Die Außenhülle erzählt die Geschichte des Hauses. Unterschiedlich große Holzschindeln Vorarlberger Herkunft bedecken die Fassade, jede leicht anders geformt, keine identisch mit der nächsten. © arlos Martinez Architekten | Can Isak, Faruk Pinjo
Das viergeschoßige Schulhaus, entworfen von Carlos Martinez Architekten aus Berneck, vereint Architektur, Pädagogik und Handwerk zu einem vielschichtigen Ganzen. Für das Projekt gelang es Katvan Immo als Bauherr, ein Team zusammenzubringen, das interdisziplinär denkt. Pirmin Jung Schweiz verantwortete Tragwerksplanung und Brandschutz, Alpiger Holzbau setzte die komplexe Holzkonstruktion um, während Martinez und sein Arbeitskollektiv den Entwurf bis ins Detail begleiteten. Von 2019 bis 2024 entstand so ein Gebäude, das technische Innovation, gestalterische Sensibilität und pädagogische Vision vereint. „2018 kam die Bauherrschaft auf uns zu und fragte, ob man am jetzigen Standort etwas machen könne. Dort stand früher eine alte Fabrik, in der die Schule untergebracht war. Die Stadt hatte das Gebäude zuvor als Kindergarten genutzt. Ursprünglich sollten wir den Altbau sanieren und erweitern, aber wir fanden keine befriedigende Lösung. Aus diesem Grund entschieden wir uns für einen kompletten Ersatzneubau“, erzählt Projektleiter David Gschwend. Holz als Material stand von Anfang an fest. Begeistert war Gschwend über die Tatsache, wozu der Baustoff heutzutage fähig ist. Denn das Bauwerk ist in seiner Form außergewöhnlich und mit keiner herkömmlichen Bildungsstätte vergleichbar. Es ist ein Gebäude, das konsequent in Holzsystembauweise ausgeführt wurde und als Manifest für nachhaltiges Bauen und zukunftsorientierte Bildung angesehen werden kann.
Lernen als Weg, Architektur als Pädagogik
„La Nave“ versteht sich nämlich als Schule mit Horizont. Die Kinder beginnen ihre schulische Laufbahn ganz unten, im Sockelgeschoß, wo die jüngste Lerngruppe unterrichtet wird. Im Laufe ihrer Schuljahre steigen sie Stockwerk für Stockwerk nach oben. Am Ende ihrer Schulzeit stehen sie auf der Dachterrasse – im übertragenen Sinn auf Höhe ihres eigenen Horizonts. Diese räumliche Dramaturgie übersetzt den Bildungsweg in die Architektur. Das Herzstück des Hauses bildet ein großzügiges, lichtdurchflutetes Atrium, das sich über alle Ebenen zieht. Eine zentrale Sitztreppe verbindet die Geschoße und dient als Aula, Versammlungsort und Lernlandschaft. Flankiert von der Schulbibliothek, wird sie zum offenen Wissensraum. Eine Rutschbahn verbindet die oberen Ebenen spielerisch, aber keineswegs zufällig. Sie steht für Leichtigkeit und Bewegung, für den Mut, Wege außerhalb der Norm zu gehen. Im Innern wächst das Gebäude laut Martinez wie ein Baum in die Höhe. Ganz unten ist die Wurzelstufe, dann folgen Stamm und Krone. Es ist ein lebender Organismus, kein starres Bauwerk. „Die Schule hatte kein klassisches Raumkonzept mit fixen Klassenzimmern. Alles war offen und flexibel. Es gab kein festes Raumprogramm. Also mussten wir gemeinsam mit der Schulleitung und Bauherrschaft erst erarbeiten, was wirklich gebraucht wird. Es gab auch Workshops mit den Schülerinnen und Schülern. Das war herausfordernd, aber auch spannend. Die Rutsche war natürlich Idee der Kinder“, weiß Gschwend. Einem gängigen, pädagogischen Konzept wie Montessori oder Waldorf folgt man nicht: „Es geht aber in diese Richtung. Die Kinder arbeiten klassenübergreifend, gestalten ihre Stundenpläne selbst und können individuell betreut werden. Es herrscht viel Freiheit und Eigenverantwortung.“
Der Werkstoff Holz als Grundhaltung
Ab dem Sockelgeschoß wurde das gesamte Gebäude in Holzbauweise errichtet. Diese Entscheidung war sowohl ökologisch als auch konzeptionell motiviert. Holz steht für Natürlichkeit, Wachstum und Wärme. Eigenschaften, die mit der Philosophie der Schule im Einklang stehen. Die Tragstruktur besteht aus Brettsperrholz-Elementen, deren Aussteifung über gezielt platzierte Wandscheiben erfolgt. Sichtbare Holzrippendecken tragen die Lasten und erzeugen eine lebendige Deckenlandschaft. Zur Verbesserung des Schallschutzes wurden die Rippenfelder mit Kalksplittschüttung gefüllt. Eine schlichte, aber wirkungsvolle Lösung, die Masse ohne chemische Zusatzstoffe schafft.
Das bewitterte Tragwerk mit seinen organisch gefrästen Stützen ist eine technische und gestalterische Besonderheit. Jede Stütze wurde individuell modelliert und CNC-gefräst – eine Hommage an die Natur, deren Formen selten gerade sind. Darüber spannt sich das geschwungene Attikadach, das dem Bau seine charakteristische Silhouette verleiht und subtil an ein Schiff erinnert, das aufbricht. „Wir wollten zeigen, dass Holz kein limitierendes, sondern ein befreiendes Material ist“, erklärt Fabian Geiger, Projektteam Holzbau. „Es lässt sich präzise formen, reagiert flexibel und bleibt gleichzeitig sinnlich erfahrbar.“ Von außen wirkt das Gebäude deshalb sehr verspielt mit Rundungen und weichen Formen.
