Weitere „Superschale“ aus Stuttgart

Ein Artikel von Kathrin Lanz | 18.07.2023 - 12:36

Der Name „Achim Menges“ und die Forschungsarbeiten der Universität Stuttgart am Institut für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung (ICD), das der Universitätsprofessor leitet, sind Interessierten längst bekannt. Seit mehr als zehn Jahren erforscht man gemeinsam mit dem ITKE (Institut für Tragkonstruktionen und konstruktives Entwerfen) hocheffiziente Tragkonstruktionen, unter anderem basierend auf den morphologischen Prinzipien des Plattenskeletts von Seeigeln. Nun entstand abermals eine „Superschale“, die am Freiburger Zentrum für interaktive Werkstoffe und bioinspirierter Technologie steht.

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„livMatS Biomimetic Shell“ besteht aus einer auf biologischen Konstruktionsprinzipien basierenden Holzleichtbauweise, die den ökologischen Fußabdruck über den gesamten Lebenszyklus im Vergleich zu einer herkömmlichen Holzkonstruktion um rund 50 % reduziert. © ICD/ITKE/IntCDC Universität Stuttgart

Vollständig rückbau- und wiederverwendbar

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Das Flächentragwerk erreicht eine stützenfreie Spannweite von 16 m bei einem Gewicht von nur 27 kg/m² Schalenfläche. © ICD/ITKE/IntCDC Universität Stuttgart

Bei dem Forschungspavillon „livMatS Biomimetic Shell“ handelt es sich um eine besonders ressourcenschonende, vollständig rückbau- und wiederverwendbare Holzsegmentschalen-Konstruktion, die sich durch die integrative Entwicklung computerbasierter Planungsmethoden, robotischer Vorfertigungs- und automatisierter Bauprozesse sowie neuer Formen der Mensch-Maschine-Interaktion im Holzbau ergibt. Wieder basiert die Konstruktion, wie schon bei vergangenen Entwürfen, auf den Prinzipien des Plattenskeletts von Seeigeln.

Im montierten Zustand wirkt die Holzschale durch ihre gekrümmte Geometrie als formaktives Flächentragwerk, das eine stützenfreie Spannweite von 16 m bei einem Gewicht von nur 27 kg/m² Schalenfläche erreicht. Das Bauprinzip sieht vor, dass die gesamte Baustruktur als solche wiederverwendbar ist, aber auch in ihren baulichen Bestandteilen sortenrein trennbar bleibt.

50 %ige Reduktion des ökologischen Fußabdrucks

Die Hohlkassetten bestehen aus einer äußeren und inneren Decklage aus Dreischichtplatten sowie umlaufenden Randbalken aus Brettschichtholz, welche als Module zusammengesetzt werden. Üblicherweise lässt der Mehraufwand in Planung und Ausführung, der mit dieser lastangepassten und geometrisch ausdifferenzierten Konstruktion einhergeht, unwirtschaftlich werden. Dies kann aber durch integrative computerbasierte Planungsmethoden, robotische Fertigung und automatisierte Montage kompensiert werden, was zu einer erheblichen Reduktion des Ressourcenverbrauchs und des ökologischen Fußabdrucks führt. „So zeigt eine ausführliche Lebenszyklusanalyse – LCA gemäß ISO 14040-14044 and EN15804 –, dass im Vergleich zu einer herkömmlichen Holzbaukonstruktion der Materialaufwand um 50 % und das Erderwärmungspotenzial – GWP – um 63 % geringer ausfällt", heißt es vonseiten der Forschenden.

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So sieht das wetterresponsive Beschattungssystem am Oberlicht aus. © ICD/ITKE/IntCDC Universität Stuttgart

Ein wetterresponsives 4D-gedrucktes Beschattungssystem am Oberlicht reguliert das Gebäudeklima, indem es das Gebäudeinnere im Sommer vor hohen Wärmelasten abschirmt, während es im Winter solare Gewinne zulässt. Zusammen mit einer aktivierten Bodenplatte aus Recyclingbeton ermöglicht dies eine ganzjährig komfortable Nutzung mit minimalster Haustechnik. So entstehen ein ausdrucksstarker, flexibel nutzbarer Raum und eine Architektur, die alternative Wege für ein zukunftsfähiges Bauen aufzeigt und auch als Plattform für weiterführende Forschung dienen wird.

Geschlossenes Gebäude, ganzjährige Nutzung

Das materialeffiziente Prinzip der Hohlkassette kam bereits im BUGA Holzpavillon Heilbronn 2019 als temporäres, offenes Bauwerk zur Anwendung und wurde hier für ein dauerhaftes, geschlossenes Gebäude mit ganzjähriger Nutzung weiterentwickelt.

Das Herzstück der Vorfertigung ist eine neuentwickelte, transportable 7-Achs-Roboterplattform, die eine nahtlose Integration in den Werkhallen des Industriepartners müllerbaustein HolzBauWerke innerhalb weniger Stunden zuließ. Die 12 m lange Robotereinheit ermöglichte die gleichzeitige Fertigung von vier Bauteilen mit Längen bis zu 3,5 m. Die individuellen Hohlkassetten wurden vom Schwerlastroboter aus einzelnen, digital vorformatierten Holzteilen gefügt, geklebt und in einem weiteren Schritt gefräst, gebohrt und schließlich zeiteffizient und mit einer Passgenauigkeit im Submillimeterbereich mittels Sägeblatts abgebunden. So konnte die robotische Fertigungszeit im Vergleich zum BUGA Pavillon um 75 % reduziert werden.

