Der moderne Holzbau: Handwerk + Technologie 1/2

Ein Artikel von Raphael Zeman | 31.08.2021 - 08:47

Das Holzbaulabyrith

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Perspektivisches Schaubild © TU Graz (Institut für Architekturtechnologie)

Das Masterstudio Holzbau der Professur für Architektur und Holzbau an der TU Graz trug im Sommersemester 2020 den Titel „Multiplicity Berlin – Konzepte zur Erweiterung der Reinbeckhallen in Berlin-Oberschöneweide“. Geleitet wurde es von Prof. Tom Kaden
und Stephan Brugger. Darin waren die Studenten aufgefordert, einen Zu-, Auf- oder Neubau in Holzhy-
brid- oder reiner Holzbauweise zu entwerfen. Das hier vorgestellte Projekt stammt von Kevin Ho, der 2021 seinen Master an der Chinese University of Hongkong abschloss und im Sommer 2020 ein Austauschsemester in Graz absolvierte.

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Kevin Ka Ho © Kevin Ka Ho

Das Setting

Berlin sieht sich mit Gentrifizierung konfrontiert. Der Begriff Gentrifizierung beschreibt, dass bedingt durch Wohnungsmangel Leerstände erschlossen und Viertel durch ihre neuen Bewohner aufgewertet werden. In weitere Folge werden jene, die das Quartier wieder „chic“ gemacht haben – meist vor allem Studenten und Künstler – durch den Immobilienmarkt verdrängt, der nun auf zahlungskräftigeres Publikum abzielt. Die Berliner Reinbeckhallen sind ein solches Viertel. Hier wurde ein ehemaliger Industriestandort in ein lebhaftes, kreatives, innovatives Areal verwandelt. Nun will aber die Stadt gemeinsam mit dem Besitzer das Abwandern der Künstler im Quartier verhindern und einen langfristigen Stadtentwicklungsprozess fördern. Dafür sollen die Studenten Erweiterungsmöglichkeiten im Sinne einer weiterführenden bzw. ergänzenden Nutzung planen. Dabei soll ein Zu-, Auf- oder Neubau in Holzhybrid- oder reiner Holzbauweise entstehen, der gemeinsam mit den umliegenden Freiflächen als neues, kreativ bespielbares und produktives Kulturzentrum fungiert.

Sechseck vs. Rechteck

Das von Kevin Ho entworfene „A-Maze“ ist ein dreigeschossiger, multifunktionaler Holzneubau aus hexagonalen Modulen. Durch die sechseckige Formsprache will Ho ein ganz eigenes Raumerlebnis schaffen und die Grenzen sowohl zwischen Privatem, Öffentlichkeit und den Verbindungsräumen als auch dem Innen und Außen verwischen. Das Wortspiel im Projekttitel („to amaze“ bedeutet „begeistern“, „maze“ ist ein Labyrinth) ist dabei Programm. Die Raumanordnung als Labyrinth soll die Nutzer darin bestärken, zu erforschen und sich auszutauschen. Die Gesamtkubatur des Gebäudes ist allerdings rechteckig und sorgt damit einerseits für einen Kontrast zwischen Innen- und Außenraum, und schafft andererseits zwei neue Plätze. Einer davon liegt zwischen den Reinbeckhallen und beinhaltet einen Marktplatz sowie ein Picknickareal. Der andere ist ruhiger gelegen, weist mehr Bepflanzung auf und soll Raum für Kunstinstallationen bieten.

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Grundriss EG © TU Graz (Institut für Architekturtechnologie)

Flexibilität durch Wiederholung

Die einzelnen Geschosse von „A-Maze“ haben unterschiedliche Programme und Funktionen. Das Erdgeschoss bietet Ausstellungsflächen, ein Café und einen Hof. Im ersten Obergeschoss befinden sich Leseräume sowie private und gemeinschaftliche Büros. Diese sind durch ihre öffenbaren, vier Meter großen Falttüren flexibel und erweiterbar. In diesem Stockwerk soll ein kreativer Austauschprozess möglich sein. Das oberste Geschoss beinhaltet neben einer Bar ein Fitnessstudio und zwei kleine Bühnen – zwei Funktionen, die in der unmittelbaren Umgebung der Reinbeckhallen noch fehlen und so das Gesamtkonzept komplettieren. Die Konstruktion setzt sich aus lastabtragenden Brettschichtholzstützen und -trägern, Liftschächten, spiralförmigen Stiegenhäusern in den Ecken sowie den Trennwänden der Module zusammen. Durch den hohen Wiederholungsgrad der Bauelemente ist ein großes Vorfertigungspotenzial vorhanden.

„Vor meinem Austauschsemester an der TU Graz war ich gegenüber Holzbaukonstruktionen eher skeptisch, da es so etwas in Hongkong fast nicht gibt. Durch das Studium bei Prof. Tom Kaden und unserem Projektleiter Stephan Brugger habe ich allerdings die Vorzüge der Bauweise kennengelernt. Sie ist nicht nur klimafreundlich, sondern bei geringem Gewicht auch äußerst robust. Die Möglichkeiten und vor allem die Vielfältigkeit, die der Holzbau bietet, haben definitiv mein Interesse geweckt“, erinnert sich Ho an seine Zeit in Graz zurück.

