Der soziale Holzbau

Ein Artikel von Raphael Zeman | 15.12.2020 - 09:05

Herr Kaden, herzliche Gratulation zur unbefristeten Holzbauprofessur! Wie nehmen Sie den Aufschwung des Holzbaus wahr?
Sowohl an der Universität als auch in der eigenen Praxis merke ich, dass die Sensibilität und Offenheit sowie das Interesse zum Werkstoff in den letzten fünf Jahren gefühlt explodiert sind. Mittlerweile bekommt unser Büro Anfragen von großen Playern und Investoren, die vor einigen Jahren den Baustoff Holz noch gar nicht in Betracht gezogen hätten. Das freut mich umso mehr, als wir aus klimatischen Gründen im Bausektor zu einer Kehrtwende bezüglich Lebenszykluskosten und eingesetzter Materialien gezwungen sind. Die Begeisterung der Studierenden, die sich in den zahlreichen Abschlussarbeiten widerspiegelt, ist fantastisch zu erleben. Ich habe das Glück, meine Erfahrung an die nächste Generation weitergeben zu können, der Dialog mit den Studierenden ist dabei umso bereichernder.

Wohin soll die Reise mit dem natürlichen Baustoff gehen?
Meine Erfahrung aus Deutschland hat mir gezeigt, dass sich mit städtischer bzw. kommunaler Beteiligung viel bewegen lässt. Wichtig ist auch, dass das Hochhaus nicht die oberste Priorität hat. Ich wünsche mir, dass es in die Breite geht – im städtischen Umfeld haben wir vier bis acht Geschosse. Hier kann der Holzbau punkten, Qualität liefern und damit in eine quantitative Breite gehen. Um dem Werkstoff mehr Gewicht zu geben, ist allerdings Bildung das oberste Gebot. Denn wir brauchen Leute nicht nur in der Architektur, sondern auch in der Politik bzw. Gesetzgebung. Die meisten Landesbauordnungen bilden die Möglichkeiten des Holzbaus noch nicht ab – hier ist noch sehr viel zu tun.

Ist die Öffentlichkeitsarbeit der Branche Ihrer Meinung nach ausreichend?
Österreich ist hier in jedweder Hinsicht mit seinen Veranstaltungen, Initiativen, Interessengemeinschaften etc. ganz vorne mit dabei. Das HOLZBAU DIGITAL Symposium Anfang November beispielsweise war perfekt organisiert und mit großartigen Expertenvorträgen gespickt. Das hat sich auch in der regen Aktivität der zahlreichen Teilnehmer niedergeschlagen. Ich bin auch jedes Mal, wenn ich in Vorarlberg gastiere, beeindruckt davon, wie präsent hier der Holzbau ist. Ich wüsste gar nicht, was man in Österreich dahin gehend noch besser machen könnte.

Sie sprachen vorhin von Bildung. Ist es heutzutage noch zeitgemäß, Schulen und Kindergärten in Stahlbeton zu errichten?
Meines Erachtens aus zweierlei Gründen nicht: einerseits wegen der von mir bereits angesprochenen klimatischen Notwendigkeit und andererseits bezogen auf die räumliche Qualität. Ich persönlich bin verzweifelt, dass mein Sohn in eine Schule geht, die ein Betonbau ist. Mein Büro hatte schon das Glück, eine Schule in Holz errichten zu dürfen, und ich bin immer noch gerne wieder dort. Das hat einfach eine andere Qualität, die sowohl Lehrer als auch Schüler wahrnehmen. Gerade bei Schulen und Kindergärten sollten mittlerweile Hybridbauten mit sehr hohem Holzanteil der Standard sein.

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© Pexels

Ist Beton generell sinnvoll, wenn keine Erdberührung stattfindet?
Im Kleinteiligen spielt Beton kaum noch eine Rolle. Im mehrgeschossigen Bereich hingegen halte ich ein hybrides System mit einem Holzanteil zwischen 70 und 85 % für sinnvoll, da man hier die Vorteile der jeweiligen Materialien miteinander mischen kann. Ich finde, wir als Holzbauer müssen generell gegenüber anderen Materialsystemen offen sein, anstatt ideologisch zu denken. Hier gibt es vielversprechende Entwicklungen, die wir nicht ignorieren dürfen. Man sollte zusammen und nicht gegeneinander arbeiten – auch in Entwicklung und Forschung.

Ist eine potenzielle Rohstoffknappheit durch den vermehrten Holzbau ein Grund für diese Einstellung?
Überhaupt nicht. Hermann Kaufmann bzw. die TU München haben in einer Studie aus 2016 herausgefunden, dass etwas mehr als ein Drittel der deutschen Jahresholzernte ausreichen würde, um den gesamten Neubau in Deutschland zu decken. Dennoch sollte man nicht so viel Holz wie möglich, sondern wie nötig verarbeiten.

Dennoch erforscht man die Verwendung bisher weniger genutzter Hölzer.
Hier steht man noch am Anfang und sollte das mehr forcieren. Unser Büro hat jetzt einige Projekte mit Buchenfurniersperrholz umgesetzt. Das ist eine interessante Entwicklung, vor allem im innerstädtischen Bereich, wo es baurechtlich definierte Traufhöhen gibt. Hier versucht man, die Konstruktionsstärken zu minimieren um mehr Raumhöhe bzw. Geschosse realisieren zu können. Durch den Einsatz von Buchenfurniersperrholz in einer Verbunddecke kann man beispielsweise schon etwa 6 bis 8 cm pro Geschoss gewinnen.

Wenn es um leistbares Wohnen geht, erhöht sich der Kostendruck und man versucht, dies durch eine zunehmende Systematisierung auszugleichen. Leidet die Architektur darunter? 
Ehrlich gesagt: ja. Ich bin dennoch ein Vertreter des industriellen Bauens und finde, wir müssen die Vorfertigung noch weiterentwickeln. Allerdings dürfen wir die Baukultur dabei nicht verlieren. Die Architektur an die Fertigungsstraße anzupassen, ist der falsche Weg, denn da leidet die Qualität vehement. Man muss aber bedenken, dass ein städtischer Auftraggeber eine Kaltmiete von 6,50 € netto realisieren muss – das ist vollkommen berechtigt und verständlich. Das umzusetzen, geht nur in der Dreieckskonstellation Bauherr, Architekt plus Tragwerksplaner und Ausführender. Die immer größer werdende Schere zwischen Arm und Reich betrachten wir im Büro skeptisch und das ist auch Teil meiner Lehre. Es gibt kein unpolitisches Haus.

Also hat die Architektur auch eine politische und soziale Aufgabe?
Definitiv. Planer müssen sich den soziologischen und politischen Themen der Zeit widmen und auch andere Fachbereiche hinzuziehen. So hat man auch schon in der Bauhaus-Bewegung gedacht. Leider wurde diese nur auf die Form reduziert, der Grundgedanke war aber „die gute Gestaltung für die breite Bevölkerung“.

Was ist also Ihr Ziel in den kommenden Jahren Ihrer Lehre?
Ich will den Holzbau im positiven Sinne alltäglich machen und aus der Nische holen – ihn mit einem hohen Maß an baukultureller Qualität und gesellschaftlicher Reflexionsfähigkeit in die Breite bringen und so der Klima- und Sozialkatastrophe entgegensteuern. Dabei finde ich den „guten Genossenschaftsgrundriss“ viel interessanter als die „goldenen Krönchen“, die wir uns aufsetzen wollen.