„Wir müssen unsere Schulden zurückzahlen“

Ein Artikel von Birgit Gruber | 04.08.2022 - 09:49

Holzbau macht meiner Meinung nach nur dann Sinn, wenn wir mit Bauteilen arbeiten, die unter Dach vorgefertigt und auf der Baustelle nur noch zusammengefügt werden.


Martin Aichholzer

Sie beschäftigen sich seit 30 Jahren mit dem Thema Holzbau. Mit ihrem Büro haben Sie schon recht früh die Liebe zum Holz entdeckt. Woher kommt diese Leidenschaft und was macht für Sie das Material Holz so besonders?

Das Wort Holz steckt ja schon in meinem Namen und ist somit Programm (lacht). Es ist aber auch nicht bloßer Zufall, dass ich mich schon während meiner Studienzeit für das nachhaltige Material interessiert habe. Mein Onkel war Holzindustrieberater und hat mir schon früh Themen wie Digitalisierung oder neue Technologien nähergebracht. Dank ihm konnten wir 1995 auch unser erstes Projekt in Holzbauweise umsetzen: einen Pavillon für die Landesausstellung in Murau. Wir waren damals sehr stolz, als dieser am 5. Mai – an diesem Tag haben wir auch unser Architekturbüro gegründet – von Bundespräsident Thomas Klestil eröffnet wurde. Heute gibt es für uns absolut keine Alternative zu Holz.

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Martin Aichholzer, Architekt und Studiengangsleiter an der FH Campus Wien © FH Campus Wien / Schedl

Was hat sich seit damals verändert? Nicht nur in Bezug auf die Technologie, sondern vor allem in den Köpfen der Menschen?

In unseren Anfangszeiten haben wir sehr viel mit Privatkunden gebaut. Das war einfach. Die sind auf uns zugekommen und wollten mit Holz bauen, dabei mussten wir keine Überzeugungsarbeit leisten. Mittlerweile weiß auch schon der Großteil der Menschen, die mit Holz bauen wollen, dass viele Vorurteile nicht halten. Die Unsicherheiten liegen heute ganz woanders. Um mit Holz bauen zu können, muss man sich zusätzlich zu seinem Kerngebiet in vielen Randbereichen auskennen. Holz brennt. Stimmt. Holz ist beim Schallschutz ziemlich herausfordernd. Stimmt. Holz hat bei Feuchtigkeit Probleme. Stimmt auch. Aber wenn ich weiß, wie ich diesen Herausforderungen begegne, kann ich sie alle lösen.

Sie schreiben auf Ihrer Website: Moderner Holzbau eröffnet uns Vielfalt und Flexibilität beim Planen. Was ist Ihrer Meinung nach die wahre Stärke des Holzbaus?

Der hohe Vorfertigungsgrad ist das absolute Zugpferd des modernen Holzbaus. Nichts anderes. Ich bringe Teile auf eine Baustelle, die eigentlich keine mehr ist. Die Baustelle wird damit zur reinen Montagestelle, was weitere Vorteile wie Lärm- und Kostenreduktion, Sauberkeit und Geschwindigkeit impliziert. Holzbau macht meiner Meinung nach nur dann Sinn, wenn wir mit Bauteilen arbeiten, die unter Dach vorgefertigt und auf der Baustelle nur noch zusammengefügt werden. Wir müssen uns dabei ganz stark fragen: Wie kann ich auf einen Level kommen, der einer industrialisierten Produktion mit möglichst hohen Qualitätsstandards entspricht? Ähnlich wie in der Automobilindustrie. Dadurch können wir beim Neubau auch Arbeitskräfte sparen, die wir in Zukunft ohnehin für Sanierungen brauchen werden.

Forschungsprojekte

FFG Qualifizierungsseminar sus^build
Ziel des fachübergreifenden Qualifizierungsprojekts „sus^build“ ist es, mit KMU Grundlagen, Lösungsansätze und Kompetenzen für eine umfassende, klimaresiliente und klimaneutrale Planung mit Blick auf den gesamten Lebenszyklus des Gebäudes aufzubauen. Begleitend werden die lessons learned am Beispielobjekt Haus des Lernens (ökologisches Leuchtturm-Projekt der GESA, St. Pölten) gemeinsam diskutiert.

„Holzbau 4.0“ verfolgt das Ziel, Lösungsansätze zu kooperativen und systematisierten Arbeitsweisen im mehrgeschossigen Holzbau gemeinsam mit ausführenden KMU zu entwickeln. Durch intelligent verknüpfte Produktionsstätten können Synergieeffekte und Effizienzsteigerungen erreicht werden, um die Kleinteiligkeit der Holzbauunternehmen im großmaßstäblichen Wohnbaumarkt zu kompensieren. Die physische Baustelle, die derzeit noch von handwerklichen Routinen geprägt ist, wird zunehmend zu einer Montagebaustelle, bei der vorgefertigte Bauelemente lediglich zusammengefügt werden. Die Herstellung der Bauteile erfolgt in den smarten Werkhallen der Holzbauunternehmen. Das Projekt trägt dazu bei, solche kollaborativen Abläufe in der Planung, Produktion, Logistik und Montage zu etablieren. Es stellt eine kreative Plattform zum gemeinsamen Ausprobieren der dafür erforderlichen neuartigen Arbeitsweisen dar.

