfonds in Österreich (ESF) eingereicht und vom Arbeitsmarktservice und dem Land Niederösterreich gefördert.

Werkstoff Holz ist allgegenwärtig

Das dreigeschossige Gebäude wurde von Strobl Holzbau in Holzständerbauweise errichtet und beinhaltet Büro- und Beratungs-, Seminar- und Sozialräume. „Das Nachhaltigkeitskonzept hat den reduzierten Energieverbrauch, den bauökologischen und baubiologischen Materialaspekt sowie die flexible Nutzbarkeit des Gebäudes und die Sozialverträglichkeit im Fokus. Ziel war es, den ökologischen Rucksack möglichst klein zu halten“, erzählt der mittlerweile pensionierte GESA-Geschäftsführer Johann Lechner. Seine Prämisse: „Wir bauen ein Haus, das vorwiegend aus nachwachsenden Naturbaustoffen gemacht ist. Dadurch belasten wir die Umwelt so wenig wie möglich.“ Neben Schwarzmüller, der dem Projektteam von Beginn an zur Seite stand, war Planer Martin Aichholzer von MAGK Architekten maßgeblich für das Nachhaltigkeitskonzept verantwortlich. Der Werkstoff Holz ist im „Haus des Lernens“ allgegenwärtig, spür- und erlebbar. Die Bewohner schwärmen vom angenehmen Raumklima und von der Wohlfühlatmosphäre. Im Inneren bilden Brettsperrholzelemente den aussteifenden Kern des Gebäudes. Eine Skelettkonstruktion überspannt die Querachse, wodurch eine Flexibilität erreicht wird, die eine spätere Umnutzung des Gebäudes möglich macht. „Sogar der Liftschacht ist eine Vollholzkonstruktion“, ist Lechner stolz. Die Holzständeraußenkonstruktion muss nur das Eigengewicht tragen. Sie ist mit Stroh ausgefacht und innen mit 3 cm Lehm verputzt. „Die Holzmodule kamen just in time von der Produktionsstätte an die Baustelle.

Strohhalme quer zur Richtung des Wärmestroms

„Die Dachelemente versah man zum größten Teil bereits im Holzbauunternehmen mit Strohdämmung, um eine rasche und witterungsunabhängige Montage zu gewährleisten“, so Aichholzer. Nur die Außenwandelemente wurden ungefüllt eingebaut, da die Dämmarbeiten mit 2000 Strohballen Teil der Ausbildung für die Arbeitslosen war. „Hier wurde die sogenannte CUT-Technik angewendet“, berichtet Schwarzmüller. „CUT“ steht für „Cells under Tension“. Die geprüften Kleinballen (36 cm mal 45 cm) wurden dabei per Hand von innen in jedes Gefach gepresst. Da die Wärmeleitfähigkeit von Stroh in Längsrichtung der Halme höher ist, ist es laut Schwarzmüller sinnvoll, Strohballen so einzubauen, dass die Halme quer zur Richtung des Wärmestroms liegen. In Teile der Dachkonstruktion und schwer zugängliche Auskragungen wurden vom Unternehmen Sonnenklee Strohhäcksel als Dämmstoff eingeblasen – ein Verfahren, das erst 2017 zertifiziert wurde. „Die Praxis zeigt, dass alle Ängste und Vorurteile gegen Strohdämmung unbegründet sind, denn das verputzte, dicht gepresste Stroh hat eine hohe brandhemmende Wirkung“, erklärt Schwarzmüller. Möglichen Schädlingsbefall schließt Schwarzmüller bei der luftdichten Ausführung der Putzanschlüsse an allen tragenden Bauteilen – ein „Must-have“ bei Passivhäusern – aus.

Leuchtturmprojekt mit Passivhausstandard

Die Außenhülle ist in den zwei unteren Geschossen mit einem diffusionsoffenen Putzsystem auf Holzweichfaserplatte überzogen, das Dachgeschoss mit einer Lärchenschalung. Der Passivhausstandard ist mit einem HWB-Wert von 12 kWh/m2a erfüllt. Den Heiz- und teilweise Kühlbedarf übernimmt eine Wasser-Wasser-Wärmepumpe. Der geringe Kühlbedarf der Server wird im Direct Cooling aus dem Grundwasser abgeleitet. Die Wärmeverteilung erfolgt über Wandheizungen, die in den Lehmputz eingebettet sind. Das Haus verfügt über ein intelligentes Beschattungs- und Lüftungssystem, das vor allem im Sommer eine Überhitzung vermeiden soll. Finanziert wurde das Projekt mit einem klassischen Bankdarlehen, einer Förderung des AMS, Eigenleistungen und Crowdfunding. Die vorgegebenen Baukosten von 2.36 Mio. € konnten dank des konsequenten Haushaltens aller Beteiligten eingehalten werden. „Beim Bau des neuen Gebäudes haben die Teilnehmer handwerkliche Erfahrungen mit innovativen Baumaterialien gesammelt, die sich sehr gut in ihren Lebensläufen machen. Die Teamarbeit war hervorragend, alle waren sehr engagiert und sind stolz, ein Teil dieses Leuchtturmprojektes gewesen zu sein“, erzählt Matthias Zuser, der neue GESA-Geschäftsführer, abschließend. Nun soll das „Haus des Lernens“ auf vielfältige Art und Weise andere „gescheit“ machen. Holz- und Strohbauinteressierte können jederzeit an Führungen teilnehmen oder die Seminarräume für Vorträge nutzen. „Wir hoffen natürlich auf zahlreiche Nachfolgeprojekte, damit das Bauen und Dämmen mit Stroh in Österreich auch für Klein- und Mittelbetriebe attraktiv werden“, blickt Schwarzmüller in die Zukunft.

Projektdaten

Standort: St. Pölten
Fertigstellung: 2018
Bauherr: GESA
Architektur: MAGK Architektur, Erwin Schwarzmüller
Holzbau: Strobl Holzbau
Holzmenge: 450 m3
Einbringung Baustroh: Sonnenklee
Nutzfläche: 1236 m2