Antriebsmotor Holz

Ein Artikel von Birgit Gruber | 20.04.2021 - 09:36
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© Simon Oberhofer

Leistbares Wohnen ist auf der Bedürfnispyramide unbestritten ganz oben zu finden. In Zeiten einer Coronapandemie, Hunderttausender Arbeitsloser, angespannter Budgets, strikter Sparkurse, stark steigender Baukosten und niedriger Zinsen steht auch die Wohnbauförderung immer wieder unter Druck und mit ihr der soziale Wohnbau, der sich in seinem ursprünglichen Anliegen, Wohnungen für das Existenzminimum zu schaffen, konträr zu einem Wohnen des gehobenen Mittelstandes entwickelt. Die kontinuierlich nach oben gehenden Wohn- und Mietpreise verwehren so manchen Bevölkerungsschichten die Chance auf eine vertretbare Wohnausstattung. Das Grazer Nobelviertel Rosenhain im Bezirk Geidorf zählt zu den teuersten Gegenden der steirischen Landeshauptstadt und ist ein gutes Beispiel für diese Diskrepanz. Der Bezirk ist heute an einigen Stellen in der Nähe des Stadtparks und des alten Kernes sehr dicht besiedelt, vorwiegend prägen Altbauten das Stadtbild. An den Ausläufern des Rosenhaines liegt jedoch eine teilweise dünne Besiedlung vor und die Gegend zählt zu einem beliebten Naherholungsgebiet. Große, begrünte Grundstücke mit Villen sind dort die Regel. Das Café Rosenhain, ein beliebter Treffpunkt bei Jung und Alt, liegt zudem nicht nur an einem der schönsten und stillsten Plätze von Graz. Es bietet auch einen traumhaften Blick auf den Schlossberg und über die Altstadt. „Am Rosenhain werden Neubauten zwischen 6000 und 7000 € pro Quadratmeter gehandelt. Für Grazer Verhältnisse das oberste Preissegment “, weiß der Grazer Architekt Stefan Nussmüller. „Es ist ein echter Glücksfall und der Stadt zu verdanken, dass man genau dort mit der Errichtung eines geförderten Sozialwohnbaus ein klares Bekenntnis pro soziale Durchmischung abgegeben hat“, freut sich Nussmüller, der damit das Projekt in der Max-Mell-Allee anspricht. „Konkret handelt es sich dabei um Zuweisungswohnbau, der nur für jene bestimmt ist, die sich mit geringstem Einkommen dafür in Listen der Stadt eintragen und oft lange auf ein besseres Heim warten“, schärft der Architekt nach. Es freue ihn deshalb besonders, dass man genau diesen Menschen mit der Max-Mell-Allee qualitativen Wohnbau am Puls der Zeit und in ökologischer Holzbauweise anbieten kann. 

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Die 38 Wohnungen sind allesamt durchgesteckt. An der Außenfassade sind rundherum Loggien- und Balkone vorgelagert. Die zueinander versetzten vertikalen Lärchenholzroste sind Schattenspender und Sichtschutz zugleich. © Simon Oberhofer

Bis zu 30 % Holzbauanteil im Wohnbau

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Der Laubengang aus Stahlbeton lehnt sich an den Holzbau an. © Simon Oberhofer

Der vierstöckige Holzbau ist auf einem engen, dreieckförmigen Grundstück der Stadt Graz direkt an der Grenze zum Universitätsviertel und nahe dem Uni-Sportzentrum entstanden. Errichtet wurden die 38 geförderten Mietwohnungen mit einer Größe zwischen 40 und 90 m² von der gemeinnützigen Wohn- und Siedlungsgenossenschaft Ennstal als Bauträger. Noch vor der Ausschreibung eines Architekturwettbewerbs, aus dem Nussmüller Architekten als Gewinner hervorgingen, war das Bekenntnis pro Holz bereits auf Papier gedruckt. Nachdem in der Steiermark mindestens 25 % aller geförderten Wohnbauten in Holz errichtet werden müssen, fiel die Entscheidung für das Baumaterial nicht schwer. „Mit unserer nachhaltigen Forstwirtschaft und unseren innovativen Unternehmen ist die Steiermark im Holzbau führend. Neben dem Beitrag zum Klimaschutz ist der steirische Wald auch die Basis für 55.000 Arbeitsplätze. Im Wohnbau konnten wir in den letzten Jahren den Holzbauanteil bereits auf rund 30 % steigern“, freut sich Landesrat Hans Seitinger.

