Pilotprojekt fördert regionale Strukturen

Ein Artikel von Raphael Zeman | 30.09.2020 - 14:10
Portrait Reiner_sw.jpg

Erich Reiner, Ansprechpartner des Projekts „Holz von hier“ © Erich Reiner

Das Thema Regionalität ist spätestens seit der COVID-19-Pandemie in aller Munde. Denken Sie, die Holzbaubranche kann davon profitieren?
Selbstverständlich! Die Holzwirtschaft ist traditionell regional. Österreich ist diesbezüglich schon lange gut aufgestellt und die positiven Entwicklungen haben zu einem hohen Exportanteil geführt. Man kann also sowohl regional als auch überregional bedienen. Der volkswirtschaftliche Vorteil ist dabei, dass die Holzwirtschaft auf viele Betriebe im ländlichen Raum aufgeteilt ist – dieser wird vom zunehmenden Trend gestärkt.

Wo sollte man am besten ansetzen, um diesen Trend optimal zu nutzen?
Immer mehr Industrien schreiben sich das Thema Nachhaltigkeit auf die Fahnen. Die Holzwirtschaft ist jedoch die einzige Branche im Bausektor, die das Thema plausibel und nachvollziehbar angehen kann – denn welcher andere Baustoff wächst von selber nach und speichert CO2? Der Speichereffekt ist wirksam, solang das Holz verwendet wird. Wenn man es verbrennt oder verrotten lässt, wird das CO2 freigesetzt, und wenn man es um die halbe Welt transportiert, wird der CO2-Vorteil ebenfalls verringert. Dementsprechend ist der Nachhaltigkeitseffekt um so größer, je mehr Holz verbaut wird und um so kürzer die Transportentfernungen sind.
 
Wie funktioniert HvH?
HvH stellt sozusagen Regionalitätszertifikate aus. Dabei sind die Transportkilometer zwischen den einzelnen Stationen in der Lieferkette entscheidend, wobei die zulässigen Entfernungen von der jeweiligen Holzart bzw. dem Sortiment abhängen. Wir reden hier von 75 km Luftlinie bei Fichtenrundholz und bis zu 450 km für weiterverarbeitete Sortimente. Das System ähnelt dabei dem Onlinebanking. Jeder teilnehmende Betrieb erhält ein Online-HvH-Guthabenkonto. Im Unterschied zum Bankkonto liegt darauf jedoch regionales Holz in Kubikmetern, der Kontostand kann nicht negativ werden und der Inhaber selbst kein Material zu-, sondern nur abbuchen. Zubuchungen erfolgen immer nur durch den jeweiligen Lieferanten. Der Betrieb kann dann so lange Regionalitätszertifikate ausstellen, bis der Materialkontostand der gewünschten Holzart bzw. des benötigten Sortiments aufgebraucht ist. Ist der Kontostand zu niedrig, muss vorher entsprechendes Material von einem regionalen Lieferanten zugekauft werden. Während des Buchungsvorgangs prüft das System im Hintergrund automatisch, ob für das zu buchende Holzsortiment ausreichende Mengen am Konto vorhanden sind und die maximal zulässige Entfernung zwischen dem Kontoinhaber und dem Standort des Kunden eingehalten wird.

Angenommen, es sind alle Bedingungen erfüllt. Wie geht es weiter?
Mit Ausstellen des Zertifikates wird die entsprechende Menge beim Lieferanten automatisch abgebucht und auf dem Konto des Empfängers zugebucht. Somit ist sichergestellt, dass jegliches Materialguthaben, das auf HvH-Konten registriert ist – egal, wo in der Lieferkette –, bis hierher die maximal zulässigen Transportentfernungen nicht überschritten hat. Wichtig ist noch zu erwähnen, dass die physische Identität des gebuchten Materials nicht geprüft und weiterverfolgt wird und daher keine getrennte Lagerhaltung notwendig ist.

