Dr. Ipek Ölcüm, Geschäftsführerin Industrieverband Lehmbaustoffe e.V., Fachanwältin für Bau- und Architektenrecht, Wirtschaftsmediatorin (IHK) © Stefan Schulze
Das Duo ist nicht nur wegen der ökobilanziellen Optimierung aktueller denn je. Es hat auch vor dem Hintergrund des kreislauffähigen und ressourcenschonenden Bauens im Hier und Jetzt viel zu bieten. Besonders der Klimawandel rückt die bauphysikalischen Eigenschaften, die den Lowtech-Ansatz ermöglichen, in den Vordergrund: die natürliche Klimatisierung wird durch den Feuchte- und Temperaturausgleich unterstützt, der Einsatz von Gebäudetechnik kann reduziert werden und die mineralische Speichermasse je nach gewählter Konstruktion auch den Schall- und Brandschutz unterstützen.
Über die Eigenschaften des Holzes braucht es in diesem Magazin keine gesonderten Ausführungen. Da der Lehm aber vorliegend einen Gastauftritt hat, sollen zunächst seine Eigenschaften (1.), die industrielle Verfügbarkeit in innovativer Gestalt (2.) sowie das sinnvolle Zusammenwirken beider Baustoffe in der gebotenen Kürze (3.) dargestellt werden.
1. Eigenschaften von Lehm
Lehmbaustoffe trocknen ohne einen Brennprozess oder chemische Abbindung und sind kreislauffähig. Ihre Herstellung ist energiearm, sodass sie den Treibhausgasausstoß im Bausektor senken können. Lehm ist hygroskopisch: Er reguliert die Luftfeuchtigkeit – ganz ohne oder mit reduzierter Lüftungstechnik. Das verbessert das Wohnklima und fördert die Aufenthaltsqualität. Auch energetisch überzeugt Lehm: Er speichert Wärme und Kälte, was Heizkosten im Winter und Kühlkosten im Sommer reduziert. Lehm ist regional verfügbar und wird heutzutage industriell zu Lehmstein, -mörtel, -putz oder Lehmtrockenbauplatten verarbeitet. Auch Fertigbauteile für die Wand aus Lehmstein oder Stampflehm sowie für Deckenkonstruktionen mit Holz aus Lehmsteinen, Stampflehm oder Fließlehm sind heute verfügbar und spiegeln die innovative Weiterentwicklung wider. Lehm ergänzt zudem andere Baustoffe für einen besseren Brand- und Schallschutz. Auch tragendes Lehmsteinmauerwerk ist heute wirtschaftlich darstellbar und durchaus mit Holz kombinierbar. Lehm ist kein neuer, aber ein in innovativer Form wiederentdeckter Baustoff. Seine industriellen Anwendungen sind inzwischen etabliert – genutzt wird das Potenzial aber noch zu selten. Zudem sind Baustoffe aus Lehm ohne chemische Zusätze oder Schadstoffe.
2. Industrielle Verfügbarkeit in innovativer Gestalt
Das „Haus 4“ aus Holz und Lehmstein auf dem B&O Bau Konversionsgelände in Bad Aibling. © Dr. Ipek Ölcüm
Lehm ist grundsätzlich als nicht brennbar (A1) gemäß DIN 4102-4 klassifiziert soweit der Anteil an Organik geringer als 1 % ist. Die Normenreihe des DIN (Deutsches Normungsinstitut) für Lehmbaustoffe (DIN 18942-1, 18942-100 und DIN 18945 bis 18948) liegt mittlerweile in dritter Generation vor und hat sich in der Praxis nicht nur bewährt, sondern wird auch von anderen europäischen Ländern zum Vorbild genommen.