Wankelmotor oder Plektron?

So alltäglich mittlerweile das Material, so ungewöhnlich die Form des Neubaus. Das Architekturbüro dachte dabei an einen Wankelmotor: „Aufgrund der Geometrie des Grundstückes und unseren Anforderungen an das Projekt entstand dieser Gedanke bereits bei den ersten Modellentwürfen“, lacht Nussmüller. Den freien Journalisten Wojciech Czaja von der Tageszeitung Standard erinnert das Gebäude mit seiner ausgebeulten Dreiecksform gar an das Plektron einer Gitarre. „Auch sehr kreativ“, wie Nussmüller zugibt. Dadurch ergibt sich ein geschlossener Innenhof, der von der Erschließung des Gebäudes als offener Laubengang in Stahlbetonbauweise umrandet wird. Der Laubengang trägt allerdings nicht die Lasten des Bauwerkes ab, sondern lehnt sich lediglich an den Massivholzbau an. Darunter befindet sich ein ebenfalls konventionell gebautes Untergeschoss mit Tiefgarage, Fahrradabstell- und Kellerräumen.

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© Die Gebäudegeometrie nützt auch die Topografie: Zwei Seiten öffnen sich zu den angrenzenden Nachbarn, sodass der Zugang tiefer liegt und es zum Garten hin auf einem Niveau höher ins Grüne geht.

Im Team zum Kostenerhalt

„Was den Holzbau betrifft, hatten wir eine reine Massivholzbauweise geplant. Das eigentliche System entstand erst durch die enge Zusammenarbeit zwischen dem Bauträger, dem Holzbauunternehmen und uns. Eine Abänderung der ursprünglichen Pläne diente dem Einhalten der Baukosten, die bei einem geförderten Wohnbau mit vielen Auflagen noch strenger kontrolliert werden“, berichtet der Planer. Das Team von Strobl Holzbau aus Weiz habe tolle Arbeit geleistet. Auch Bereichsleiter Markus Kroisleitner schätzt die gute Zusammenarbeit des Triumvirates: „Wir haben eine Schottenbauweise mit Achsabständen bis zu sechs Metern und tragenden Brettsperrholz-Innenwänden aus Fichte in Kombination mit einer Holzriegelbauweise für die nichttragenden Außenwände vorgeschlagen.“ Dadurch wurde die Außenhülle dünner und die geförderten Innenflächen wurden größer. Gleichzeitig konnte Material und somit Geld eingespart werden. „Die Vorfertigung der Riegelwände im Werk brachte zudem eine enorme Zeitersparnis“, weiß Kroisleitner. Ein Novum dabei sei gewesen, dass eine Holzwand im Inneren auf Sicht gelassen wurde. „Das spricht meinen Erfahrungen nach für einen sehr innovativen Bauträger. Oft werden diesbezüglich Bedenken über eine Beschmutzung der Holzwände geäußert, die man ja nicht einfach überstreichen kann. Eine Beplankung mit Gipskarton ist deshalb immer noch die Regel“, gibt Nussmüller an. Man habe laut Architekt allerdings von Schulbauten aus Holz gelernt, dass gerade auf das natürliche und naturbelassene Material besonders gut Acht gegeben wird. Weiters erlaubt das Abtragen durch die Schotten eine nicht belastete Außenfassade. Somit waren Fensteröffnungen bis hin zu raumhohen Verglasungen frei wähl- und gestaltbar. Ein großer Pluspunkt, der lichtdurchflutete Räume zum Ergebnis hat.

