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Weiche Schale, harter Kern: Holzhybridkonstruktionen

Ein Artikel von Stefan Leitner, Engelbert Schrempf | 04.04.2022 - 09:13

Von Ludwig Mies van der Rohe ist ein Statement überliefert, das den Nagel auf den Kopf trifft: „So besitzt jedes Material seine besonderen Eigenschaften, die man kennen muss, um mit ihm arbeiten zu können.“ Es kommt also auf die richtige Mischung an.

Was ist ein Holzbau?

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Stefan Leitner, Geschäftsführung holzbau austria | Bildung   © Alois Endl

Laut § 149 der österreichischen Gewerbeordnung dürfen Holzbau-Meister Holzbauarbeiten nicht nur ausführen. Sie sind auch berechtigt, Bauten, die ihrem Wesen nach Holzkonstruktionen sind, selbstständig sowohl zu planen und zu berechnen als auch den Bau zu leiten und die Bauaufsicht durchzuführen. Ab wann ein Gebäude „seinem Wesen nach eine Holzkonstruktion“ ist, ist individuell zu beurteilen. Eine Arbeitsgruppe der Bundesinnung Holzbau hat die folgende Formulierung gefunden:

Die Eigenschaft eines Bauwerks oder neuen Bauwerksteils als Holzkonstruktion ist gegeben, wenn wesentliche Bauteile (Wände, Decken oder Tragelemente) überwiegend aus dem Baustoff Holz oder als Hybridbauteil (ein für die Gesamtkonstruktion wesentlicher Holzanteil) errichtet werden.

Formen der Mischung

  • Geschossweise Mischung (z.B. Keller)
  • Sektorale Mischung (z.B. Stiegenhaus)
  • Trennung von Tragstruktur und Gebäudehülle (z.B. vorgesetzte Fassadenelemente)
  • Mischung von Bauteilen (z.B. mineralischer Bau mit Holzdecke)
  • Verbundkonstruktionen (z.B. Holz-Beton-Verbund oder auch historischer Fachwerkbau)

Holzhybrid: Maßanzug aus Holz

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Holzbau-Meister Engelbert Schrempf, Geschäftsführung holzbau austria | Technik

In diesem Beitrag werden Hybridbauten im Sinne einer Trennung von Tragstruktur und Gebäudehülle exemplarisch herausgegriffen (Skizze farbig unterlegt). Viele der dargestellten Themen und Anforderungen betreffen aber alle Formen von Hybridkonstruktionen. Die tragende Funktion und die Lastableitung wird bei dieser Form der Mischung vom inneren mineralischen Gebäudetragwerk übernommen, während die Fassadenelemente aus Holz den Raumabschluss und verschiedene bauphysikalische Aufgaben übernehmen. Auch in der Sanierung von bestehenden mineralischen Gebäuden kommen diese Systeme zur Anwendung.

Im Bereich des mehrgeschossigen Bauens gelten Stahlbeton-Rohbauten, meist in Skelett- oder Schottenbauweise, kombiniert mit einer qualitativ hochwertigen, hoch gedämmten und vorgefertigten Außenhülle aus Holz als besonders effizient. Die Gebäudehülle in Holzbauweise und die Tragstruktur aus Stahlbeton werden dabei funktional getrennt und übernehmen unterschiedliche Aufgaben. Baurechtlichen Anforderungen hinsichtlich der Brennbarkeit der Tragkonstruktion kann so einfach Genüge getan werden, weshalb diese Bauform in höheren Gebäudeklassen besonders häufig angewandt wird. Für die Befestigung der vorgefertigten Holzelemente wird zwischen drei gängigen Anschlussvarianten unterschieden: „vorgestellt“, „vorgehängt“ und „eingestellt“. Die vorgefertigten Elemente können sowohl als Tafelelemente in Brettsperrholz als auch in Holzrahmenbauweise ausgeführt werden (s. Tabelle).

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Anschlussvarianten nichttragender Fassadenelemente

Herausforderung Gewerkeschnittstelle

Der Schnittstelle Gewerke sollte besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Ein mineralischer Bau mit höheren Maßabweichungen, langsamerem Bauablauf und langen Trockenzeiten trifft auf den präzisen, vorgefertigten und von Beginn an trockenen Holzbau, den es allerdings im Bauablauf vor Feuchtebeanspruchung zu schützen gilt.

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Sieben Holzhybridbauten, geplant von roedig.schop architekten, errichtete die HOWOGE Wohnungsbaugesellschaft in Berlin. © Stefan Müller

Wie umgehen mit Maßabweichungen?

Die Vorfertigung der Holzfassadenelemente im Werk bedingt im Vorfeld eine Berücksichtigung von möglichen Maßabweichungen. Fugen und Ausgleichsmöglichkeiten von zulässigen Ungenauigkeiten müssen in der Detailplanung berücksichtigt werden. Holzhybridbauten sollte deshalb immer ein Toleranzkonzept zugrunde liegen, das besonders die folgenden Aspekte berücksichtigt:

  • Maßtoleranz in der Fertigung
  • Maßtoleranzen in der Montage
  • Maßtoleranzen durch Formveränderungen (Durchbiegung, Kriechen, Temperatur, …)

Welche Maßabweichungen sind erlaubt?

