Größte Holzbausiedlung Deutschlands

Ein Artikel von Raphael Zeman | 03.11.2020 - 10:29
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12.500 t Kohlenstoffdioxid sind in der ökologischen Mustersiedlung im Prinz-Eugen-Park Münchens gespeichert. © Peter Villain

Alles begann mit dem Stadtratsauftrag für eine ökologische Mustersiedlung. Wolf Opitsch, der heute am Bayerischen Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr arbeitet, war damals beim Referat Stadtplanung in der Abteilung Wohnungsbau/Wohnungsbauförderung der Stadt München angestellt. „Als wir den Auftrag für die ökologische Mustersiedlung erhielten, gab es noch keine konkrete Vorgabe hinsichtlich der Bauweise. Die Stadtbaurätin Elisabeth Merk hat dann den Wunsch nach einer Holzbausiedlung geäußert“, erinnert sich Opitsch zurück. Also verfasste man einen Stadtratsbeschluss mit drei zentralen Punkten: Man definierte den Holzbau, organisierte ein Förderprogramm, um diesen mitzufinanzieren, und berief ein Expertengremium ein, das Bauherren und Architekten bei der Umsetzung zur Seite stand.

Nachhaltigkeit hat viele Formen

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Am Baufeld WA 14 West wurden ein Sechs- sowie drei Viergeschosser, deren Dächer allesamt extensiv begrünt sind, errichtet. © Conné van d’Grachten

Bei der ökologischen Mustersiedlung im Prinz-Eugen-Park lag der Fokus auf den drei wesentlichen Nachhaltigkeitsstrategien „Effizienz, Konsistenz und Suffizienz“. Die Effizienz beschreibt die angemessene Klimatisierung von Gebäuden und Quartieren mit möglichst geringem Energie- und Ressourcenverbrauch – das Ziel war nicht, möglichst viel Holz zu verbauen, sondern mit dem verfügbaren Baumaterial möglichst viele Gebäude zu errichten. Die Strategie der Konsistenz entspricht dem Cradle to cradle-Prinzip und zielt darauf ab, Stoffe und Leistungen aus Ökosystemen zu nutzen, ohne diese zu zerstören. Mit Suffizienz ist schlussendlich eine Ressourceneinsparung durch die Veränderung des menschlichen Lebensstils gemeint – in diesem Fall eine maßhaltige Quadratmeteranzahl pro Kopf an Wohn- und Infrastrukturflächen. Deshalb wurden auch im freifinanzierten Eigentumswohnungsbau Flächenobergrenzen festgelegt, um so viele Wohneinheiten wie möglich umsetzen zu können.

Stadt gibt Bauweise vor

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Das Baufeld WA 16 Ost setzt sich aus 24 zwei- und dreigeschossigen Atriumhäusern sowie zwei viergeschossigen Punkthäusern zusammen. © Stefan Schott

Um die Ziele der Nachhaltigkeit zu erreichen, beschloss die Stadt eine Konzeptausschreibung mit detaillierten Vorgaben, auch zur Konstruktion, sowie ein spezielles Förderprogramm, das sich am Verhältnis Nawaros (nachwachsende Rohstoffe) pro Quadratmeter Wohnfläche orientierte. Um die Förderung geltend zu machen, musste zudem nachgewiesen werden, dass das Holz aus nachhaltiger Waldbewirtschaftung stammt. „Überzeugungsarbeit war vor allem bei der Politik nötig. Die Stadträte hatten Bedenken hinsichtlich des Preises und der Haltbarkeit der Holzbauweise und sorgten sich darüber hinaus, ob sich genügend Interessenten finden würden. Also unternahmen wir Exkursionen zu Best Practice-Beispielen, die aufzeigen, dass der Holzbau funktioniert“, erzählt Opitsch. Bei den zukünftigen Bauherren ging man davon aus, dass sie aufgeschlossen sind – was die enorm vielen Bewerbungen bestätigten. Zudem handelte es sich um eine öffentliche Ausschreibung, wodurch sich holzbauaffine Akteure auf freiwilliger Basis für die Baufelder bewerben konnten.

