„Wir müssen uns mehr zutrauen“

Ein Artikel von Birgit Gruber | 16.01.2023 - 07:38
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Der steirische Landesinnungsmeister Oskar Beer sieht eine große Zukunft im Holzbau. © Anna Beer

Sie verfolgen die Vision von einer Stadt aus Holz. Wie könnte diese aussehen und wo soll sie gebaut werden?
Man kann meiner Meinung nach nicht genug in Holz bauen. Ich bin mir auch ganz sicher, dass der Baustoff Holz in Zukunft noch mehr Verwendung finden wird. Man denke dabei nur an seine CO2-Speicherung, die Ressource Wald vor unserer Haustüre, an die kurzen Transportwege und an die Möglichkeiten der raschen Vorfertigung. In Graz wäre es eine historische Chance gewesen, einen ganzen Stadtteil aus Holz zu bauen: Stichwort Reininghausgründe. Dort ist die Holzverwendung leider nur in Teilbereichen gelungen. Meine Vision wäre gewesen, Holz für alle Bereiche einzusetzen – für das Wohnen, Arbeiten und den öffentlichen Bereich. Ein Rathaus, ein Krankenhaus und eine Bahnstation aus Holz, das brauchen wir – neben Wohnbauprojekten – in der Steiermark und in ganz Österreich.

Tatsächlich kommen die Reininghausgründe im Westen der Stadt, wo bis 2025 im großen Stil neu gebaut wird, Ihren Vorstellungen zumindest nahe.
Bei einem solchen Vorhaben sind natürlich viele unterschiedliche politische und wirtschaftliche Überlegungen eingeflossen. Das Ergebnis muss jeder selbst beurteilen. Meine uneingeschränkte Zustimmung hat das Projekt nicht. Man hätte zum Beispiel Holzquartiere besser definieren müssen, was andere Baustoffe natürlich nicht zur Gänze ausschließt. Das Projekt könnte als großes Forschungsfeld funktionieren, das einzelne Baustoffe in Konkurrenz stellt und in ein paar Jahren zeigt, welcher davon sich am besten bewährt hat. Die Holzbauforschung hätte davon sehr profitiert. Damit hätte man dann auch pro Holz werben können.

Gibt es für ein solches Projekt überhaupt noch Platz, wo doch alle Zeichen auf intelligente Verdichtung, Sanierungen und Aufstockungen stehen?
Es werden auch in den Städten immer wieder größere Flächen frei, brach liegende Industrieflächen werden zu Wohn- oder Geschäftsvierteln umgewidmet. Diese Chancen müssen wir nutzen. Natürlich ist die sinnvolle Nachverdichtung auch ein Thema, dabei sollte aber auf einen städtebaulichen Konsens geachtet werden. Nicht jedes Wohnviertel eignet sich für eine Nachverdichtung. Die Wohn- und Lebensqualität der Bewohner muss immer im Vordergrund stehen.

In der schwedischen Gemeinde Växjö entsteht ein spannendes Holzbauprojekt nach dem anderen. Bereits 2016 basierten 67 % der kommunalen Neubauten  auf Holz. Växjö gilt mittlerweile als die grünste Stadt Europas. Was machen die Schweden anders? Wäre dies auch für eine Stadt wie Graz denkbar? 
Die nordischen Länder sind in vielen Bereichen Vorbild. Der Holzbau ist dort in den Köpfen der Entscheidungsträger angekommen. Schweden hat zudem, wie viele nordische Länder, eine lange Holzbautradition. Der in Växjö errichtete Holzbau umfasst den neuen Bahnhof und das Rathausgebäude – ich wäre jedenfalls dafür, auch am Hauptplatz in Graz ein Zeichen zu setzen und den klassizistischen Bau durch einen modernen Holzbau zu ersetzen. Wir brauchen diese Vorzeigeprojekte. Damit präsentiert man die Qualität des Handwerkes perfekt. Der politische Wille ist entscheidend und es braucht einen Anstoß, um sich über größere Bauprojekte zu wagen. Wir haben mit der aktuellen OIB-Richtlinie eine gute Grundlage, können auch in die Höhe bauen. Wir müssen uns nur mehr zutrauen.

Welchen Mehrwert erwarten Sie durch ein derartiges Bauvorhaben für die Bewohner und die Stadt Graz?
Der Mehrwert liegt offen auf der Hand. Sieger sind die Umwelt, unser Klima und die Menschen, die in diesen Holzbauten wohnen oder arbeiten dürfen. Die Stadt Graz würde davon profitieren, da ein derartiges Projekt enorm viel Prestige bringt, was sich wiederum positiv auf den Tourismus auswirken würde. Wenn einer Stadt heutzutage die Eigenschaft „grün“ zugeschrieben wird, kann das in Zeiten des Klimawandels nur positive Effekte haben.

