Kein Turmbau zu Babel

Ein Artikel von Raphael Zeman | 30.12.2020 - 11:59

Derzeit ist Mjøstårnet von Voll Arkitekter der Rekordhalter in Sachen höchster Holzbau der Welt, dicht gefolgt vom HoHo, das Rüdiger Lainer + Partner entwarfen. Doch bald schon könnte sich die Dock Mill dazwischenschieben, zumindest wenn es nach den Architekten von Urban Agency geht. Die Akkreditierung eines Rekords und die Definition des „weltweit höchsten Holzbaus“ sollen hierbei anderen überlassen werden.

Aufgestockt mit Glas und Holz

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Im Hafenviertel Dublins ist die Dock Mill geplant. © Urban Agency

Der Entwurf für die Dock Mill im Dubliner Hafenviertel stammt von Urban Agency mit Sitzen in Dublin, Kopenhagen und Lyon. Ihr Konzept basiert auf der Nutzung des dortigen Bestandsbaus als Fundament für eine Aufstockung in Holz. Die Qualitäten des Baustoffes, allen voran die hohe Tragfähigkeit bei geringem Eigengewicht, ermöglichen zu veranschaulichen, wie man bestehendes architektonisches Erbe erhalten und gleichzeitig den dringend benötigten Stadtraum nach Oben anstatt in die Breite erweitern kann – so die Architekten. Die bestehende Fabrik soll zu Wohnungen umfunktioniert werden, im daraufgesetzten Holzturm sind Büroflächen angedacht. Dabei will man die Vielseitigkeit moderner Arbeits- und Wohnformen reflektieren und multifunktionale Räume schaffen, die den wechselnden Nutzungen angepasst werden können. Innen will man das Holz in Sicht belassen und per Glasfassade die Konstruktionsweise auch nach außen hin sichtbar machen. Wie viele Geschosse genau der Entwurf umfasst bzw. wie hoch der Bau tatsächlich werden soll, ist derzeit nicht bekannt.

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Das Adina Hotel in Melbourne wurde um zehn Geschosse in Holzbauweise höher. © Peter Clarke

Demgegenüber wurde soeben die weltweit höchste Aufstockung in Holz fertiggestellt – auch sie präsentiert sich nach außen hin in Glas. Auf das Adina Hotel im australischen Melbourne wurden zehn Geschosse in Holzbauweise aufgesetzt. Laut Julian Anderson, dem Projektleiter von Bates Smart Architects, kamen dabei rund 5300 t Brettsperrholz zum Einsatz, wodurch rund 4200 t CO2 gespeichert wurden. Auf insgesamt 13.000 m2 zusätzlicher Fläche verfügt man nun über weitere 220 Hotelzimmer.

Hoch hinaus in Holz

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In Milwaukee entsteht der 25-Geschosser Ascent. © Korb + Associates

Keine Aufstockung, doch dafür ein Meilenstein wäre die für 2022 geplante Fertigstellung von Ascent in Milwaukee. Der in Bau befindliche 25-Geschosser wird dereinst 86,6 m hoch sein und damit Mjøstårnet mit rund 85,5 m überragen. KLH Massivholz aus der Steiermark wird für das Projekt in etwa 31.000 m2 Brettsperrholz, verteilt auf 1200 Einzelelemente, liefern – die Leimbinder stellt das oberösterreichische Unternehmen Wiehag bereit.

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Das in Rotterdam geplante Tree House.
© Wire Collective

Deutlich höher – und zwar 140 m hoch – soll das von PLP Architecture in Rotterdam anvisierte Tree House werden. 2021 will man mit dem Bau des 160 Mio. €-Projekts beginnen. Geplant sind 37 Geschosse, die man in Hybridbauweise und unter Nutzung von recycelten Materialien errichten will. Von den insgesamt 275 Wohneinheiten, die der Turm beinhalten wird, sind 30 % für den mittleren Einkommenssektor vorbehalten. Außerdem will man 15.000 m² Bürofläche samt Coworking Spaces schaffen und im siebten Geschoss ein Restaurant mit üppig bepflanzter Terrasse verorten. Im Erdgeschoss sollen Geschäfte, Cafés und Veranstaltungsräume Platz finden – gemeinsam mit De Dépendance, einer Kulturplattform Rotterdams, arbeitet man daran, ein sozial wirklich relevantes Angebot zu schaffen.

Der Hüne

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Das Konzept von DIALOG stellt einen 105-geschossigen Hybridbau vor. © DIALOG

Mit einem ganz besonderen Konzept sorgt das in den USA und in Kanada beheimatete Designbüro DIALOG für Aufsehen. Sie entwarfen in einer Konzeptstudie einen CO2-neutralen Himmelstürmer für Toronto, der durch den Einsatz von Holz, Beton und Stahl ganze 105 Geschosse hoch werden soll. Dabei baut man auf ein Holz-Beton-Verbundsystem, das sich derzeit in der Patentierung befindet. Für den Energiebedarf des Giganten schlägt das Konzept nicht nur den umfassenden Einsatz von Photovoltaik, sondern auch eine quartierseigene Biogasanlage vor, deren Emissionen wiederum von einem algenbasierten Bioreaktor gereinigt werden. Die landschaftliche Einbettung des riesigen Bauwerks soll durch die Anlage einer großzügigen Freifläche geschehen. Der Turmbau zu Babel scheiterte an der Sprachverwirrung, umso mehr legt man bei diesem Projekt großen Wert auf Kommunikation. Eine 5G-Antenne an der Spitze soll reichlich Datenverkehr ermöglichen und Technologien wie autonome Fahrzeuge und das Internet of Things unterstützen.

Ob all die vorgestellten Entwürfe in einer Fertigstellung gipfeln oder es ich bei manchem Konzept um eine Utopie handelt, wird sich weisen. Es müssen auch nicht immer die Superlative sein, die man ins Rampenlicht rückt. Doch ab und an darf man mutig sein und träumen. Sicher ist jedenfalls, dass der Holzbau für Großes bestimmt ist. Für die Zukunft des Städtebaus und die urbane (Nach-)Verdichtung werden Hochhäuser jedenfalls eine essenzielle Rolle spielen.

Zum Weiterlesen: das Interview mit Univ.-Prof. Tom Kaden, der Prinz-Eugen-Park München sowie der Gare Maritime.