Raffinierte Wohnungsgrundrisse

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Das soziale Leben im Haus findet im begrünten Innenhof statt. Die Bewohner schmücken diesen auch gerne mit Lampions oder Lichterketten. © Simon Oberhofer

Die 38 Wohnungen sind alle durchgesteckt. Durch die zweiseitig orientierten Wohnungsgrundrisse entstehen zwei Außenbereiche mit unterschiedlichen Freiraumqualitäten. An der Außenfassade sind rundherum Loggien- und Balkone vorgelagert. Die zueinander versetzten vertikalen Lärchenholzroste sind Schattenspender und Sichtschutz zugleich. Diese groß dimensionierten individuellen Freiräume erweitern die Wohneinheiten gerade in der warmen Jahreszeit spürbar. „Einkommensschwache Familien haben aus Erfahrung einen erhöhten Platzbedarf an Kinderzimmern. Gerade bei Alleinerzieherinnen ergibt sich oft das Bild, dass die Mutter im Wohnzimmer auf der Couch schlafen muss. Dem wollten wir mit flexiblen Grundrissen entgegenwirken. Auch die kleinste Unterkunft kann so abgetrennt werden, dass neben der Küche ein Extrazimmer entsteht“, ist Nussmüller stolz. Zusätzlich kann man den Laubengang unter Einhaltung der Brandschutz- und Fluchtwegbestimmungen ebenfalls als Abstellfläche, für zum Beispiel Schuhkästen, nutzen. Das soziale Leben im Haus findet genau dort und in dem durch Pflanzen – die sich mittlerweile entlang der Betonpfeiler hinaufschlängeln – begrünten Innenhof statt. Die Bewohner schmücken diesen auch gerne mit Lampions oder Lichterketten.

Gute soziale Durchmischung

In der Max-Mell-Allee wohnen heute Singles, Senioren, Alleinstehende und Familien mit vielen Kindern. Trotz der großen Anzahl an Wohnungen erlebe man laut Nussmüller eine sehr familiäre Atmosphäre. Das Miteinander und der Zusammenhalt sei spürbar. Die Gebäudegeometrie lässt die äußeren Ecken etwas zu den Grundstücksgrenzen abrücken. Dadurch öffnen sich zwei Bereiche am Grundstück zu den angrenzenden Nachbarn. Es entsteht einerseits das tiefer gelegene südseitige Ankommen, das die offizielle Adresse bildet, andererseits der höher gelegene Grünraum im Osten. Diesem Grünraum zugeordnet liegt der Gemeinschaftsraum. „Er ist eher durch die Förderbedingungen entstanden, da wir an dieser Stelle aufgrund der Lichtbedingungen keine Wohnung platzieren konnten. Mittlerweile profitiert aber das ganze Haus davon“, freut sich der Architekt. 

Das Bauprojekt in Graz hat dem Architekturbüro bereits einige Auszeichnungen eingebracht, darunter der steirische Holzbaupreis 2019 und der BigSee Architecture Award 2020. „Eine Nominierung des Projekts für den Bauherrenpreis freute uns ganz besonders“, gibt Nussmüller zu. „Alle Beteiligten – das Land als Fördergeldgeber über die Stadt bis hin zum Bauträger verdienen meinen vollsten Respekt. Es ist nicht alltäglich in einem geförderten Kontext einen Holzbau für einkommensschwache Menschen zu bauen. Diese tolle Leistung bräuchte gerade in Zeiten wie diesen mehr Nachahmer“, hält Nussmüller fest. 

Projektdaten

Standort: Max-Mell-Allee 6, Graz
Bauherrschaft: Gem. Wohn- u. Siedlungsgenossenschaft Ennstal
Baubeginn: Februar 2017
Fertigstellung: Sommer 2018
Architektur: Nussmüller Architekten ZT GmbH
Statik: Josef Koppelhuber
Holzbau: Strobl Bau – Holzbau GmbH
Systemlieferanten: Mayr-Melnhof
Holzmenge: 980 m³
Nettonutzfläche: 2500 m²