Projektvideo

Am ICE sowie ITKE ist man überzeugt, damit eine Mensch-Maschine-Interaktion geschaffen zu haben, „in dem unterschiedliche Akteure in einer gemeinsamen digital gestützten Prozesskette kooperieren können und Aufgaben zielgerichtet verteilt werden. Das ermöglicht eine effektive, digital-handwerkliche Herstellung komplexer Bauteile mit einem hohen Maß an Präzision."

Projektpartner

Exzellenzcluster IntCDC - Integratives Computerbasiertes Planen und Bauen für die Architektur, Universität Stuttgart; ICD Institut für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung
Prof. Achim Menges, Felix Amtsberg, Monika Göbel, Hans Jakob Wagner, Laura Kiesewetter, Nils Opgenorth, Christoph Schlopschnat, Tim Stark, Simon Treml, Xiliu Yang (Biomimetic Shell); Dylan Wood, Tiffany Cheng, Ekin Sila Sahin, Yasaman Tahouni (Solar Gate); ITKE Institut für Tragkonstruktionen und konstruktives Entwerfen, Prof. Dr. Jan Knippers, Simon Bechert; Exzellenzcluster LivMatS - Living, Adaptive and Energy-autonomous Materials Systems, Albert-Ludwigs-Universitat Freiburg
Prof. Dr. Jürgen Ruhe, Prof. Dr. Thomas Speck, Prof. Dr. Anna Fischer; Müllerblaustein Bauwerke, Jochen Friedel, Johannes Groner, Daniel Gold;

Forschungspartner:

Exzellenzcluster IntCDC - Integratives Computerbasiertes Planen und Bauen für die Architektur, Universität Stuttgart; ISYS Institut für Systemdynamik, Prof. Dr. Oliver Sawodny, Andreas Gienger, Anja Lauer, Sergej Klassen; IIGS Institut für Ingenieurgeodäsie, Prof. Dr. Volker Schwieger, Sahar Abolhasani, Laura Balangé; ICD Computing in Architecture, Institut für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung, Prof. Dr. Thomas Wortmann, Lior Skoury, Max Zorn; IABP Institut für Akustik und Bauphysik, Prof. Dr. Philip Leistner, Roberta di Bari, Rafael Horn

Weitere Fachplanung:

erdrich wodtke Planungsgesellschaft mbh, Christian Erdrich; Transsolar Energietechnik, Prof. Dr. Thomas Auer, Christian Frenzel; Bauphysik 5, Joachim Seyfried; BEC, Matthias Buck; Belzner Holmes Light-Design, Thomas Hollubarsch

Genehmigungsverfahren:

MPA Universität Stuttgart, Dr. Simon Aicher

Weitere Ausführung:

Geoconsult Ruppenthal; Vermessungsbüro Nutto; IB Becherer; Klitzke ELT-Plan; Prof. Dr.-Ing. Heinrich Bechert + Partner; FW Glashaus Metallbau GmbH & Co. KG; Moser GmbH & Co. KG; Lösch GmbH & Co.; KG Blitzschutz; Parkett Studio Ganter GmbH & Co. KG; Elektro Mutter GmbH; Rees Sanitär und Heizung; Jakober; Kiefer & Sohn; Dirk Pesec

Projektunterstützung:

DFG German Research Foundation; Carlisle Construction Materials; HECO-Schrauben; Henkel; KGaA
Puren; Raimund-Beck KG

Quelle: ICD/ITKE/IntCDC Universität Stuttgart

 

Exzellenzcluster IntCDC - Integratives Computerbasiertes Planen und Bauen für die Architektur, Universität Stuttgart

ICD Institut für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung
Prof. Achim Menges, Felix Amtsberg, Monika Göbel, Hans Jakob Wagner, Laura Kiesewetter, Nils Opgenorth, Christoph Schlopschnat, Tim Stark, Simon Treml, Xiliu Yang (Biomimetic Shell); Dylan Wood, Tiffany Cheng, Ekin Sila Sahin, Yasaman Tahouni (Solar Gate)

ITKE Institut für Tragkonstruktionen und konstruktives Entwerfen
Prof. Dr. Jan Knippers, Simon Bechert

Exzellenzcluster LivMatS - Living, Adaptive and Energy-autonomous Materials Systems, Albert-Ludwigs-Universitat Freiburg
Prof. Dr. Jürgen Ruhe, Prof. Dr. Thomas Speck, Prof. Dr. Anna Fischer

Müllerblaustein Bauwerke GmbH, Blaustein
Jochen Friedel, Johannes Groner, Daniel Gold

FORSCHUNGSPARTNER:

Exzellenzcluster IntCDC - Integratives Computerbasiertes Planen und Bauen für die Architektur, Universität Stuttgart

ISYS Institut für Systemdynamik
Prof. Dr. Oliver Sawodny, Andreas Gienger, Anja Lauer, Sergej Klassen

IIGS Institut für Ingenieurgeodäsie
Prof. Dr. Volker Schwieger, Sahar Abolhasani, Laura Balangé

ICD Computing in Architecture, Institut für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung
Prof. Dr. Thomas Wortmann, Lior Skoury, Max Zorn

IABP Institut für Akustik und Bauphysik
Prof. Dr. Philip Leistner, Roberta di Bari, Rafael Horn

WEITERE FACHPLANUNG:

erdrich wodtke Planungsgesellschaft mbh
Christian Erdrich

Transsolar Energietechnik GmbH
Prof. Dr. Thomas Auer, Christian Frenzel

Bauphysik 5
Joachim Seyfried

BEC GmbH
Matthias Buck

Belzner Holmes Light-Design, Stuttgart
Thomas Hollubarsch

GENEHMIGUNGSVERFAHREN:

MPA Universität Stuttgart
Dr. Simon Aicher