Das Familienunternehmen Kiennast kann auf eine über 400-jährige Geschichte zurückblicken und wird heute in neunter Generation von Alexander und Julius Kiennast geführt. Aus einem einst regionalen Handelshaus ist im Laufe der Jahrhunderte eine moderne Unternehmensgruppe gewachsen. Mit rund 140 Einzelhandelsstandorten – darunter Nah&Frisch-Märkte sowie Partner im Gastronomie- und Großhandelsbereich – leistet Kiennast einen wesentlichen Beitrag zur dezentralen Nahversorgung in Österreich, insbesondere in ländlich geprägten Regionen. Die lange Historie ist dabei nicht bloß ein traditionsreiches Erbe, sondern aktiver Bestandteil der heutigen Unternehmensidentität. Das Zusammenspiel von Tradition und Innovation prägt das tägliche Handeln und zeigt sich auch in der architektonischen Entwicklung des Stammsitzes in Gars am Kamp in Niederösterreich.
Zentrale Kantine als sozialer Treffpunkt
Durch ein „Gelenk“ – die Kantine mit Küche – wird das Gebäude mit der bestehenden Logistikhalle verbunden. © Kurt Hörbst
Angesichts eines kontinuierlichen Wachstums und steigender Anforderungen an die innerbetriebliche Zusammenarbeit entschloss sich die Geschäftsführung zu einer strukturellen Neuausrichtung. Die vormals auf mehrere Gebäude und Standorte verstreuten Verwaltungsbereiche wurden im Vorjahr in einem zweigeschoßigen, kompakten Neubau in Holzbauweise zusammengeführt. Dieser befindet sich auf dem bestehenden Betriebsgelände in direkter Anbindung an die Logistikhalle. Eine besondere Rolle kommt dabei der zentral gelegenen Kantine zu, die als bauliche Schnittstelle zwischen Verwaltung und Logistik fungiert. Sie übernimmt aber weit mehr als eine klassische Verpflegungsfunktion. Als sozialer Treffpunkt, Veranstaltungsort und kommunikativer Raum stärkt sie die interne Vernetzung und trägt zur Ausbildung einer gemeinsamen Identität bei. Auf diese Weise entstand ein Gebäudeensemble, das nicht nur betriebsorganisatorisch sinnvoll strukturiert ist, sondern auch die Werte eines gewachsenen Familienunternehmens räumlich und architektonisch ausdrückt – offen, nachhaltig und zukunftsorientiert. Graf-Holztechnik aus Horn war als Holzbau-Generalunternehmer für Tragwerk, Fassade und Innenausbau zuständig. Die Planung hat nonconform übernommen.
Architektur braucht ein tieferes Verständnis
Das interdisziplinär arbeitende Architektur- und Stadtplanungsbüro mit Standorten in Österreich und Deutschland ist besonders bekannt für seine partizipativen Planungsprozesse. Das Team entwickelt Projekte nicht hinter verschlossenen Türen, sondern gemeinsam mit Auftraggebern, Nutzern und relevanten Stakeholdern. So entstehen tragfähige, lokal verankerte Lösungen. Das Büro stellt das Miteinander ins Zentrum seiner Arbeit: Vor dem Bauen wird genau analysiert, was wirklich gebraucht wird. „Gute Architektur beginnt mit Zuhören. Sie denkt über die reine Bauaufgabe hinaus, stellt Fragen, hinterfragt Gewohnheiten – und entwickelt aus dem Dialog mit den Menschen sinnvolle, nachhaltige Lösungen. Das ist unser Anspruch. Häufig stellen wir dabei fest, dass anders oder weniger gebaut werden müsste“, erzählt Peter Nageler, der nonconform 1999 gemeinsam mit Roland Gruber gegründet hat. Architektur sei laut Nageler nicht nur Entwurf. „Gerade bei komplexen gesellschaftlichen Veränderungen – wie der Notwendigkeit, CO2-intensive Baustoffe zu vermeiden oder recyclingfähig zu bauen – braucht es ein tieferes Verständnis. Viele Projekte scheitern nicht an der Idee, sondern daran, dass niemand erklärt hat, warum sie notwendig oder sinnvoll ist. Deshalb war uns klar: Es braucht etwas zwischen Idee und Planung – einen vorgelagerten Prozess. So entstand unsere Entwicklungsabteilung“, weiß der Architekt.
