Die Biologie als Vorbild

Ein Artikel von Birgit Gruber | 20.07.2021 - 09:12
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© ICD/ITKE/IntCDC Universität Stuttgart

Das Bauwesen steht derzeit vor den Herausforderungen, künftig weniger Ressourcen zu verbrauchen und auf eine nachhaltige Entwicklung umzustellen. Hierfür bedarf es neuer Ansätze in der Architektur bezüglich des Einsatzes von nachwachsenden Rohstoffen. In einem gemeinsamen Projekt haben Forschende der Universitäten Freiburg und Stuttgart sowie Masterstudierende der Universität Stuttgart einen Leichtbaupavillon entworfen. Mit diesem – nach dem Freiburger Exzellenzcluster „Living, Adaptive and Energy-autonomous Materials Systems (livMatS)“ benannten – „livMatS Pavillon“ im Botanischen Garten der Universität Freiburg präsentiert das Team ein Modell für eine echte Alternative zu konventionellen Bauweisen. Das Bauwerk veranschaulicht, wie durch eine Kombination von natürlichen Materialien mit fortschrittlichen digitalen Technologien eine einzigartige bioinspirierte Architektur ermöglicht wird. Die tragende Struktur des Pavillons besteht aus robotisch gewickelten Flachsfasern, einem von Natur aus nachwachsenden und biologisch abbaubaren Material.

Effizienter Leichtbau mit Naturfasermaterialen

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© ICD/ITKE/IntCDC Universität Stuttgart

Im Gegensatz zu Glas- oder Kohlestofffasern und auch zahlreichen anderen Naturfasern sind Flachsfasern regional verfügbar und wachsen in jährlichen Erntezyklen. Sie sind in ihren mechanischen Eigenschaften mit synthetischen Glasfasern vergleichbar; sie bieten eine ähnliche spezifische Steifigkeit, aber mit einer viel geringeren grauen Energie. Die tragende Struktur des livMatS-Pavillons besteht aus 15 Flachsfaserelementen, die ausschließlich aus endlos gesponnenen Naturfasern in einem robotergestützten, kernlosen Faserwickelprozess vorgefertigt wurden. Die Elemente variieren in ihrer Gesamtlänge zwischen 4,5 bis 5,5 m und wiegen im Durchschnitt nur 105 kg. Die gesamte Faserkonstruktion wiegt bei einer Gesamtfläche von 46 m² nur ca. 1,5 t und ist für die vollen Schnee- und Windlasten der gültigen Bauvorschriften ausgelegt.

Kakteen als Inspirationsquelle

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© ICD/ITKE/IntCDC Universität Stuttgart

Als Inspiration für den livMatS-Pavillon dienten der Saguaro-Kaktus (Carnegia gigantea) und der Feigenkaktus (Opuntia sp.), die sich durch ihre besondere Holzstruktur auszeichnen. Der livMatS-Pavillon wird für die nächsten fünf Jahre als Veranstaltungsort für Angebote der Universität Freiburg eingesetzt, die den Botanischen Garten im Rahmen des Konzepts „Learning from Nature in Nature“ als Forschungs- und Lehreinrichtung nutzt. Da das Bauwerk Umwelteinflüssen direkt ausgesetzt ist und Naturfasern generell anfälliger als synthetische Fasern auf solche sind, wurde der Pavillon mit einer wasserdichten Haut aus Polycarbonat eingedeckt, die nicht nur die Besucher vor Wetter schützt, sondern auch die Faserkomponenten vor direkter UV-Strahlung und Feuchtigkeit durch Regen oder Schnee.

Quelle: Universität Stuttgart