Ist die steirische Holzbaulandschaft fit, einen Stadtteil ganz aus Holz zu bauen? Wie müsste diese österreichweit aufgestellt sein, um nicht den Zug in Richtung nachhaltige Zukunft zu verpassen? 
Davon bin ich fest überzeugt! Wir haben in der Steiermark zahlreiche, bestens organisierte Betriebe mit entsprechendem Know-how und hervorragend ausgebildeten Facharbeitern. Ich gehe davon aus, dass das bei meinen Kollegen in den anderen Bundesländern auch so ist. Die Kleinteiligkeit der Betriebe finde ich spannend und gut, schließlich kann man als Holzbaubetrieb mit zehn bis 15 Mitarbeitern locker eine Großbaustelle abwickeln. Die steirische Landesinnung unternimmt regelmäßig Ausflüge in andere Länder, wie Norwegen, Spanien, Deutschland, die Schweiz oder Kanada. Dabei haben wir festgestellt, dass sich der österreichische Holzbau im europa- bzw. weltweiten Vergleich auf höchstem Niveau befindet. Unser duales Bildungssystem müssen wir dabei sehr wertschätzen. Nicht umsonst mischen wir immer wieder bei internationalen Großbaustellen mit. Der Holzbau ist der Motor in Richtung nachhaltiger Zukunft beim Bauen. Andere Materialien wollen auch nachhaltig sein – wir waren es schon immer und wir leben es auch.

Welche Steine liegen Ihrer Vision derzeit noch im Wege? Was müsste sich verändern?
Großes Thema beim Bauen ist immer wieder das Geld. Bauherren beziehungsweise Bauträger müssen es schaffen, nicht nur die kurzfristige Rendite als Maßstab heranzuziehen. Nachhaltigkeit und Lebensqualität müssten als Entscheidungsfaktoren miteinbezogen werden. Das ist ein langwieriger Prozess. Wenn es zu diesem Umdenken kommt, wird automatisch mit Holz gebaut und damit lebt auch meine Vision von einer schönen Zukunft. Politiker und Entscheidungsträger müssen sich darüber im Klaren sein, dass wichtige Entscheidungen nicht für die nächste Wahl getroffen werden. Es geht um Generationen und darum, in dieser Zeitspanne zu denken.

Könnte man diesbezüglich auch von der Holzinitiative des bundesweiten Waldfonds profitieren?
Der Waldfonds ist eine super Chance. Auch wir haben bereits unsere Fühler ausgestreckt, um den Holzbau voranzubringen. Laut Bundesministerium wurden bereits 64 Projekte bewilligt. Durch die Förderung des großvolumigen Holzbaus werden neben der ökologischen Wirkung – Substitutionswirkung, Kohlenstoffspeicherwirkung – auch die regionale Infrastruktur – zum Beispiel Kindergärten, Schulen – sowie die Beschäftigung in den Regionen vom Wald bis zum Holzbau gestärkt. Eine tolle Sache. Mein Appell an die Politik lautet hier jedoch, rechtzeitig Folgeprojekte auf den Weg zu bringen.

Weil unser derzeitiger Heftschwerpunkt „Best of Timber“ ist: Was war das bislang größte Holzbauprojekt, an dem Sie beteiligt waren?
In meiner Funktion als Landesinnungsmeister bin ich leidenschaftlich bei allen großen Holzbauprojekten in der Steiermark dabei. In Graz waren es mehrere sechsgeschossige Wohnprojekte, die wir verwirklichen konnten. Darauf können wir stolz sein. Ich bin außerdem ein großer Fan von Leuchtturmprojekten wie dem HoHo Wien oder dem Pyramidenkogel in Kärnten. Diese schaffen es schneller in nicht fachspezifische Medien und machen gute Werbung für den Holzbaustandort Österreich. Davon profitieren dann auch kleinere Holzbauprojekte. Wenn man es schafft, Holzbau in Form von ganzen Stadtteilen umzusetzen, schafft man Umwegrentabilität über Architekturtourismus. Denn dann strömen Architekturstudenten, Bauherren oder Holzbauschaffende aus ganz Europa nach Österreich. Das bringt enorm viel für unser Image im Ausland. 

Zur Person

Der gelernte Zimmermeister ist seit 1994 Geschäftsführer und Eigentümer von Holzbau Hirschböck. Oskar Beer, der 30 Mitarbeiter in Hartberg beschäftigt, ist ebenfalls anerkannter Sachverständiger und führt als steirischer Landesinnungsmeister die Geschicke einer Branche, die trotz widriger Umstände in den vergangenen Jahren wirtschaftlich gut dasteht. „Ich freue mich, dass ich die Interessen des Holzbaus betreuen darf, ein Handwerk, das wegen seiner Nachhaltigkeit einen steilen Aufstieg erlebt“, so Beer. Der steirische Holzbau umfasst 408 Mitglieder.