Geschäftsführer mit Blick über Tellerrand
Genau diesen Ansatz fand auch die Kiennast-Geschäftsführung spannend, als man 2019 auf die Suche nach geeigneten Partnern für die Unternehmenserweiterung ging. „Wir wurden damals weiterempfohlen, denn die junge Geschäftsführung hat sich für ein Planungsbüro interessiert, das Erfahrung mit Partizipation und dem Zuhören hat. Ich wurde angerufen, bin hingefahren und habe die beiden kennengelernt. Wir arbeiten grundsätzlich immer vor Ort“, berichtet Nageler. Beim ersten Termin wurde gemeinsam mit der Gemeinde ein Kontext-Workshop veranstaltet: Was ist hier möglich? Welche Rolle spielt der Ort? Wie fügt sich die geplante Entwicklung ein? Die Aufgabenstellung war klar: Die Logistik sollte ausgelagert werden, da sie im Ortszentrum mit fast 300 Mitarbeitern nicht mehr unterzubringen war. Gleichzeitig sollte der Standort im Zentrum neu entwickelt werden. „Wir wurden gefragt, ob wir nicht auch diesen Entwurf übernehmen möchten. Das haben wir gern gemacht. Es gab großes gegenseitiges Vertrauen, man konnte Konzepte vorstellen und gemeinsam weiterentwickeln. Die Kiennasts sind gute Zuhörer, aber auch klare Entscheider“, so Nageler. Im Rahmen des Entwurfsprozesses wurden zuerst verschiedene Szenarien durchgespielt: Aufstockung auf bestehende Hallen oder Neubau auf einer angrenzenden Wiese? „Wir wollten eigentlich keine zusätzliche Bodenversiegelung, haben aber festgestellt, dass ein Neubau am Parkplatz ökonomisch und funktional sinnvoller ist. Die Bestandshallen hätten sonst aufwändig verstärkt werden müssen“, informiert der Architekt. Geplant wurde der zweigeschoßige Holzbau mit 100 bis 110 Arbeitsplätzen. „Dabei war auch schnell klar: Einzelbüros statt Großraum. Das war der Wunsch der Belegschaft, die natürlich auch in den Prozess miteinbezogen wurde“, erklärt Nageler. So wurden zum Beispiel Fensterformate des Neubaus genau auf die Arbeitsplätze abgestimmt. „Der Schreibtisch steht so, dass man seitlich herausschauen kann, ohne vom Tageslicht geblendet zu werden. Die Fenster sind höher gesetzt und man sieht nicht direkt ins Nachbarbüro. Es gibt eine gewisse Intimität, ohne sich abzuschotten“, weiß der Planer. Der Mittelgang wurde bewusst großzügig mit 2,7 m Breite gestaltet. Durch verglaste Oberteile in den Bürotrennwänden sieht man die Decke der Büros – das vermittelt Transparenz und Großzügigkeit, obwohl es keine Großräume sind. Das Gebäude ist zudem so konzipiert, dass am Ende des Hofes noch 20 weitere Arbeitsplätze ergänzt werden könnten. Dann würde sich der Innenhof architektonisch schließen.
Beton und Holz – wie passt das zusammen?
