Das Einfamilienhaus ist tot!?

Ein Artikel von Matthias Ammann | 27.05.2020 - 11:12
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Matthias Ammann, holzbau austria © Matthias Rhomberg

Die Themen Bodenknappheit, soziale Unterschiede und soziologische Veränderungen sind mir bewusst. Trotzdem möchte ich eine Lanze für das Einfamilienhaus brechen. Es ist gut, dass wir die Möglichkeit haben, zwischen verschiedenen Wohnformen zu entscheiden. Je nach Lebensabschnitt und Lebensgemeinschaft ergeben sich Wohnwünsche. Das Einfamilienhaus hat laut Statistik mit ca. 16.000 Einheiten pro Jahr eine stabile Entwicklung. Gründe sind die Sehnsüchte der Menschen nach Individualität, Privatsphäre und Gartenkultur. Das gebetsmühlenartige „Totreden“ des Einfamilienhauses durch manche Experten empfinde ich als arrogant und selbstherrlich, besonders dann, wenn genau solche Experten diese Wohnform für sich in Anspruch nehmen. In den Vorstädten und auf dem Land ist das Einfamilienhaus beliebt, auch weil es im Wohnungsbau seit Jahren kaum baukulturelle Fortschritte gibt. Deshalb wäre es wichtig, dass Architekten und Wohnbauexperten versuchen, die Vorteile, wie Privatheit, Freiflächen, Individualität in Wohnanlagen einzubringen – und dennoch „leistbare“ Konzepte schaffen. Sicher gibt es auch gut gemachte Wohnanlagen, aber in diesem Sektor geht es meistens und vorrangig um Gewinnmaximierung und optimale Ausnutzung der Grundstücke. Die Ergebnisse sind ernüchternd.

Thema Bodenschonung: Ist es richtig, diese absolut wichtige Aufgabe stereotyp als Argument gegen das Einfamilienhaus einzusetzen? Ein zweckmäßiger Ersatzneubau kann eine gute Alternative sein. Zudem gibt es Tausende alte Einfamilienhäuser im absoluten oder teilweisen Leerstand. Wo sind die Anreize, diese Leerstände zu beleben? Gebäudesanierungen und -transformationen sind wertvolle Aufgaben für Architekten und Handwerker. Was spricht denn wirklich gegen maßvoll neugebaute Einfamilienhäuser? Hat heutzutage nicht fast jeder Neubau eine Einliegerwohnung oder ist so konzipiert, dass daraus später ein Generationenhaus entstehen könnte? Neue Einfamilienhäuser mit ökologischen Prioritäten in Material und Gartennutzung – Stichwort Selbstversorgung –  sind kluge „Base Camps“, gerade in Zeiten einer Pandemie. Nachhaltig konzipierte Einfamilienhäuser bieten höchst kreative Chancen für Architekten und Handwerker. Und übrigens – wo bleibt das gute alte Reihenhaus?

Ich möchte hier keinesfalls einer neuen Biedermeierlichkeit das Wort reden, sondern plädiere für ein MEHR an Freiheit, Eigeninitiative und Privatsphäre. Ein baukulturell wertvolles Einfamilienhaus macht auch heute noch Sinn, logischerweise in Holz und aus heimischer Planung sowie Produktion. Die Zementproduktion ist ein extremer CO2-Treiber. Ein Holzhaus bindet im Schnitt 40 Tonnen CO2 und das wiederum entspricht dem CO2-Ausstoß eines durchschnittlichen Pkw in 26 Jahren. Klimaschutz und Regionalität ergänzen sich bei einem Haus aus Holz intelligent und nachhaltig.