Von der Bärenhütte zur Kuhheide

Ein Artikel von Raphael Zeman | 01.12.2025 - 16:29
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© F+P ARCHITEKTEN / Daniel Hawelka

„Der Standort des ehemaligen Restaurants ,Bärenhütte‘ grenzt an einen Wald, konnte bereits mit einem bestehenden Kinderspielplatz aufwarten und war mit seinem öffentlichen Parkplatz inklusive Bushaltestelle ideal für den dringend benötigten, neuen Kindergarten erschlossen“, berichten Christopher Emil Kreminger, assoziierter Partner, und Aikaterini Lamprogianni, Projektleiterin bei F+P ARCHITEKTEN. Das Gelände sei im Ort historisch bedingt auch als „Kuhheide“ bekannt, weshalb sich der Gemeinderat schlussendlich auf den Namen „Heide-Kindergarten Gießhübl“ einigte.

Kindergerecht und naturnah

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© F+P ARCHITEKTEN / Daniel Hawelka

Der schlüssige und gut strukturierte Entwurf des Wiener Architekturbüros konnte die Bauherrschaft vor allem mit seiner kindergerechten Maßstäblichkeit und verspielten Gestaltung, die sich harmonisch in das naturnahe Umfeld einfügt, überzeugen. Zweigeschoßig, kompakt und mit kleinteiligem Erscheinungsbild schmiegt sich das Ensemble aus vier gleich großen Baukörpern, die im rechten Winkel zueinander verdreht und mit einer gefalteten Dachlandschaft versehen sind, unaufgeregt und trotzdem prägnant in die Umgebung. Und auch funktional weiß der Entwurf zu punkten: Die großzügige, lichtdurchflutete Aula fungiert als zentraler Treffpunkt – die umliegenden Räumlichkeiten sind durch flexible Verbindungen sowie kurze und barrierefreie Erschließungswege optimal angebunden. Ebenso positiv empfindet man die vielseitigen Nutzungsmöglichkeiten der Gruppenräume.

Form folgt Funktion – und erzeugt Spannung

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Mit seiner gefalteten Dachlandschaft, die zudem eine ideale Ausrichtung für die installierte PV-Anlage bietet, schmiegt sich das Ensemble in die Landschaft. © F+P ARCHITEKTEN / Daniel Hawelka

Die räumliche Aufteilung in vier gleich große, zueinander verschobene „Häuser“ mit zentralem Atrium begeistert mehrfach: Von außen betrachtet entstehen kleinteilige Baukörper, die durch die gefaltete Dachlandschaft akzentuiert werden. Im Innenraum wiederum sorgen die diagonal verlaufenden Firste in Kombination mit der sichtbar belassenen Dachkonstruktion für ein spannendes Raumgefühl. Darüber hinaus konnten so Hochebenen und Höhlen geschaffen werden, die in jeder Gruppe anders ausgestaltet sind und den Kindern Rückzugs- und Gestaltungsorte bieten. Ebenso wurde auf Bewegungsräume zum Austoben geachtet. Im Erdgeschoß liegt dieser beispielsweise direkt gegenüber der hellen Atriumsitztreppe und kann auch als Bühnenbereich für Aufführungen genutzt werden.

Neben den gestalterischen und funktionalen Aspekten waren auch Nachhaltigkeit und Ökologie entscheidende Faktoren, warum F+P ARCHITEKTEN den Wettbewerb gewinnen konnten. Wo möglich, konstruierten die Planer den Kindergarten in Holzrahmenbauweise. „Der Grund für die Hybridbauweise ist die leichte Hanglage des Grundstücks. Das Gebäude ist im Erdgeschoß zur Hälfte unter der Erde, weshalb man hier aus konstruktiver Sicht mit Stahlbetonwänden gearbeitet hat und das System bis zur Decke über Erdgeschoß durchgezogen hat. Die Decke fungiert nämlich in Teilbereichen des ersten Obergeschoßes als Fundamentplatte, ein Materialwechsel wäre hier sowohl aus technischer als auch wirtschaftlicher Sicht nicht zielführend gewesen“, erläutern die Planer. Die Kombination aus gespachtelten und gemalten Wänden im Erdgeschoß mit den bunt lasierten Holzsichtwänden im Obergeschoß verstehen die Architekten dabei als spannendes Gestaltungselement, wobei das Holz nach oben und außen hin immer präsenter wird.

Materialität schafft Raum

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Im Innenraum bringen die teils sichtbare Konstruktion und das Spiel mit den Materialien (nicht nur) die Kinder zum Staunen. © F+P ARCHITEKTEN / Daniel Hawelka

Die eingesetzten Baustoffe waren generell ein zentrales Thema des Entwurfs. Durch optimierte Materialien konnte nämlich eine um 30 % bessere OI3-Performance (Bewertung der ökologischen Qualität aller Materialien anhand von Umweltindikatoren) im Gegensatz zur mineralisch-massiven Bauweise erzielt werden. Die Architekten dazu: „Der OI3-Wert stellt einen wichtigen Nachhaltigkeitsindikator für die Baubranche dar, der zurecht zunehmend an Bedeutung gewinnt. Beim Kindergarten Gießhübl lag der Schwerpunkt ganz klar auf der Verwendung von Holzprodukten in ihren zahlreichen Formen. Dabei wurde das Material sowohl konstruktiv als auch im Innenausbau in Form von Geländern, Handläufen, Bodenbelägen und Holzwolle-Akustikelementen verbaut. In den Bewegungsräumen und Hochebenen kam Naturkautschuk zum Einsatz.“