Förderprogramm macht’s möglich

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Wolf Opitsch, Referent am Bayerischen Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr © Fotostudio SAUTER

„Im Zuge dieses Projekts habe ich gelernt, dass bei den Angeboten der Holzbauunternehmen 25 % der Kosten auf die Anpassungsplanung entfallen, was natürlich enorm ist. Wenn man aber etwa von Anfang an in Holz plant, ist das ein großer Kostenvorteil, weswegen wir beschlossen haben, die Firmen in die Qualitätssicherung miteinzubeziehen, und ihnen einen Expertenrat zur Seite gestellt haben“, erklärt Opitsch die Herangehensweise. Mit dem integralen Planungsansatz wollte man die positiven Aspekte des Holzbaus, namentlich den hohen Vorfertigungsgrad und die daraus resultierende kürzere Bauzeit, hervorheben. Deswegen wurden Brandschutz, Tragwerk und Schallschutz frühzeitig in den Entwurfsprozess eingebunden und die Planungsteams verpflichtet, ihre Genehmigungsplanung vor der Einreichung dem Expertenrat vorzustellen. Das Förderprogramm unterschied zudem zwischen kleinen (GK 3) und großen (GK 4 & 5) Wohngebäuden und hat mit rund 13,6 Mio. € im Durchschnitt etwa 8 % der reinen Baukosten bezuschusst. „Das war natürlich großzügig, aber ist meiner Meinung nach ein durchaus vertretbarer Anteil“, befindet Opitsch.

Gemeinsam sparsam

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Farblich hervorgehoben:  die ökologische Mustersiedlung im Prinz-Eugen-Park. © DBU Bauband 4: Wohnquartier in Holz – Mustersiedlung in München & ReB, Ruhr-Universität Bochum

Dank der Holzbauweise wurden im gesamten Quartier über 12.500 t CO2 gespeichert. Entstanden sind dabei acht komplett verschiedene Konzepte, die sich auch aus der Vielfältigkeit der Bauherren ergaben. So kamen einerseits Baugemeinschaften und -genossenschaften und andererseits städtische Wohnungsbaugesellschaften zum Zug. „Es handelt sich um eine wahrhaftige Mustersiedlung, kein Entwurf gleicht dem anderen. Die unterschiedlichen Wohnkonzepte zeigen auch auf, dass der Holzbau diverse Möglichkeiten für ein Zusammenleben bietet“, resümiert Opitsch. Ulf Rössler vom Architekturbüro dressler mayerhofer rössler setzte ein Baufeld für eine Baugemeinschaft um: „Es war ein durchaus anspruchsvolles Projekt, wir haben mit 39 Bauherren gearbeitet.“ Den Prinz-Eugen-Park findet er in mehreren Aspekten vorbildlich. Einerseits entspreche er durch die Mischung der Wohnformen dem sogenannten „Münchner Mix“. So betont Rössler: „Die Neubauten wurden auf Inseln gestellt und typologisch vermischt, was wiederum die soziale Vielfalt fördert.“ Andererseits habe die Stadt mit der Förderungsmaßnahme einen Steuermechanismus aufgezeigt, den man politisch nutzen kann.

Ökologisch und sozial nachhaltig

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86 Wohneinheiten auf drei Baukörper verteilt: ein Drei-, ein Fünf- und ein Siebengeschosser bilden das Baufeld WA 16 West. © Bernd Borchardt

Ebenfalls vorbildlich ist die Quartiersentwicklung mit nachhaltigem Quartiersmanagement. Natalie Schaller ist Geschäftsführerin der Stattbau München, die von einem Konsortium aller 21 Bauherren mit der Quartiersentwicklung betraut wurden. „Das Nachbarschaftsgefühl entstand bereits, bevor die ersten Bewohner einzogen“, so Schaller. Denn in engem Austausch zwischen allen Akteuren, also auch den zukünftigen Bewohnern wurden von Beginn an stimmige Gesamt- und Bedarfskonzepte, vor allem auch auf das Thema Mobilität bezogen, entwickelt. So entstanden beispielsweise schon vor der Fertigstellung der Häuser eine Stadtteilzeitung, unterschiedliche Arbeitskreise  der Bewohner und ein Quartiersrat, der sich aus den Hausvertretern zusammensetzt und mit dem Konsortium der Bauherren im Austausch stand. Am zentralen Platz wurde eine Quartierszentrale mit Concierge, Bewohnercafé und Mobilitätsstation geplant. Sie wird von der Quartiersgenossenschaft betrieben, die von Bewohnern gegründet wurde und nun das Quartiersmanagement übernommen hat. „Während des Brachliegens hat sich das Kasernengebiet zu einem Biotop entwickelt. Darauf wurde Bedacht genommen und die Baucluster mit ökologischer Begleitung umsichtig eingefügt. So wurde beispielsweise auf drei Baufeldern die abgebaute Erde aufbereitet und wiederverwendet“, erzählt Schaller.

Es ist also das Zusammenspiel vieler unterschiedlicher Akteure und Faktoren, die diese ökologische Mustersiedlung zu dem machen, was heute international auf großes Interesse stößt – wesentlicher Bestandteil dessen ist die Holzbauweise. Im Folgenden werden vier der insgesamt acht Holzbauprojekte vorgestellt.