Reduzierter Hall, klare Akustik: Decke als integraler Bestandteil des Innenraumkonzepts. © Kurt Hörbst
Auf diese Frage kennt Nageler nur eine Antwort: „Sehr gut, gerade in dieser Kombination. Der Keller war ohnehin notwendig für die Haustechnik. Daraus ergibt sich auch ein zentraler Technikschacht, der bis ins Dach reicht. Das schafft Synergien in der Erschließung. Klar, man könnte alles in Holz bauen – aber Sichtbeton war hier auch eine ästhetische Entscheidung, wenngleich man über CO2-Bilanzen diskutieren kann. Ich bin da offen für Kritik.“ Auch in technischer Hinsicht erfüllt das Gebäude höchste Standards: Eine Erdwärmepumpe mit Tiefenbohrungen ermöglicht sowohl Heizung als auch Kühlung. Die hochwärmegedämmte Gebäudehülle erreicht Passivhausqualität, ergänzt durch eine Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung. Die Gebäudeperformance wurde im Rahmen der klimaaktiv-Gebäudedeklaration mit dem Standard Gold bewertet. Und das Feedback? „Für uns ist es das schönste Geschenk, wenn die Kiennast-Mitarbeiter sagen, sie arbeiten gerne in diesem Gebäude. Das gibt einem als Architekt das Gefühl, etwas Sinnvolles gemacht zu haben. Es geht darum, den Menschen Raum zu geben, der zu ihnen passt“, so Nageler abschließend.
Holzbau für moderne Arbeitswelten
Gerade im Büro- und Gewerbebau nutzt nonconform den Holzbau als integrales Planungsinstrument. Er ermöglicht eine offene, transparente und menschenfreundliche Arbeitsumgebung und schafft Räume, die sowohl funktional als auch emotional überzeugen. Projekte wie das neue Bürogebäude für das Handelshaus Kiennast zeigen beispielhaft, wie Holzbau zur organisatorischen Transformation und zur Unternehmenskultur beitragen kann. „Für uns ist Holz kein Trend, sondern ein zeitgemäßer Baustandard mit hohem architektonischem und kulturellem Potenzial. Mit Holz können wirtschaftliche, ökologische und soziale Ziele gleichermaßen verfolgt werden“, ist sich Nageler sicher.
Der Neubau in Gars am Kamp besteht vollständig aus Holz, abgesehen vom Treppenhaus, das in Stahlbeton-Sichtbauweise errichtet wurde. Im Inneren kamen sichtbare Fichten-Leimholzträger und Dreischichtplatten zum Einsatz, die leicht weißlich geölt wurden. Eine Kassettendecke im Eingangsbereich bringt Räumlichkeit und Charakter. „Der Empfang des Hauses wurde aus Brandschutzgründen mit sandgestrahltem Sichtbeton gestaltet, inklusive Stiegenhaus als skulpturales Element“, ergänzt Nageler. Außen wurde eine vorvergraute Lärchenfassade angebracht.
Mit diesem Projekt beweist das Handelshaus Kiennast jedenfalls, dass auch in traditionsreichen Familienbetrieben eine konsequente Erneuerung möglich ist – gestützt auf nachhaltige Materialien, intelligente Prozesse und eine Architektur, die den Menschen ins Zentrum stellt. Der Holzbau als tragendes Prinzip verbindet dabei ökologische Verantwortung mit baulicher Qualität und unternehmerischer Weitsicht.
Projektdaten
Standort: Gars am Kamp, Niederösterreich
Bauherr: Kiennast Holding, Alexander und Julius Kiennast
Planungsbeginn: 02/2021
Baubeginn: 07/2022
Übergabe: 09/2023
Architektur: nonconform mit Max Aelfers, Karl Breinesberger und Peter Nageler
Entwicklungswerkstatt: Oana Stancioiu, Roland Gruber und Peter Nageler
Örtliche Bauaufsicht: YES WE PLAN – Klaus Beron, Elisabeth Rausche
Tragwerksplanung: Zehetgruber + Laister
Bauphysik: BURIAN & KRAM Bauphysik
Brandschutz: FSE Ruhrhofer & Schweitzer
Holzbau: Graf-Holztechnik
Bruttogeschossfläche: 1829 m²
Bebaute Fläche: Kantine 275 m², Bürokomplex 985 m², Lagerhalle Bestand 15.250 m²