2.1 Lehmsteinmauerwerk – tragend und nicht-tragend
Holztragkonstruktionen können mit tragendem oder nicht-tragendem Lehmsteinmauerwerk kombiniert werden. Umgesetzt wurde dies bereits 2023/24 von Florian Nagler Architekten für den Bauherrn B&O Bau in Bad Aibling im vierten Haus der Serie „einfach Bauen“, mit der Folge, dass erhebliche Haustechnik eingespart werden konnte. Ausweislich der Bemessungsnorm DIN 18940:2023 geht tragendes Lehmsteinmauerwerk bis 13 m Höhe. Die vorstehend genannte Bemessungsnorm ist analog dem EC 6 aufgebaut. Unter Einhaltung in der Norm geregelter Wanddicken ist für Lehmsteinmauerwerk eine Feuerwiderstandsdauer von REI 30 und REI 60 nachgewiesen und in Deutschland wurde zuletzt sogar eine Brandwand mit REI 90 erfolgreich geprüft. Auch elementiertes Lehmsteinmauerwerk kann heute maßgefertigt und direkt auf die Baustelle geliefert werden.
2.2 Lehmplatten
Lehmplatten sind in Deutschland ebenfalls genormt (DIN 18948:2024) für Bekleidungen und Beplankungen. Zur Regelung des Feuerwiderstands hinsichtlich verschiedener allgemeingültiger Konstruktionen braucht es noch Prüfungen. Ausgewählte Hersteller haben für verschiedene Konstruktionen im Rahmen von Brandschutz-Versuchsanordnungen Feuerwiderstandsdauern bis zu REI 120 nachgewiesen. Bauvorhaben, in denen Lehmplatten in allen Gebäudeklassen für die Beplankung oder brandschutztechnisch wirksame Bekleidung verwendet werden, sind Realität und laden zum Nachmachen ein.
2.3 Flächenheizungen mit Lehm
Besonders Konstruktionen mit Lehm wie Flächenheizungs- und -kühlungssysteme für Wände bzw. Decken, die mit einem so genannten Niedertemperatursystem (Wärmepumpe) funktionieren und die Energieeffizienz steigern, erfreuen sich zunehmender Beliebtheit.
2.4 Lehmfertigteile, Geschoßdecken und elementiertes Bauen mit Lehm
Auch die Entwicklung der Holz-Lehm-Hybridkonstruktionen als Geschoßdecken, die im Holzbau für die ergänzende thermische Speichermasse sowie den Brand- und Schallschutz sorgen, stehen im Zeichen eines heute schon zukunftsfähigen Bauens. Neben Holz-Beton-Deckenkonstruktionen sind also durchaus Holz-Lehm-Konstruktionen möglich. Dabei gibt es dafür drei Varianten: Lehmsteineinhängeziegel, Fließlehm sowie Stampflehm in Kombination mit unter anderem Holz, wobei wirtschaftlich darstellbar vor allem die ersten beiden Varianten sein dürften. Schließlich sind heute auch Stampflehmfertigwände maßangefertigt möglich.
3. Fazit: Warum die Kombination besonders gut ist
Besonders die möglichen Synergien von Feuchte-, Wärme-, Brand- und Schallschutz auf einer natürlichen Basis bringen die Vorteile der Kombination im Sinne des CO2-armen, zirkulären und klimaresilienten Bauens zusammen. Lehm und Holz sind komplementär zueinander. Sie ergänzen sich hervorragend sowohl in tragenden als auch nicht-tragenden Bauteilen, um einerseits den Holzverbrauch moderat zu halten und damit Ressourcen zu schonen und andererseits die für den energiesparenden Gebäudebetrieb notwendige thermische Masse zur Verfügung zu stellen. Der Kreativität der im Bau- und Immobiliensektor Tätigen sind dabei weder bei Decken- noch Wandkonstruktionen Grenzen gesetzt – sowohl im Neubau, als auch beim Bauen im Bestand.
Die Kombination Holz und Lehm vereint nicht nur Tradition und Moderne, sondern ist ressourcenschonend, kreislauffähig und energiearm. Industrielle Lösungen machen Lehm planungssicher und wettbewerbsfähig. Insofern liegt es an den Planern und Planerinnen, ihr Silodenken zu durchbrechen und den wiederentdeckten innovativen Lehmbaustoffen mehr Raum zu geben.