Mehr als ein Jahr Vorarbeit, zahlreiche Workshops und Gespräche mit Unternehmen resultierten im FFG Branchenprojekt „Schall.Holz.Bau III“ mit 16 Unternehmens- und vier Wissenschaftspartnern. „Schall.Holz.Bau III“ zielt darauf ab, Grundlagen für die Entwicklung von schallschutzoptimierten Deckensystemen zu schaffen, die für den kosten- und bauzeiteffizienten Einsatz im industriellen Hochbau geeignet sind. Die Branche profitiert von den Erkenntnissen und Prognosemodellen: Sie versetzen sie in die Lage, im Anschluss Fußbodensysteme zu einem Produkt innerhalb ihres Bausystems zu entwickeln bzw. bestehende Produkte zu optimieren. Das kooperative Vorgehen in der Projektumsetzung mobilisiert die Erfahrungen und Expertisen aller Partner, was wiederum die Zielerreichung vereinfacht. Zudem werden Aufwand und Risiko für alle Partner minimiert und ein Erfahrungsaustausch über die Unternehmensgrenzen hinweg ermöglicht.

natuREbuilt
Ökologisches Bauen vereinfachen – das ist das Ziel von natuREbuilt. Dieses Innovationsnetzwerk besteht aus österreichischen ExpertInnen aus Forschung, Planung und Wirtschaft. Ein interdisziplinäres Team sammelt dabei Erfahrungen rund um Materialien aus nachwachsenden Rohstoffen, prüft unterschiedliche Konstruktionen und stellt daraus neues Detailwissen zur Verfügung. Das Ziel ist, für den mehrgeschossigen Neubau und die Sanierung funktionsfähige Konstruktionen zu finden, die regenerative, rezyklierbare, regionale und resiliente Eigenschaften besitzen. natuREbuilt stellt damit neue entscheidende Fachkenntnisse über konstruktive Details ökologischer Materialien zur Verfügung. Damit können bei AuftraggeberInnen und PlanerInnen Unsicherheiten bei der Verwendung ökologischer Materialien abgebaut werden. Für die Bauwirtschaft bedeuten die Forschungsergebnisse eine Vereinfachung des ökologischen Bauens.
 
Nach.Plan.Bauen ist eine Plattform zur Vermittlung von Wissen zu den unterschiedlichsten Themengebieten des nachhaltigen Bauens. Darüber hinaus dient diese Onlineplattform zur Information über Vorträge, kommende Seminare oder zu den postgradualen Nach.Plan.Bauen-Kursen, welche ab 2023 von der FH Campus Wien angeboten werden. Das Portal nachplanbauen.at ist als Wissens-, Kommunikations- und Innovationsplattform zu relevanten Themen im Bereich der nachhaltigen Architektur und Bauwirtschaft konzipiert. Das Department „Bauen und Gestalten“ der FH Campus Wien sammelt hierfür fächerübergreifendes Wissen aus unterschiedlichen Informationsebenen und -quellen, bereitet dieses Wissen auf und stellt es Interessierten zur Verfügung.

Schließt ein hoher Vorfertigungsgrad Vielfalt aus? Oder anders gefragt: ist serielle Vorfertigung der Tod des individuell Schönen? Schließlich sollten Neubauten doch nicht nur funktional, sondern auch ästhetisch einen Mehrwert haben.

Nein, ganz im Gegenteil. Systematisierung und Standardisierung bedeuten ja nicht, dass alle Gebäude gleich aussehen müssen. Den Fehler haben wir in den 1960er-Jahren mit den Plattenbauten gemacht und selbst dort sieht man hin und wieder Varianz. Wir versuchen bei unseren Projekten, wie zum Beispiel dem Wohnquartier in Obergrafendorf, eine dem Holzbau entsprechende Systematisierung anzuwenden, die durchaus Vielfalt erlaubt. Die dabei verwendeten Module sind für uns keine 3D-Zellen, wie man annehmen würde. Es sind vielmehr virtuelle digitale Bausteine, die wir individuell auf jedes Grundstück übertragen können. Diese Module müssen auch nicht alle die gleichen Abmessungen besitzen. So kann ich unterschiedliche Haustypologien planen, die mit jeder Art von Wohnung kombiniert werden können. Das eröffnet uns so viele Gestaltungsmöglichkeiten. Das Erscheinungsbild eines Gebäudes hängt natürlich auch immer von der Fassade ab. Gerade im Holzbau ermöglicht die hinterlüftete Fassade ein ganz neues Spiel mit der Optik. Es gibt da einfach unzählige Mischvarianten aus den unterschiedlichsten Materialien. Zudem glaube ich, dass systemisches Denken neue Spielräume eröffnet. Denn wenn wir strukturiert vorgehen und effizient planen, sind wir hoffentlich auf der Kostenseite sehr günstig unterwegs und es bleibt so mehr Geld für die Gestaltung übrig.