Lange Zeit wurden in Österreich dafür weitestgehend die Regelungen aus den Deutschen Normen übernommen und als ÖNORM DIN 18202 – Toleranzen im Hochbau – Bauwerke (letzte Version 2013) herausgegeben. Auch die ÖN B 2215 (2017) – Holzbauarbeiten Werkvertragsnorm enthält bei den Toleranzen einen dynamischen Verweis auf die ÖN DIN 18202. Das Fehlen der Angabe einer bestimmten Version wird als dynamischer Verweis bezeichnet und bedeutet, dass die aktuell gültige Ausgabe zur Anwendung kommt.

Im November 2019 wurde die ÖN DIN 18202 ersatzlos zurückgezogen, was bedeutet, dass es seit diesem Zeitpunkt keine österreichische Norm zu Toleranzen im Hochbau mehr gibt. Als Nachfolgenorm kann laut Austrian Standards International die aktualisierte Deutsche Norm DIN 18202 (2019) angesehen werden.

Für das Bauen mit vorgefertigten Bauteilen sind laut ÖN B 2215 die Grenzabweichungen für Maße, die Grenzwerte für Winkelabweichungen und die Grenzwerte für Ebenheitsabweichungen für den Untergrund gemäß ÖNORM DIN 18202 zu halbieren

Reparatur in Aussicht

Am 01.01.2022 wurde der Entwurf der neuen ÖNORM DIN 18202 zur Stellungnahme aufgelegt. Der Entwurf ist wieder ident mit der DIN 18202:2019. Mit einer Herausgabe der Norm ist im ersten Halbjahr 2022 zu rechnen. Im derzeitigen Entwurf der ÖNORM DIN 18202 gibt es neben der redaktionellen Überarbeitung auch Änderungen in den Begriffen sowie Ergänzungen zu den für die Prüfung verwendeten Messpunkten gegenüber der Ausgabe von 2013. Zwei wesentliche Grundsätze der Norm:

  • Toleranzen dienen zur Begrenzung der Abweichungen von den Nennmaßen, der Größe, Gestalt und der Lage von Bauteilen und Bauwerken.
  • Die Einhaltung von Toleranzen ist erforderlich, um trotz unvermeidlicher Ungenauigkeiten beim Messen, bei der Fertigung und bei der Montage die vorgesehene Funktion zu erfüllen und das funktionsgerechte Zusammenfügen von Bauwerken und Bauteilen des Roh- und Ausbaus ohne Anpass- und Nacharbeiten zu ermöglichen.

Lösungsvorschläge für Holzhybridbauten

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Anschlussdetail Decke / Wand, Gebäudeklasse 5 (Deutschland); Quelle: Stein, TU München 2016

Lösungsansätze und ein umfassender Konstruktionskatalog wurden im Forschungsprojekt „Fassadenelemente in Hybridbauweise“ von der TU München 2016 entwickelt. Unter anderem wurde dabei die Schallübertragung über die Flanken gemessen. Bei der Variante „vorgestellt“ wird aufgrund der Untersuchungen die Anordnung einer Vorsatzschale empfohlen. Auch im Brandschutz ist vor allem der Knotenpunkt Decke-Außenwand zu beachten. Dieser muss die Einhaltung des erforderlichen Feuerwiderstandes (z.B. EI 60, EI 90) der jeweiligen Gebäudeklasse gewährleisten. Hier wird eine stirnseitige Randdämmung aus Mineralwolle (Schmelzpunkt >= 1000° C) vorgeschlagen, die auf der Deckenober- und der Unterseite mit einer luft- und rauchdichten Abklebung versehen wird. Außerdem wurde ein Wärmebrückenkatalog für Bauteilanschlüsse ausgearbeitet.

Quellen und weitere Infos:

Fischer, Lang, Winter, Hybridbau Holzaußenwände, Detail Praxis, 2019; 
Stein, R., et al Fassadenelemente für Hybridbauweisen, TU München Lehrstuhl für Holzbau und Baukonstruktion, München 2016;
Dederich L., Koch J. Holzkonstruktionen in Mischbauweise, Informationsdienst Holz Holzabsatzfonds, Bonn 2006;
Teibinger M.; Edl T. Holz-Mischbau im urbanen Hochbau / Holzmischbau im urbanenHochbau – Detailkatalog, Holzforschung Austria, Wien 2003 und 2005;
ÖN B 2315 Holzbauarbeiten, Werkvertragsnorm, Austrian Standards International, Wien 2017;
Entwurf ÖN DIN 18202 - Toleranzen im Hochbau – Bauwerke; Austrian Standards International, Wien 2021