Wenn sich der Erdboden mit einer Beschleunigung von 2, 7 g bewegt, wird die statische Stabilität von Gebäuden auf ihre härteste Probe gestellt. Selbst in Japan sind derart starke Beben eher selten, aber sie passieren. Der Holzbau kann für solche Herausforderungen die richtigen Lösungen anbieten. Ein neues Wandsystem aus Brettsperrholz setzt sogar völlig neue Maßstäbe auf diesem Gebiet.
Beim hier vorgestellten dreigeschossigen Gebäude, dem Stammsitz von „Wood Energy“, handelt es sich um einen der ersten Brettsperrholz-Bauten Japans. Seine 330 m2 große Grundfläche entspricht der Form eines ungleichmäßigen Pentagons. Die Außenwände wurden ganz bewusst in einem definierten Sicherheitsabstand zur umlaufenden Böschung distanziert. Die fünfeckigen Böden um den zentralen Hauskern herum werden für Büroräume genutzt. Trotz der statischen Limitierung der Holzdecken auf eine maximale Breite von 5 m entsteht in Kombination mit dem runden Raum im Zentrum der Eindruck großzügiger und weit ausladender Flächen. Zudem ermöglicht diese spezielle Anordnung eine flexible Raumgestaltung.
Japan – das Land der Erdbeben
Konstruktiv handelt es sich bei dem Gebäude um einen Hybridbau aus Holzrahmen und Brettsperrholz-Platten aus regionalem Nadelholz (Sugi). Letztere kommen aber nicht in der gesamten Tragstruktur des Gebäudes zum Einsatz, sondern nur bei den Scherwänden. Um die Besonderheit dieses Gebäudes zu verstehen, ist es nötig, über einige regionale Eigenheiten Japans Bescheid zu wissen. Eine den Charakter dieses Inselstaates am Rand des asiatischen Kontinents prägende Besonderheit ist, wie die meisten wissen, das überdurchschnittlich häufige Aufkommen starker Erdbeben. Ein Beispiel: Die während des Tohoku-Erdbebens im Jahr 2011 gemessene maximale Bodenbeschleunigung lag bei 2, 7 g. Im Vergleich dazu wurde während des bis dato letzten großen Erdbebens in Zentralitalien ein Maximum von 0, 65 g gemessen.
Die g-Kraft setzt den Maßstab
Die japanischen Bauvorschriften besagen: Spröde Gebäudekonstruktionen aus elastischen Baustoffen können einer horizontalen Beschleunigung bis zu 1 g standhalten. Gebäude mit duktilem Verhalten, wie Holzbauten, hingegen, welche die Schubenergie durch plastische Deformierung absorbieren können, sind auf eine Horizontalbeschleunigung von 0, 3 g ausgelegt. Auch wenn der Vergleich mit Österreich aufgrund völlig anderer Gegebenheiten hinkt: Die Referenz-Spitzenbodenbeschleunigung in Wien liegt bei 0, 1 g.
Die japanischen Gebäuderichtlinien definieren einen eindeutigen Standard für Scherwände in der Anwendung bei klein dimensionierten Holzbauten (ein- bzw. zweigeschossige Holzrahmenkonstruktionen mit weniger als 500 m2 Nutzfläche). Laut den Vorgaben für Erdbebensicherheit von 1981 stellen mit Sperrholz und OSB ummantelte Wände jene Konstruktionen mit der höchsten Scherfestigkeit dar (9, 8 kN/m bei einem Deformationswinkel von 1/120 rad). Mit anderen Worten: Eine seitliche Last von 1 t deformiert eine 3 m hohe und 1 m breite Wand nur um 2, 5 cm. Mit dieser regulativen Vorsichtsmaßnahme sollen Japans Gebäude erdbebensicher gemacht werden.
BSP-Wandsystem ist viermal so stark
Das neue, extra für das „Wood Energy“-Bürogebäude entworfene Wandsystem ist eindeutig noch widerstandsfähiger: Die Scherfestigkeit unter einem Deformationswinkel von 1/120 rad erreicht einen Wert von 40 kN/m – das entspricht einer viermal so hohen Leistungsfähigkeit als die jener Wandsysteme, die in der Gebäuderichtlinie definiert werden. Der erprobte Maximalwert liegt sogar bei 100 kN/m. Ohne Übertreibung kann hier von einem der stärksten bisher bekannten Scherwandsysteme gesprochen werden. Die hohe Festigkeit wird allerdings nicht nur durch die Anwendung des Baustoffs Brettsperrholz ermöglicht. Das BSP an sich ist etwas zu steif, als dass seine Deformation allein reichen würde. Auch die Ausführung der Verbindungsstellen an den Rändern der Platten – mit besonderem Blick auf die Eckverbindungen – trägt zur hohen Leistungsfähigkeit der Wände bei.
Das Geheimnis mit der Ecke
Das Konzept, das hinter diesem Tragwerk steckt, ist ebenso einfach wie originell. Anstatt das Kippen der Wände mit zusätzlichen technischen Hilfsmitteln zu verhindern, hat man sich der Systemschwachstellen selbst entledigt. Dazu wurden einfach die vier Plattenecken des BSP weggeschnitten. Da so die BSP-Platten an diesen Stellen nicht mehr mit dem umgebenden Rahmen der Konstruktion in Verbindung treten, kann ein Kippen der Wände nicht in einem Bruch der Randträger resultieren. Das BSP wird lediglich über eine Schlitz-Zapfen-Verbindung und einigen befestigenden Schrauben mit dem Rahmen zusammengehalten. Sollte es also zu einem Kippen der Wände kommen, verankern sich die Schrauben parallel zur Achse der Stützen im Holz. Das wirkt – einem duktilen Scherverhalten entsprechend – wie ein energieabsorbierender Stoßdämpfer und garantiert die hohe Scherfestigkeit, ohne dass dabei sprödes Materialversagen auftritt.
Allgemeines Holzbau-Know-how ist ausreichend
Die zusammengesetzten Wandelemente übernehmen also zwei elementare statische Funktionen: Permanente vertikale Lasten werden von den Rahmenstützen getragen, während die aussteifenden BSP-Teile erst im Ernstfall eines Erdbebens horizontal belastet werden. Daher kann für die Planung und Ausführung eines solchen Hauses allgemeines Know-how im Holzrahmenbau angewandt werden. Diese Einvernehmlichkeit mit den regionalen Gepflogenheiten des japanischen Holzbauhandwerks ist nämlich unverzichtbar für eine erfolgreiche Einführung dieser neuen Form des Bauens in Brettsperrholz.
Projektdaten
Wood Energy Headquarter
Standort: Nichinan/JP
Architektur: Yoshiaki Amino, Taiji Kawano, Yuji Yamaguchi
Tragwerksplanung: Yujiro Miyata, Chihiro Katoh