Was halten Sie von hybriden Bausystemen?

Da bin ich in meiner Meinung für viele wahrscheinlich zu radikal. Sie wird vielleicht aber den einen oder anderen Holzbau-Meister freuen. Warum? Jedes Bauwerk ist ein ökologischer Kredit, den wir aufnehmen. Und was ist bei einem Kredit das Beste? Wenn die Rückzahlrate möglichst gering ist. Und wann ist diese gering? Wenn die Kredithöhe gering ist. Unter Kredit meine ich die CO2-Belastung, die wir mit der Errichtung eines neuen Gebäudes lostreten. Wir haben unsere Umwelt betreffend einen Punkt erreicht, wo wir eigentlich keinen Kredit mehr aufnehmen können, weil wir vollkommen überschuldet sind. Ich spreche bewusst in dieser bildlichen Sprache, da das Thema für mich ein sehr ernstes ist. Wir müssen endlich anfangen, unsere Schulden zurückzuzahlen. Dieses Zurückzahlen funktioniert nicht mit hybriden Bausystemen, sondern nur mit regenerativen Baustoffen. Das natuREbuilt-Forschungsprojekt, an dem ich mitarbeite, zielt genau darauf ab. Wir müssen rein in Holz mehrgeschossig bauen. Wir haben da im Neubausektor eigentlich gar keine andere Wahl mehr. Das sind wir unserer Umwelt und der Zukunft unserer Kinder einfach schuldig.

Sie sprechen vom mehrgeschossigen Holzbau. Was halten Sie von den vielen Leuchtturmprojekten, die weltweit hunderte Meter hoch aus der Erde schießen?

Wolkenkratzer in Holzbauweise halte ich für nicht sehr sinnvoll. Die Masse der Wohnsiedlungen am Land und in der Stadt sind schließlich auch nur drei- bis maximal sechsgeschossig. Selbst in einer Stadt wie Wien gibt es nur wenige richtig hohe Gebäude. Die machen vielleicht einen Promillebereich aus. Meiner Meinung nach hätte es auch kein HoHo in der Seestadt Aspern gebraucht. Dieses sollte, wenn Sie mich fragen, eigentlich aus Stahl und Glas bestehen. Stattdessen hätte man alle anderen Gebäude in dieser neuen Wohngegend in Holzbauweise errichten sollen. Das wäre die richtige Reaktion gewesen und nicht umgekehrt. Die ökologische Auswirkung eines Holzhochhauses ist im Vergleich zur konventionellen Masse an Wohnbauten uninteressant.

Wir müssen rein in Holz mehrgeschossig bauen. Wir haben da im Neubausektor eigentlich gar keine andere Wahl mehr. Das sind wir unserer Umwelt und der Zukunft unserer Kinder einfach schuldig.


Martin Aichholzer

Sie sind an vielen Holzbau-Forschungsprojekten beteiligt. Wie sieht es diesbezüglich mit den Förderungen aus? Hat die Politik ihre Hausaufgaben erledigt?

Es liegt derzeit nicht nur sprichwörtlich viel Geld auf der Straße. Meiner Meinung nach gab es vonseiten der Politik noch nie so ein hohes Bewusstsein, dass wir endlich etwas tun müssen. Das wirkt sich natürlich auch auf die österreichische Förderlandschaft aus. Am Waldfonds sieht man zum Beispiel, dass aktuell gerade wirklich viel Geld in die Hand genommen wird. (Anm. der Redaktion: Eine aktuelle Waldfonds-Bilanz zeigt, dass bis jetzt sind rund 17.800 Anträge gestellt und 153 Mio. € bereits für innovative Projekte bewilligt wurden). Das ist auf der einen Seite natürlich toll, auf der anderen Seite sehe ich schwarze Wolken aufziehen. Der Markt ist meiner Meinung nach gerade etwas überhitzt. Wir bauen viel zu viel und ich frage mich, ob wir überhaupt die Potenz haben, alle Bauprojekte zu bewerkstelligen. Immobilien sind gerade eine gute Geldanlage, das feuert den Wohnbau natürlich an. Aber ich denke, wir sollten uns einbremsen und darauf fokussieren, was wirklich gebraucht wird.