Bedeutet die Begrenzung der Transportkilometer nicht auch eine Abgrenzung von internationalen Partnern?
Nein, im Gegenteil. Ich denke, die Holzwirtschaft sollte zwar die Regionalität betonen, sich dabei aber nicht davor fürchten, auch international voranzuschreiten. Der große Vorteil von HvH ist, beides zu ermöglichen. Denn es gibt keine Verpflichtung, dass der mitmachende Betrieb nur noch ausschließlich regional handeln darf. Außerdem ist das System nicht auf Landes- oder Regionsgrenzen beschränkt, sondern betrachtet rein die Transportwege und deren Umweltwirkungen. Das Motto lautet: „Jeder, der mitmacht, ist der Mittelpunkt der Welt.“ Damit funktioniert das System überall, losgelöst von bestimmten Tälern, Bezirken oder Ländern. Die Entfernungskilometer werden zwischen den einzelnen Knoten der Lieferkette erhoben. In der Praxis hat sich gezeigt, dass die kumulierten Maximaldistanzen in den meisten Fällen sogar unter 100 km liegen. Wir wollen Grenzen abbauen und dabei, abhängig vom Produkt, in einer Entfernung von 75 bis 450 km den Handel im regionalen Umfeld nicht behindern. Was allerdings auch klar ist: Holz aus Sibirien kann nicht mehr regional sein. HvH bedeutet ein Versprechen: Kein Akteur gibt mehr regionales Holz weiter, als vorher eingekauft wurde. Deshalb braucht es eine Mengenbilanzierung zur Kontrolle. Der Aufwand für den einzelnen Betrieb bleibt dabei gering, zudem selbst entschieden werden kann, wie viel über regionale Zertifikate abgewickelt wird. Kurz gesagt: HvH ist unkompliziert, bringt Verbindlichkeit und ist ein neutrales, fremdüberwachtes System ohne Einschränkungen hinsichtlich der Betriebsgröße.

Das klingt vielversprechend. Welches Fazit können Sie nach dem rund zweijährigen Testlauf in Vorarlberg ziehen?
HvH wird hier im Ländle sehr gut angenommen. 45 Unternehmen, darunter beispielsweise Mayr-Melnhof oder Handelshäuser, wie Tschabrun oder Tischler-Rohstoff, sind Mitglieder und es gibt ein Bekenntnis aller Branchenvertreter zum System. Auch die Politik hilft mit. Regionales Holz mit HvH-Zertifikaten wird hier sowohl im Wohnbau als auch in der Gebäudesanierung gefördert. Ich denke, Vorarlberg kann ein gutes Vorzeigebeispiel sein, das auf andere Regionen bzw. Bundesländer übertragen werden kann.

Welche Hindernisse gilt es, auf dem Weg dorthin noch zu beseitigen?
Ich denke, dass die Politik gefordert ist, dem Thema Regionalität einen Rahmen zu geben, klare Wünsche und Vorgaben zu äußern und mit Förderungen Anreize zu schaffen. Das HvH-System ist EU-rechtskonform, da es sich nicht auf Landesgrenzen bezieht und somit aus vergaberechtlicher Sicht nicht diskriminierend ist. Dies wurde in mehreren Rechtsgutachten bestätigt. Außerdem ist die Stärkung der Regionalität im Rahmen EU-rechtlicher Vergaberichtlinien auch ein deklariertes Ziel im aktuellen Regierungsprogramm. Das System „Holz von Hier“ kann zu dieser Stärkung beitragen und die Politik könnte Regionalität gesetzeskonform einfordern. Deshalb wird hier in Vorarlberg beispielsweise von vielen Gemeinden bei öffentlichen Ausschreibungen dezidiert ein HvH-Zertifikat verlangt. Vorreiterstädte, wie Freiburg und München, machen ebenfalls vor, wie man die Verwendung von Holz mit Förderungen verstärken kann. Die andere Komponente ist die Industrie, bei der ich manchmal das Gefühl habe, sie fürchtet sich fast vor dem Trend zur Regionalität. Aber warum sollte eine Betonung der regionalen Stärken bedeuten, dass man nicht mehr exportieren darf? Ein Entweder-oder-Denken ist hier fehl am Platz. Grenzüberschreitender Austausch passiert in der Wirtschaft sowieso. Man muss die gewachsenen regionalen Strukturen vor den Vorhang holen und bestmöglich nutzen, darf zugleich aber auch stolz darauf sein, dass man weltweit exportiert.