Ressourcenschonend Bauen mit Holz

Ein Artikel von Georg Bechter | 23.09.2025 - 09:04

Schon seit Jahrzehnten wird hier nebeneinander gelebt und gewirtschaftet. So auch in der Parzelle Dorf, wo der große Baukörper erst auf den zweiten Blick ins Auge fällt. Noch vor wenigen Jahren standen hier die Kühe im Stall. Heute lässt die diagonal verschalte Holzlattung eine wabenhafte Struktur entstehen, die in ihrer Feinheit eine neue Nutzung im Inneren erahnen lässt. Und noch eines wird beim Näherkommen an der Fassade lesbar: Hier wurde vor Kurzem weitergestrickt. 

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© Dominic Kummer

Wo noch vor wenigen Jahren die Kühe im Stall standen, werden heute in der Gipsmanufaktur Lichtlösungen in Form gegossen. In der großzügigen Scheune gliedert sich die Bürofläche auf zwei Etagen und lässt noch immer die Offenheit des ehemaligen Raumes spüren. Dort wo früher die Maschinen unter einem großen Vordach gelagert wurden, befindet sich heute ein Wintergarten, der Erschließungsbereich, Gemeinschaftsküche und Wärmepuffer gleichermaßen ist. Und wo bisher die Jauchegrube war, wurde der Bestand für einen Eisspeicher genutzt, der zum Heizen und Kühlen des gesamten Gebäudes verwendet wird. Vermeintliche Einschränkungen wurden mit sensibler Gestaltung in erleb- und nutzbare Räume verwandelt, welche die bestehenden Rahmenbedingungen mit neuen Qualitäten zu hochwertigen Arbeits- und Lebensräumen verbinden. Der ganzheitliche Ansatz vom wertschätzenden Umgang mit Bestand über den Einsatz von lokalen, nachwachsenden Rohstoffen bis zur Haustechnik, der das Gebäude prägt, wurde 2021 mit dem Staatspreis für Nachhaltigkeit ausgezeichnet.

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© Dominic Kummer

"...einzigartig in seiner radikal konsequenten Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeit in all ihren Dimensionen, ist das Projekt für uns ein Paradebeispiel für Material- und Nutzungsupcycling. Aus einem Kuhstall wurde eine moderne Manufaktur und Denkwerkstatt." Auszug aus dem Jurystatement

Heute wird der Bestand von einem Erweiterungsbau ergänzt. In Verlängerung der bestehenden Kubatur schreibt der Zubau den Bestand weiter und vervollständigt diesen mit einer Produktionsfläche im Erdgeschoß und einem Ausstellungsraum im Obergeschoß. 

Erweitern – und dabei ganz in der Nähe bleiben

Weitergebaut wurde mit Massivholz und Stroh – mit nachwachsenden Rohstoffen aus der Region. Die Säge, die das Holz aus den umliegenden Wäldern verarbeitet, liegt direkt über der Straße. Der Zimmermann, der das nötige Wissen und Engagement mitbrachte um das gesamte Gebäude ohne Leimholz und ausschließlich in Massivholz zu realisieren, kommt aus dem Nachbardorf. Die Aufbauten sind so entwickelt, dass sie einfach wieder zerlegt und kompostiert werden können. Anstelle von Plattenwerkstoffen kamen sägeraue Massivholzschalungen zum Einsatz, die den Holzrahmenbau nach innen und außen abschließen. Dazwischen liegt die Holzkonstruktion, die mit einem lichten Abstand von 50 cm auf das Format der Strohballen reagiert, mit denen Außenwände und die oberste Geschoßdecke ausgefacht wurden.

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An der Fassade ist deutlich ersichtlich, wo Bestand aufhört und Zubau beginnt. © Dominic Kummer

Eine Dampfbremse aus geöltem Papier, eine sägeraue Verschalung aus Holz und ein fein gearbeiteter Flechtparkett aus Buchenholz – gewachsen nur wenige Kilometer entfernt im eigenen Wald - schließen den Raum nach innen ab. Außen wurde die Holzfassade des Bestandes weitergeführt. Altes und Neues wurden zu einem zusammengehörigen Ganzen verbunden und dennoch wird über die natürliche Patina des Materials die Geschichte einer Erweiterung noch eine Zeit lang erkennbar bleiben. Der bewusste Einsatz von lokalen, nachwachsenden und unbehandelten Materialien, das Ausloten des Möglichen und gleichzeitig Notwendigen sowie der Weitblick, mit dem der Zubau umgesetzt wurde, wurden 2025 mit dem Holzbaupreis der Vorarlberger holzbau_kunst ausgezeichnet. 