Was meinen Sie mit Potenz? Wie müsste die österreichische Holzbaulandschaft aufgestellt sein, um nicht den Zug in Richtung nachhaltige Zukunft zu verpassen?

Ein Problem könnte die Kleinteiligkeit der österreichischen Holzbaubetriebe sein. Es gibt viele Unternehmen an verschiedenen Orten und diese müssen wir vernetzen. Genau dafür wurde das Qualifizierungsprojekt „Holzbau 4.0“ ins Leben gerufen. Es verfolgt das Ziel, Lösungsansätze zu kooperativen und systematisierten Arbeitsweisen im mehrgeschossigen Holzbau gemeinsam mit ausführenden KMU zu entwickeln. Durch intelligent verknüpfte Produktionsstätten können Synergieeffekte und Effizienzsteigerungen erreicht werden, um die Kleinteiligkeit der Holzbauunternehmen im großmaßstäblichen Wohnbaumarkt zu kompensieren. Wichtig wäre natürlich auch eine Spezialisierung der Betriebe, aber da setze ich meine Hoffnungen ganz in die nächste Generation. Mit dem notwendigen Know-how bleibt man am Ball. Die Mitarbeiterzahl in meinem Büro hat sich von 2019 auf 2020 verdoppelt, weil wir 2020 umgezogen sind und seither nur mehr in Holz bauen oder sanieren. Teilweise wissen wir gar nicht, was wir zuerst machen sollen. Man kann aktuell im Holzbau nichts falsch machen, es braucht nur Mut zur Veränderung.

Man kann aktuell im Holzbau nichts falsch machen, es braucht nur Mut zur Veränderung.


Martin Aichholzer

Sie unterrichten am FH Campus Wien „Architektur – Green Building“. Neben Entwurf und Planung lernen ihre Studierenden viel über die Konstruktion von
Gebäuden. Der Fokus liegt dabei auf zukunftsfähigem Bauen mit Holz. Wie groß ist der Wissenshunger dieser jungen Menschen und wie werden sie das Bauen unserer Städte in Zukunft verändern?

Wir haben in diesem Jahr mit zwei Anerkennungen wieder sehr erfolgreich an der proHolz Student-Trophy teilgenommen. Daran sieht man, dass meine Studierenden absolut am richtigen Weg sind und verstehen, dass Holz gerade beim Thema Stadtverdichtung einen sehr wichtigen Beitrag leisten kann. Der Holzbau ist mit Sicherheit ein sehr großer Aspekt, wenn es um die Städteplanung der Zukunft geht. Darüber hinaus müssen wir aber auch sozial nachhaltig denken. Wir müssen künftig Städte planen, die so lebenswert sind, dass ich mit dem Rad oder zu Fuß alles gut erreichen kann. Städte, die von Grünraum dominiert werden, wo Kommunikation in Schanigärten oder Parks stattfindet, wo man die Menschen im Freien trifft. Wir müssen die Stadt als Lebensraum erfassen.

Zur Person

Seit 1995 arbeitet Aichholzer als selbständiger Architekt, in Partnerschaft mit Günter Klein (MAGK aichholzer | klein ZTOG). Beruflich beschäftigte sich der Architekt vor allem mit der Planung und Umsetzung von Bauten mit besonderem Schwerpunkt auf die Erreichung hoher ökologischer Standards. Derzeit liegt der Schwerpunkt der Arbeit in der Sanierung von Schulen und im (Holz-)Wohnbau.

Lehrtätigkeit

  • 1998 – 2004: Vertragsassistent, Lehre und Forschung TU Wien, danach Lektorentätigkeit an der TU bis heute.
  • 2014 – 2017: zusätzlich Lektor an der FH Campus Wien (Architektur Green Building)
  • Seit 2017 bis heute: Studiengangsleiter an der FH Campus Wien (Master Architektur Green Building)
  • Seit 2019: zusätzlich Vortragender an der Donau-Uni Krems (Holzhybridbau)

Forschung: Mitarbeit und Leitung mehrerer nationaler und internationaler Forschungsprojekte mit dem Büro MAGK als auch mit der FHCW.

Schwerpunkte: bauen mit regenerativen Materialien, Holzbau-Prozess, Resilienz, nachhaltig Planen, postgraduale Ausbildung, Entwicklung von Curricula im Holzbau.

Weitere Tätigkeiten

Vortragstätigkeit im In- und Ausland (Stuttgart, Riga, Helsinki, Krakau, Peking, Santiago/Chile etc.)

Mitglied im Komitee der INUAS Konferenzreihe
(München-Wien-Zürich)

Mitglied der Arbeitsgruppe 271 im ASI

Diverse Jurytätigkeiten

Vorsitz der Fachgruppe Architektur des ÖIAV

Gründungsmitglied der Initiative „Holz wird erwachsen“