Sechs Giebel unter einem Dach

Ein Artikel von Kathrin Lanz | 09.07.2019 - 12:14
HausGables_2.jpg

© NAARO

Jedes Jahr kürt die Architectural League of New York junge, innovative, nordamerikanische Architekten und Designer. Heuer war Jennifer Bonner eine der sechs Gewinner des Preises. Nicht ohne Grund. Bonner erfindet Materialien neu, zerlegt Typologien und interpretiert ganz alltägliche architektonische Elemente – vom Giebeldach bis zur Backsteinfassade – spielerisch neu. Im Jahr 2009 gründete Bonner das Büro MALL, was für „Mass Architectural Loopty Loops“ steht. Seit heuer ist sie auch Professorin an der Harvard Graduate School of Design. Mit dem Haus „Gables“ macht die junge Architektin nun noch einmal mehr auf sich aufmerksam.

Neigung leicht übertrieben

HausGables_12.jpg

Die Asymmetrie versetzt das traditionelle Steildach in eine ungewohnte Form. © NAARO

Im Viertel Old Fourth Ward in Atlanta steht seit einigen Wochen der 204 m2 große Neubau in Brettsperrholzweise. Der Name kommt nicht von ungefähr. Markant falten sich sechs Giebel über die Wohnfläche zu einem einzigen Dach zusammen. Im Versuch, räumliche Paradigmen der Vergangenheit, wie „das freie Denken im Raum“ von Le Corbusier und Adolf Loos, zu überarbeiten, verleiht Bonner dem Dach die Aufgabe der Strukturgebung. „Räume folgen dem First. Das Dach legt den Grundriss fest“, erklärt Bonner. Die Asymmetrie versetzt das traditionelle Steildach damit in eine ungewohnte Form und verleiht dem Innenraum spannende Höhen und Tiefen. „Die Giebeldächer verschaffen dem eigentlich recht kompakten Gebäude einen geringen Fußabdruck  und eine luftige Höhe, die mit viel natürlichem Licht erfüllt ist. Die Neigung ist leicht übertrieben. „Ich habe einige Jahre damit verbracht, diese Ideen zu konzeptionieren“, erzählt sie einem Architekturmagazin. Bonners „Dachplan“ lässt sich replizieren und kann auch transformiert werden.
 

Trockenbauwand weicht Holz

HausGables_11.jpg

Architektin Jennifer Bonner
© NAARO

Das Haus steht auf einem nur 7m breiten Grundstück und misst selbst 5,5m in der Breite. Damit ist es so breit, wie ein normal großes Wohnmobil lang ist. Die untypisch schlanke Kubatur gibt damit eine Idee, wie sich Dächer in dichteren städtischen Gebieten anordnen ließen. Alle Wände und Decken des Gebäudes bestehen aus Brettsperrholz. Errichtet wurde das Haus in nur zwei Wochen. „BSP ist nicht nur erschwinglich, sondern auch langlebig und vielseitig“, begründet Bonner die Entscheidung für die Holzbauweise. „Es ist ein innovatives Holzprodukt, das eine präzise Konstruktion und eine schnelle Montage vor Ort ermöglicht. Ich war sehr daran interessiert, ein Haus zu bauen, das sich räumlich von traditionellen Einfamilienhäusern unterscheidet – und dazu gehört auch der Wunsch, die Materialität des Innenraums infrage zu stellen. Im Haus Gables wird die weiße Trockenbauwand gegen Holz getauscht.“

Brettsperrholz ist ein innovatives Holzprodukt, das eine präzise Konstruktion und schnelle Montage vor Ort ermöglicht.


Architektin Jennifer Bonner

Bunt und mutig

HausGables_4.jpg

Kontrastreich kochen: Im Erdgeschoss liegt die dunkel gehaltene, monochrome Küche. © NAARO

Für den Innenbereich verweist Bonner auf die Tradition des „Faux-Finishing“ des amerikanischen Südens durch die Verwendung kontrastierender Materialien und „Color Blocking“. Damit entstehen Trennlinien im Raum, die diesen aber nicht tatsächlich begrenzen. Es gibt kaum Türen oder Trennwände. Der ungewöhnliche Einsatz von Materialien spielt ebenso eine solche Rolle. So wird beispielsweise schwarzer Terrazzo nicht gegossen und poliert, sondern als dünne Fliese aufgetragen. Marmoroberflächen im Schlafzimmer und angrenzenden Bad bestehen aus Vinyl.

„Weil ich mich für ein Haus komplett in BSP entschied, wollte ich das Erscheinungsbild des Holzes um unnatürliche Oberflächen ergänzen“, erklärt Bonner. „Diese Materialien sind bunt und mutig.“ Zusätzlich wählte die Architektin erlesene Designstücke zur Innenraumgestaltung. Ausgewählte Arbeiten von Ray Eames, Jessica Nakanishi von M-S-D-S Studio, Stine Gam von GamFratesi Studio, Anna Castelli Ferrieri für Kartell, Annie Hiéronimus für Ligne Roset, Patricia Urquiola, Aino Aalto, Laurel Consuelo Broughton sowie Ragnheiður Ösp zieren die Räume.

Blau bis Limonengrün

HausGables_7.jpg

Die Loggia im ersten Obergeschoss wird von den markanten Dachflächen begrenzt. © NAARO

Das zweistöckige Einfamilienhaus verfügt über zwei Schlafzimmer und zwei Bäder sowie großzügige Gemeinschaftsflächen. Die Böden und die untere Hälfte der Wände sind in kräftigen Farbtönen, wie sanftem Blau und Limonengrün, gehalten und stehen im Kontrast zu dem exponierten BSP an anderer Stelle. Auf der Hauptebene befindet sich eine monochrome dunkle Küche.

Das Haus Gables setzt ein starkes Zeichen für eine inspirierte Architektur. Damit nicht genug. Bonner möchte noch mehr Zeichen setzen und den Einsatz von Brettsperrholz in Atlanta weiter vorantreiben. Gemeinsam mit weiteren Architekten möchte sie zwölf bis 15 Häuser bauen, die als Co-Housing-Bauten konventionelle städtische Wohnformen infrage stellen.

Projektdaten

HausGables_6.jpg

Haus Gables, Giebelhaus, Holzbau, Aussenansicht © NAARO

Standort: Atlanta, USA
Fertigstellung: 2019
Architektur: MALL
Holzbau: Terry Ducatt; 7 Seas Group USA
Systemlieferant: KLH
Nutzfläche: 204 m2