Räume mit unterschiedlichen Nutzungen schaffen

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© Dominic Kummer

Bauen erfordert immer einen hohen Einsatz an Energie und Ressourcen, auch wenn nachwachsende und regionale Baustoffe zum Einsatz kommen. Umso wichtiger ist es, dass das Gebaute langfristig Bestand hat. Die Nutzungsvariabilität und Erweiterbarkeit waren daher zentrale Aspekte für die Gestaltung und Konstruktion der Erweiterung. Während im Bestand die niedrigen Deckenhöhen des ehemaligen Stalls eine Herausforderung waren und die vorhandene Konstruktion viele Aspekte des Raumes definiert hat, bot die Erweiterung die Chance, großzügige Räume zu schaffen, die langfristig in ihrer Nutzung flexibel sind. Möglich wird dies über den Verbund von 20 cm Massivholz und 12 cm Beton, welcher die Raumtiefe von 12 m stützenfrei überspannt und dadurch auf lange Sicht unterschiedliche Bespielungen der Räume ermöglicht. 

Um langfristig am Standort wirtschaften zu können, ist der Zubau so konzipiert, dass ein Weiterbauen auch in Zukunft möglich ist. Sowohl in der Gestaltung der Außenräume und der Zufahrt zur Tiefgarage als auch auf konstruktiver Ebene wurde die Realisierbarkeit einer zukünftigen Erweiterung berücksichtigt.

Das Auflager einer weiteren Decke ist in der Konstruktion der Außenwand bereits für einen späteren Zubau vorbereitet. Auf diese Art ist das Fundament für eine Weiterentwicklung gelegt, bei der auch in Zukunft achtsam mit Ressourcen und Energie umgegangen werden kann.

Kreislaufwirtschaft in Produktdesign und Architektur

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© Dominic Kummer

Georg Bechter Licht macht Leuchten reparaturfähig und recycelbar. Alles ist geschraubt, nicht geklebt. Verarbeitet werden nur hochwertige Materialien, die ihren Wert auch über die Jahre nicht verlieren. Nicht mehr gebrauchte Leuchten werden zurückgekauft, um ihnen ein zweites Leben zu schenken. Mit Reparaturfähigkeit, Langlebigkeit und gutem Design möchte ich den ökologischen Fußabdruck auf ein Minimum reduzieren – im Produktdesign und in der Architektur. Georg Bechter Architektur stellt sich ebenfalls immer wieder die Frage nach einem möglichst sparsamen, effizienten und zielgerichteten Einsatz der Materialien. Die Frage nach der Notwendigkeit formte den Zubau daher gleichermaßen wie die Suche nach Synergien.

So wurde die Fußbodenheizung im Erdgeschoss direkt in der Betonplatte verlegt. Auf einen weiteren Aufbau wurde verzichtet. Auch in der Geschoßdecke sind Fußbodenheizung und Unterlagshölzer für den darüberliegenden Holzboden bereits im Aufbeton integriert. Licht- und Elektrokanäle wurden in die Untersicht der Decke eingefräst, wodurch auch auf eine abgehängte Decke verzichtet werden kann. Eine schlanke, materialeffiziente Deckenkonstruktion und großzügige Räume bei gleichzeitig langfristiger Flexibilität sind das Ergebnis. Die Fassadenbretter und Pflastersteine, die im Zuge des Anbaus rückgebaut wurden, wurden wiederverwendet. Ebenso der Messestand der Light & Building. Die Massivholztafeln aus Buche – ebenfalls aus dem eigenem Wald – dienen nun als Regalbretter im neuen Produktionsbereich. 

Regionale Wertschöpfung und der Weitblick auf ein nachhaltiges und zukunftsfähiges Wirtschaften prägen meine Arbeit und unseren neuen Schauraum. Beides wird im Zubau ganz praktisch begreifbar. Und selbst wenn die Zeit das lesbare Weiterstricken an der Fassade irgendwann verwischen wird, so bleibt ein Gesamteindruck davon, dass Bestand die Chance bietet, belebt und weiterentwickelt zu werden.