Von der Planung bis zur Ausführung

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© BOKU Wien

Am Institut für konstruktiven Ingenieurbau an der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU) wurde 2021 zum zweiten Mal die Lehrveranstaltung „Digitale Planung und automatisiertes Bauen“ abgehalten. „Unser Institut war in der Vergangenheit vom Betonbau geprägt – ich beschäftige mit nun als Erster intensiver mit dem konstruktiven Holzbau“, erzählt Prof. Dr. Benjamin Kromoser, der das Projekt leitete.

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© BOKU Wien

Fachwerkpavillon ausschließlich aus Holz

Gemeinsam mit Teilnehmenden der Masterstudien Kulturtechnik und Wasserwirtschaft sowie Holztechnologie und -management wurde in der Lehrveranstaltung ein Fachwerkpavillon ausschließlich aus Holz gefertigt. Die Studenten haben dabei den gesamten Prozess von der CAD/CAM-Planung bis zum Aufbau durchlaufen. Ausgangspunkt war ein CAD-Modell, aus dem die Fräsdaten für die automatische Fertigung extrahiert wurden. Diese wurden anschließend im Roboterlabor in Groß-Enzersdorf in den institutseigenen Industrieroboter eingepflegt, mit dem die Bauteile dann bearbeitet wurden. Im angrenzenden Versuchsgarten der BOKU wurde dann der Pavillon von den Studenten eigenhändig errichtet. Dabei kamen Stäbe aus Fichtenkonstruktionsvollholz und eingeschnitzte Knotenplatten aus 18 mm dickem Buchensperrholz, die mit Buchenmassivdübeln fixiert wurden, zum Einsatz. Der Pavillon wird in weiterer Folge – wie auch schon die Fachwerkträger aus dem letztjährigen Projekt – vom Institut für Ingenieurbiologie und Landschaftsbau für Forschungszwecke genützt. Mit einer Begrünung will man testen, wie sich das Material in Verbindung mit einer Bepflanzung verhält bzw. entwickelt.

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Die Studenten beim Aufrichten des Pavillons. © BOKU Wien

Der Planet wird es uns danken

Martin Ortmair war einer der Teilnehmer des Projekts. Vor dem Studium der Kulturtechnik und Wasserwirtschaft hat er zwei technische Lehrberufe erlernt, weshalb ihm praktische Lehrveranstaltungen im Curriculum sehr wichtig sind. „Ich hatte schon immer einen sehr guten Zugang zu Holz und bin ein Fan von Holzbau. Wenn man die Materialeigenschaften kennt und ordnungsgemäß damit umgeht, lässt sich mit Holz ausgezeichnet und langlebig bauen“, befindet er. Das Projekt habe ihn in seinen Überlegungen, im Bereich des automatisierten Bauens im Leichtbau sehr gefördert. „Falls es mir nach dem Abschluss meines Masters möglich ist, einen Job im Holzbau zu bekommen, sehe ich keinen Grund, nicht in diesem Bereich zu Arbeiten. Der Planet wird es uns danken“, so der Student.

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© BOKU Wien

Praktische Erfahrung mit Material

Das Projekt wurde nicht nur wegen der langen Inaktivität aufgrund der Pandemie äußerst gut aufgenommen. „Diese Lehrveranstaltung war eine Herzensangelegenheit für mich. Ich habe es bereits versprochen, als ich die Stelle damals angenommen habe“, zeigt sich Kromoser sichtlich erfreut. „Es war schon immer ein Thema der BOKU, die gesamte Prozesskette abzubilden. Handwerk, Digitalisierung und Automatisierung schließen einander nicht aus, sondern sollen sich zusammen weiterentwickeln. Deswegen war mir auch die praktische Umsetzung durch die Studenten wichtig – sie brauchen diese Erfahrung, zu wissen, wie sich der Baustoff bearbeiten lässt, unter Belastung verhält und wie der Produktionsablauf funktioniert.“ Denn der Holzbau komme aus dem Handwerk und man müsse sich überlegen, wie man die klein strukturierten Betriebe mit ihrem großen Knowhow gemeinsam in die Zukunft führt. Dazu brauche es auch bessere Ausbildungsmöglichkeiten. „Wie soll man mit Holz bauen, wenn die Fachkräfte für die Berechnung und Ausführung fehlen?“, stellt Kromoser in den Raum. Daher arbeite die BOKU daran, den Sektor Holzbau noch besser in der Lehre abzubilden.

Ressourcenknappheit erfordert Weiterentwicklung

An oberster Stelle steht für den jungen Professor die Materialeffizienz. Diese sei in seinen Augen vor allem über eine fortschreitende Strukturoptimierung zu erreichen: „Die Massivbauweise hat einen wichtigen Impuls gegeben, nun müssen wir uns aber weiterentwickeln. Zukunftsweisend sehe ich auch wieder eine Orientierung in Richtung Rahmenbauweise.“

Einen ersten Schritt hinsichtlich Ressourceneffizienz setzt die BOKU mit der neu gegründeten Doktoratsschule „Build.Nature“. Diese besteht aus einem Team von Professoren, die vom Forst über die Materialtechnologie hin zur Konstruktion die gesamte Branche abdecken und nach neuen Lösungen in Sachen ressourceneffizientem Bauen suchen.

 

Lesen Sie nächste Woche Teil 2. Darin werden eine Masterthesis am Überholz-Lehrgang der Kunstuniversität Linz und eine Dissertation an der Universität Liechtenstein vorgestellt.