WA 14 West

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© Conné van d’Grachten

Auf dem von Rapp Architekten geplanten Baufeld wurden für die GWG München insgesamt 57 Wohnungen, von denen 45 gefördert sind, in einem Sechs- und drei Viergeschossern untergebracht. Alle vier Baukörper verfügen über extensiv begrünte Dachflächen und sind über das Erdgeschoss, in dem sich zudem eine Kindertagesstätte befindet, verbunden. Durch die Aufgliederung der Bauvolumen kann der Tageslichteinfall erhöht werden – dieser Effekt wird durch die Orientierung aller Wohnungen in mindestens zwei Himmelsrichtungen zusätzlich verstärkt. Unter- und Erdgeschosse sowie Stiegenkerne und Aufzugsschächte sind in Stahlbeton ausgeführt, darüber wurden die Baukörper in Hybridbauweise errichtet. Dabei kamen Holz-Beton-Verbunddecken und -träger zur Anwendung, die vertikalen Lasten werden über sichtbare Holzstützen geschossweise abgetragen. Die tragenden Innenwände bestehen aus mit Gipskarton gekapseltem Brettsperrholz (BSP), die Außenwände aus nichttragenden, wärmegedämmten und geschossweise vorgefertigten Holzrahmenbauteilen.

WA 15 Ost

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© Andreas Knoblauch

Dieses Baufeld, geplant von agmm Architekten + Stadtplaner und Hable Architekten, setzt sich aus zwei viergeschossigen Punkthäusern sowie zwölf zwei- bis dreigeschossigen Atriumhäusern zusammen. Ein geschwungener Laubengang, über den alle Wohnungen in den Obergeschossen der Atriumhäuser erschlossen sind, dominiert den Entwurf. Die Baugemeinschaft besteht aus 39 Parteien – ebenso viele Wohnungen, die zwischen 70 und 120 m2 groß sind, wurden errichtet. Zusätzlich verfügt das Projekt über ein Gästeapartment und einen Gemeinschaftsraum. Die Wände und Decken wurden in Holzrahmen- und Massivholzbauweise gefertigt. Ein einheitlicher Raster über alle Geschosse ermöglicht ökonomische Deckenquerschnitte, deckengleiche Träger sorgen für räumliche Flexibilität. Die begrünten Dachterrassen der Punkthäuser laden alle Bewohner zum gemeinschaftlichen Gärtnern ein.

WA 16 West

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© Bernd Borchardt

Das Architekturbüro Kaden + Lager plante einen Drei- (GK 3), einen Fünf- und einen Siebengeschosser (jeweils GK 5) für die neu gegründete Genossenschaft Bürgerbauverein München. Insgesamt konnte man damit 86 Wohneinheiten mit unterschiedlichen Größen und Typologien schaffen. Die beiden niedrigeren Baukörper wurden in Schottenbauweise mit Massivholz errichtet, die Decken spannen parallel zur Längsrichtung, die Außenwände in Holztafelbauweise sind nicht tragend. Für den Siebengeschosser wählte man eine schachbrettartige Lastabtragung der BSP-Decken durch BSP-Wände, die Außenwände wurden ebenfalls in BSP errichtet und sind tragend. Der Baukörper rückt zwar vom Fünfgeschosser ab, ist aber über einen Laubengang mit Brücken und Begegnungsflächen dennoch damit verbunden.

WA 16 Ost

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© Ulf Rössler

Für eine private Baugemeinschaft plante das Architekturbüro dressler mayerhofer rössler 39 Wohneinheiten, verteilt auf 24 zwei- und dreigeschossige Atriumhäuser sowie zwei viergeschossige Punkthäuser. Für die Planer war das Projekt ein Spagat zwischen maximaler Flexibilität der Einzelhäuser und gleichzeitig größtmöglicher Vereinheitlichung der Bauteile. Die Atriumhäuser konnte man, abgesehen von den Untergeschossen bzw. der Tiefgarage, in feuerhemmender Holzbauweise errichten. Bei den Punkthäusern kam außerdem ein aussteifender Stahlbetonkern zum Einsatz, an den der Holzbau mit tragenden und nichttragenden Holzrahmenbaufassaden sowie Geschossdecken aus BSP anschließt. Über Abweichungsanträge konnte man für die Bauten der Gebäudeklasse 4 brandschutztechnische Reduzierungen erreichen. So wurden die Massivholzdecken unterseitig in Sicht belassen und die Außenwände in Holztafelbauweise mit geringen Bekleidungsdicken hergestellt.