Heimische Hölzer bewusst eingesetzt

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Der Holzbau ist eine Mischung aus Massivholz- und Holzriegelbauweise. Die Träger beziehungsweise Rippendecken haben die Architekten bewusst in Sicht belassen. © F+P ARCHITEKTEN / Daniel Hawelka

Die nicht erdberührenden Teile in Holzbauweise zu errichten, war ein Vorschlag vonseiten F+P ARCHITEKTEN. „Die Entscheidung war passend für die Bauaufgabe, zeitgemäß und zum Erreichen einer angenehmen Raumatmosphäre bestens geeignet. Das Gebäude ist eine Mischung aus Massivholz- und Holzriegelbauweise. Die Träger beziehungsweise Rippendecken haben wir bewusst sichtbar belassen“, so Kreminger und Lamprogianni. „Wir konnten dadurch eine spannende Wirkung erzeugen, die die Neugier der Kinder weckt, sie zum Staunen und Spielen animiert.“

Bei der Wahl der Holzarten habe man bewusst heimische Hölzer fokussiert und diese gemäß ihren Materialeigenschaften eingesetzt: Konstruktiv werden Fichte und Tanne – teils als sichtbare Elemente – in Szene gesetzt. An der Fassade, für die umlaufende Terrasse und bei den Fenstern kam Lärche zum Einsatz, im Innenbereich dominiert die Esche – „wobei hier das ansprechende Muster der Kernesche spielerisch eingesetzt wurde“.

„Holz bietet im Brandfall große Vorteile“

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Hochebenen und Höhlen dienen als Spiel- und Rückzugsorte. Die diagonal verlaufenden Firste erzeugen Spannung. © F+P ARCHITEKTEN / Daniel Hawelka

Schall- und Brandschutz seien bei Holzbauprojekten immer zentrale Themen und bei einem Kindergarten umso bedeutender. In Gießhübl hat jeder Gruppenraum einen eigenen Ausgang ins Freie, wodurch die vorrangige Anforderung der Räumung bei einem Brand schnell gewährleistet werden kann. Ebenso bietet die zentrale Aula Fluchtwege in alle Himmelsrichtungen. Die Sicherheit der Nutzer ist damit also gewährleistet, doch wie steht es um das Gebäude selbst? „Holz bietet im Bereich des Brandschutzes große Vorteile, die sichtbaren Holzkonstruktionen sind der Abbrandrate entsprechend bemessen und somit im Brandfall deutlich berechenbarer als zum Beispiel frei liegende Stahlkonstruktionen und dergleichen“, verweisen die Architekten.

In Sachen Schallschutz wiederum bringen die Planer die Hanglage ins Spiel. Diese erforderte den Einsatz von Beton, mit dessen Masse zugleich die Trittschallthematik gelöst wurde. Trennwände und Innenfenster wurden bauphysikalisch bestmöglich konstruiert und wo nötig mit entsprechenden Gipskartonlagen ausgestattet. Hinsichtlich der Raumakustik wurde in den Gruppenräumen dem „Gestaltungsprinzip Holz“ folgend mit Holzwolleplatten an den Decken gearbeitet, in den Gängen kamen Lochplatten zum Einsatz.

Zeitgemäßer Baustoff, zeitgemäße Technik

Wie eingangs erwähnt, empfinden F+P ARCHITEKTEN Holz als zeitgemäßen Baustoff für einen Kindergarten, denn das Material beeinflusst aufgrund seiner natürlichen Eigenschaften das Raumklima und trägt durch seinen Geruch, die Optik und Haptik zu einem angenehmen Raumempfinden bei. Darüber hinaus speichert Holz, sofern es nicht verrottet oder thermisch verwertet wird, Kohlenstoff – im konkreten Fall laut Berechnung der Planer rund 230 t.

Mit der gewählten Gebäudetechnik schlägt man in dieselbe Kerbe: Für die Energieversorgung sorgt ein Sole-/Wasser-Wärmepumpsystem, in Kombination mit einem Erdsondenfeld und Freecooling. Die Heiz- und Kühlenergie wird dadurch vollständig aus nachhaltigen Energiequellen bezogen. Die Stromversorgung wiederum wird durch eine Photovoltaikanlage ergänzt, die jährlich in etwa 36.000 kWh erzeugt – und somit rund 50 % des Gesamtenergiebedarfs des Kindergartens deckt. Abgerundet wird das Energiekonzept mittels Nachtlüftung, hocheffizienten LED-Systemen mit Tageslichtsteuerung sowie einer zonierten Belüftung mit CO2-Sensoren. Die Dachlandschaft ist dabei nicht nur optisch durchaus ansprechend, sondern auch im Sinne der PV-Module optimal ausgerichtet.

Projektdaten

Standort: Gießhübl
Bauherr: Gemeinde Gießhübl
Planungszeitraum: 2023 - 2024
Bauzeit: 05/2024 – 08/2025
Architektur: F+P ARCHITEKTEN
Holzbau: Holzbau Ratten / Ein Tochterunternehmen der Bauunternehmung Granit
Tragwerksplanung: FCP Fritsch, Chiari & Partner
Fenster und Türen: Josko Fenster (Lieferant Josko-Partner Fa. Ing. Mario Glatschnig)
BGF: ca. 1860 m²
Holzanteil: rund 512 m³
Systemlieferanten: Hasslacher Gruppe; Stora Enso
verbaute Holzarten: Lärche für Fassade und Fenster, Fichte und Tanne für das Tragwerk, Esche für den 
Ausbau (z.B. Bodenbelag, Türen etc.)