Hohes Maß an planerischer Genauigkeit
Die versetzten Ebenen und unterschiedlichen Kalt- und Warmzonen erforderten ein hohes Maß an planerischer Genauigkeit. Viele Anschlussdetails wurden im digitalen Modell vorab getestet. Zwischen den Holzträgern kamen spezielle Deckenpaneele zum Einsatz, die an Magnetprofilen befestigt sind. „Für eine einfache Demontage und Revision“, erklärt Gschwend. Jedes der 357 Paneele wurde individuell gefertigt und angepasst. Die Brandschutzplanung verlangte besondere Aufmerksamkeit. In enger Kooperation mit dem Brandschutzspezialisten Bach Heiden entstanden Lösungen, die technische Anforderungen und architektonische Eleganz vereinen. Zahlreiche Türen schließen im Brandfall automatisch, sind jedoch so in Wand und Materialität integriert, dass sie unsichtbar bleiben. „Es war uns wichtig, dass Sicherheit und Gestaltung nicht als Gegensätze erscheinen“, betont Diego Rosafio, Projektleiter Ausführung bei Carlos Martinez Architekten.
Eine Fassade voller Individualität
Die Außenhülle erzählt die Geschichte des Hauses. Unterschiedlich große Holzschindeln Vorarlberger Herkunft bedecken die Fassade, jede leicht anders geformt, keine identisch mit der nächsten. Ein aufwendiges Detail, das die Architekten bewusst in Kauf nahmen: „Die Fassade steht für die Vielfalt der Kinder. Jede Schindel ist anders, und doch ergibt sich nur durch ihre Gesamtheit eine dichte, funktionierende Haut“, beschreibt Gschwend dieses liebevolle Detail. Grundsätzlich wurde nicht nur darauf geachtet, regionales Holz zu verwenden. Auch die Zusammenarbeit mit örtlichen Betrieben stand beim Projekt im Vordergrund.
Räume für die Entfaltung
„La Nave“ ist keine traditionelle Schule mit Fluren und Klassenzimmern, sondern ein Geflecht aus Lernlandschaften, Rückzugsnischen und Werkbereichen. Das Erdgeschoß beherbergt Aula und Schulküche, im Untergeschoß liegt das „Brütwerk“, eine offene Werkstatt, die Schülerinnen und Schüler auch außerhalb des Unterrichts nutzen dürfen. Auf den oberen Etagen verzahnen sich Lernzonen und Aufenthaltsbereiche. Übergänge sind fließend, Grenzen bewusst unscharf. Der Weg nach draußen führt über die Dachterrasse, wo eine große Freilufttreppe als Außenklassenzimmer dient. Terrassen und Gärten erweitern den Lernraum, öffnen den Blick in die Natur und stehen als Sinnbild für die Offenheit des pädagogischen Ansatzes. „Wir wollten eine Architektur, die Lernen nicht diszipliniert, sondern inspiriert“, sagt Gschwend. „Jede Ebene erzählt von Bewegung, Begegnung und Entdeckung.“ Das Feedback der Nutzer ist dementsprechend positiv: „Schulleitung und Bauherrschaft sind sehr zufrieden. Eine ehemalige Schülerin, die jetzt bei uns ihre Lehre begonnen hat, erzählte, dass sie die Schule großartig findet. Nur die Terrassen würden noch zu wenig genutzt, da es solch ein Angebot in der bisherigen Schule noch nicht gab und sich die Schüler und Lehrer erst damit arrangieren müssen“, berichtet Gschwend.
Ein Schiff auf Kurs Zukunft
Der Neubau in Buchs zeigt, wie moderner Holzbau pädagogische Konzepte räumlich übersetzen kann. Nachhaltigkeit wird hier nicht als Etikett, sondern als Haltung verstanden. „Ein Gebäude soll widerspiegeln, was in seinem Innern geschieht“, sagt Carlos Martinez. „Darum ist ‚La Nave‘ ein Schiff, das Kinder auf ihre Reise schickt. Es ist offen, lebendig und voller Zukunft.“ Am Ende bleibt genau dieser Eindruck eines Holzschiffes, das Kurs auf die Zukunft nimmt, mit jungen Menschen an Bord, die lernen, ihren eigenen Weg zu steuern.
Projektdaten
Standort: Buchs
Bauherr: Katvan Immo AG
Planungsbeginn: 2019 (Projekt Umbau Bestand) / 2020 (Projekt Neubau)
Baubeginn: September 2022 (Abbruch Bestand)
Fertigstellung: Dezember 2023 bezugsbereit / März 2024 Übergabe an Nutzer
Architektur & Bauleitung: Carlos Martinez Architekten
Projektleitung Entwurf: David Gschwend (mit Carlos Martinez)
Projektleitung Ausführung: Diego Rosafio & Fabian Geiger
Holzbau: Alpiger Holzbau
Fachplanung und Statik: Pirmin Jung Schweiz
Landschaftsarchitektur: Vital Bucher Landschaftsarchitekt
Fenster: Fenster Alpiger Holzbau
Türen: Bach Heiden
Grundstücksgröße: 1536 m² / Gebäudevolumen: (SIA 416): 9769 m³
Holzanteil: verbautes Holz: 650 m³, verbaute Schindeln: 63.667, ca. 305 vorgefertigte Holzbauelemente
Kennwerte: Nettogeschossfläche (SIA416): 1940 m²
Verbaute Holzarten: Fichte, Esche (Innenausbau), Weißtanne (Innenverkleidung Aussenwände), österreichische Gebirgslärche (Fassade, Bregenzerwald), 8 mm dick, maschinengespalten, gefaster Abschnitt