Zimmerin aus Überzeugung

Ein Artikel von Kathrin Lanz | 17.08.2023 - 07:35

„Eigentlich wollte ich Kindergärtnerin werden.“ Dass wir heute in Edla mit Tatjana Tanzer über der Fertigungshalle von Holzbau Strigl mit Hauptsitz in Lunz am See sitzen, heißt, dass alles ganz anders kam. In der Hauptschule einmal für den technischen Zweig Feuer gefangen, schnupperte die damals 15-Jährige gemeinsam mit ihrem Onkel in den Zimmereibetrieb von Holzbau Strigl. Weil ihr Vater Elektriker ist, wußte sie um generelle Betriebsabläufe Bescheid und das Arbeiten als Handwerkerin machte Spaß. Tatjana ging ein Licht auf: Sie wollte Zimmerin werden. Leichte Zweifel plagten sie anfänglich schon: „Als ich begann, über meinen Berufswunsch nachzudenken, kannte ich keine Frau, die im Holzbau tätig war.“

Als ich begann, über meinen Berufswunsch nachzudenken, kannte ich keine Frau, die im Holzbau tätig war.


Tatjana Tanzer, Zimmerin

Abseits von Stereotypen denken

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Tatjana Tanzer ist Zimmerin aus Überzeugung. Sie ist sich sicher: Andere können das auch! © Kathrin Lanz

Unsicherheiten bezüglich der passenden Berufswahl sind normal. Darüber hinaus stellen der Mangel an weiblichen Vorbildern sowie die gesellschaftlich noch immer tief verankerte Schubladisierung von Geschlechterrollen große Herausforderungen dar, interessiert man sich für Berufe abseits von Stereotypen. Tatjana hat sich getraut und ist heute felsenfest von ihrer Berufswahl überzeugt. Sie möchte ein Vorbild sein und andere dazu motivieren, Selbstzweifel abzubauen. „Ich will den Mädels zeigen, dass es jede probieren kann“, erklärt die Frohnatur. „Für mich hat es nach dem Schnuppern einfach gepasst.“

Acht Lehrlinge in einem Jahr aufgenommen

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Holzbau Strigl will eine Vorreiterrolle übernehmen: Gottfried Rafetzeder, Teil der Geschäftsführung, steht nicht nur sinnbildlich uneingeschränkt hinter seinem Lehrling Tatjana. © Kathrin Lanz

Mittlerweile ist Tatjana im dritten Lehrjahr. Neben der 18-Jährigen sitzt einer ihrer Chefs, Gottfried Rafetzeder. Der Lunzer Holzbauunternehmer war gemeinsam mit Geschäftsführer Adolf Strigl von Beginn an aufgeschlossen gegenüber einem möglichen weiblichen Lehrling. „Wir wollten auch eine Vorreiterrolle übernehmen und heute sind wir sehr stolz darauf, dass wir Tatjana haben“, sagt Rafetzeder. Der Zimmereibetrieb beschäftigt heute rund 50 Mitarbeiter, 19 davon sind Lehrlinge. „Ich bin der Überzeugung, dass eine Lehre viel wert ist, und deshalb fördern wir das so stark. Wir schauen uns die Lehrlinge ganz genau an“, beschreibt Rafetzeder das Aufnahmeprozedere. Das betrifft nicht nur das handwerkliche Geschick, sondern auch den höflichen Umgang im Team.

„Als ich gehört habe, dass sich gleichzeitig mit mir sieben Burschen für eine Lehrstelle beworben haben, bin ich nervös geworden“, erinnert sich Tatjana. Doch mit ihrer einnehmenden Art und ihrem unbändigen Tatendrang hat sie die Geschäftsführer überzeugt. Angemerkt sei, dass in diesem Jahr alle acht Bewerber in den Betrieb aufgenommen wurden.

Keine Abbundmaschine in Gebrauch

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Als eine von insgesamt vier Frauen nahm Tatjana am diesjährigen Landeslehrlingswettbewerb in Niederösterreich teil. Sie stellte ihr Dachstuhlmodell fertig und nahm den siebenten Platz ein. © Theo Kust

Eine weitere Besonderheit fällt in der Werkshalle auf. Vergeblich sucht man hier eine Abbundmaschine. In Lunz geht man diesbezüglich seinen eigenen Weg. „Wir machen ausschließlich händischen Abbund“, erklärt Rafetzeder das Betriebskonzept. Vorrangig im Einfamilienhaus-Segment und bei klassischen Zimmermannstätigkeiten lernen die Lehrlinge somit das traditionsreiche Handwerk kennen. Wahrscheinlich auch deshalb konnte Holzbau Strigl beim diesjährigen Landeslehrlingswettbewerb gleich vier Teilnehmer ins Rennen schicken. Darunter auch Tatjana, die ihr Dachstuhlmodell fertigstellen konnte und als Siebente glänzte. Ihr Kollege, Florian Fahrnberger, holte sich gar den zweiten Platz. Die Freude über den Erfolg ist beiden Gesprächspartnern anzusehen. „Das Schönste am Handwerk ist das Abbinden“, findet die junge Frau. „Und die Zusammenarbeit mit den Bauherren sowie das Teilen ihrer Freude bei der Fertigstellung des Bauwerks.“

Keine Anfeindungen

Für Tatjana stimmt alles, hat man das Gefühl. Und wie nehmen die männlichen Kollegen die Veränderung an? „Ich glaube nicht, dass bezüglich des Geschlechts ein Unterschied gemacht wird. Nicht von mir und nicht vom Team“, kommentiert Rafetzeder diese Thematik. Tatjana hat anfänglich eine erhöhte Rücksichtnahme verspürt. „Vielleicht waren die Kollegen am Anfang hilfsbereiter, als sie es bei einem männlichen Kollegen gewesen wären.“ Anfeindungen hätte es jedenfalls nie gegeben. Wenn Sie heute beim Gerüst aufstellen ein Stockerl zur Hilfe nimmt, wundert sich niemand mehr. „Und ein bisschen Spaß auf der Baustelle muss sein“, findet Tatjana.

Grenzen brechen auf

Man merkt, die Niederösterreicherin hat sich richtig entschieden, als Frau ungewohnte Pfade zu beschreiten. Vielleicht hat sie damit ihre Komfortzone verlassen, aber es scheint sich gelohnt zu haben. Drei weitere Frauen nahmen ebenfalls am Lehrlingswettbewerb teil und es scheint, die unsichtbare Grenze zum Zimmerhandwerk für Frauen bricht auf – eine Entwicklung, die den Holzbau mit Sicherheit bereichert.