Holz vereint Sinn und Sinnlichkeit

Ein Artikel von Sven Matt | 15.02.2023 - 08:12
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Sven Matt, Innauer-Matt Architekten © Christian Anwander

Nachhaltigkeit im Holzbau definiert sich nach wie vor über den Grad der Nützlichkeit und der Ressourceneffizienz. In dieser rein technischen Betrachtung bleibt die ästhetische Qualität des Holzbaus jedoch außen vor. Auch wenn man als Architekt im Arbeitsalltag den Begriff „Schönheit“ nicht zu laut in den Mund nehmen sollte, stellt sie dennoch eine der wesentlichen Kategorien des nachhaltigen Bauens dar. Schöne Bauten bereichern ihre Umwelt, anstatt diese nur passiv zu konsumieren. Ob alt, ob neu, sie schaffen eine tiefgreifende Bindung mit dem Ort, dem Menschen und der Landschaft. Sie stiften Identifikation, sprechen den Betrachter direkt an. Die Nützlichkeit, der Gebrauch erscheinen dann wie selbstverständlich.   

Vielseitigkeit zeichnet den Werkstoff Holz aus und schöne Holzbauten wirken in der austarierten Balance ihrer Teile. Die kühne Konstruktion, die nicht nur weit spannt, sondern dies auch noch mit einer beeindruckenden Leichtfüßigkeit schafft. Die fein texturierte Holzfassade, die neben dem Schutz vor Wind und Wetter in reichhaltigen Farbschattierungen auch eine Geschichte über ihren Ort und ihren Inhalt erzählt. Die Natürlichkeit, die Wärme und der Geruch von unbehandeltem Holz sprechen die Gefühlsebene vielschichtig an. Auch die Fähigkeit von Holz, in Würde zu altern, hat einen hohen ästhetischen und somit emotionalen Wert. Einen offensichtlichen Beleg dafür liefert das besonders in der alpinen Tourismusindustrie heiß geliebte Altholz. Früher noch im „rural mining“ aus Altbauten gewonnen, kann man sich die Gemütlichkeit und Heimeligkeit mittlerweile auch verzugsfrei als Dreischichtplatte schnell an Wand und Decke spaxen. Ab hier verfällt der Begriff der Schönheit in schlichte Banalität. Der Verlust an Authentizität endet in einer schlechten Karikatur der ursprünglichen Qualität.

Gute Gestaltung erfordert ein hohes Maß an Gedanken- und Entwicklungsarbeit, handwerkliches Können und somit ausreichend Zeit – der Mehrwert entsteht durch Mehraufwand. Neben aktueller Materialknappheit und andauerndem Arbeitskräftemangel ist Zeit die wohl gefragteste Ressource unseres privaten wie beruflichen Alltags. Doch genau hier kann der moderne Holzbau seine Muskeln spielen lassen. Kaum eine Branche in der Bauindustrie hat Digitalisierung, Automatisierung und Vorfabrizierung so erfolgreich in den Fertigungsprozess integriert und dennoch das Bewusstsein für das traditionelle Handwerk nicht verloren. Hier eröffnen sich völlig neue Möglichkeiten der Gestaltung. Mehrwert muss nicht mehr nur durch Mehraufwand geschaffen werden, dem Abbundroboter und der CNC-Maschine sei Dank.  

Die „weichen“ Qualitäten, die ein Objekt oder ein Material ausstrahlt, garantieren ihm einen langen Bestand. Während sich Funktionen und Nutzungen bereits innerhalb weniger Jahre ändern können, überdauert ein schönes Gebäude, ein ästhetisches Material oder ein fein gestaltetes Objekt auch lange Zeit problemlos. Das lieblose Wegwerfmöbel hat sich schon längst als Hackschnitzel reinkarniert, während die in Würde gealterte Massivholzdiele – auf dem es einst stand – noch immer den Füßen schmeichelt. Dauerhaftigkeit und lange Gültigkeit, das ist Nachhaltigkeit im eigentlichen Sinne und darin liegt die Stärke von Holz – es vereint Sinn und Sinnlichkeit.