Je verrückter, desto besser

Ein Artikel von Raphael Zeman | 11.08.2020 - 08:26

1960 gegründet, feiert die Zimmerei Heiseler heuer ihr 60-jähriges Bestehen. Als damals 28-Jähriger übernahm Thomas Heiseler 2017 das Unternehmen. Ein zentrales Thema ist für ihn der Betriebsstandort: In einem kleinen Tobel im Großen Walsertal gelegen, hatte man über die Jahre immer wieder mit der Natur zu kämpfen. Doch die abgeschiedene Lage hat auch ihre Vorteile und an eine Aussiedelung ist mittlerweile nicht mehr zu denken.

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Das ambitionierte Projekt Alpencamping in Nenzing. © Albrecht Imanuel Schnabel

Einziger Grund sind die Arbeiter

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Thomas Heiseler (2. Reihe links) mit seinem Team. © Heiseler

Der Vorteil des entlegenen Standorts im Biosphärenpark Großes Walsertal ist das Fehlen von Nachbarn, dafür stellten Transporte das Unternehmen immer wieder vor Herausforderungen. „Eigentlich habe ich bis zur Betriebsübernahme mit dem Gedanken der Aussiedelung gespielt“, verrät Heiseler. Denn der Betrieb liegt nicht nur 20 Minuten von der Autobahn entfernt, sondern auch zu rund zwei Dritteln in der roten Gefahrenzone. Dadurch entstehen aufgrund der enormen geologischen und wildbachtechnischen Auflagen bei jedem Zu- und Erweiterungsbau hohe Investitionskosten. Doch diese Maßnahmen sind wichtig, wie die Geschichte des Unternehmens zeigt: Nachdem die Firma 1996 komplett abbrannte, wurde man im August 2005 vom Hochwasser überrascht und nur ein halbes Jahr später richtete ein Sturm enorme Schäden an. Zuletzt war man 2019 von einer Lawine betroffen. „Jahrelang haben wir nur daran gearbeitet, die Schäden auszugleichen. Es ist eine große Herausforderung, den Standort zu halten – aber wir sind mit Herzblut dabei“, erzählt Heiseler und resümiert: „Der einzige Grund zu bleiben, sind die Arbeiter.“ Denn diese stammen allesamt aus der Region, in der man sich tief verwurzelt fühlt. Heiseler sieht sich hier auch in der Verantwortung, das Lebenswerk seines Vaters und Großvaters fortzuführen

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Da der Betrieb des Sägewerks Erhart während der Montage weiterlief, wurde der Wandaufbau mitsamt Innenoberfläche und äußerem Schirm komplett vorgefertigt geliefert. © Raphael Zeman

Investitionen bringen die Wende

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Holzbau-Meister Thomas Heiseler: „Je verrückter die Aufträge sind, desto reizvoller ist es für uns. Jede neue Herausforderung fördert unsere Mitarbeiter.“ © Heiseler

Ursprünglich errichtete die Zimmerei Heiseler hauptsächlich Blockbauten, dann wurde das Portfolio um landwirtschaftliche Bauten erweitert. Mit der Betriebsübernahme durch Thomas gingen große Investitionen einher, man schaffte beispielsweise einen 6-Achs-Roboter an – damals das Beste, was es am Markt an Abbundmaschinen gab. Zugleich eröffnete die fortschreitende Digitalisierung, zum Beispiel durch den Glasfaseranschluss, neue Möglichkeiten den Standort zu stärken und zu halten. Denn man arbeite viel mit Mitbewerbern zusammen. „Wenn uns ein anderer Betrieb eine 3D-Zeichnung schickt, können wir zehn Minuten später schon mit dem Abbund beginnen“, erzählt Heiseler. Bis vor zwei Jahren kam noch ein Drittel der Aufträge aus dem Ausland – die Zimmerei Heiseler baute etwa das erste Holzpassivhaus in Frankreich – nun verbleibe man großteils in der Region und habe das Ziel, erster Ansprechpartner für Abbund im Ländle zu werden. „Der Werksbetrieb ist unsere große Stärke, wir wollen nicht komplett von der Industrie abhängig sein“, betont Heiseler. Dementsprechend investierte man auch heuer wieder in Modernisierung und Ausbau: So errichtete man eine Holzlagerhalle mit Hochwasserschutzfunktion, legte sich eine neue Brikettpresse zu und installierte eine 37 KW-Photovoltaikanlage, die den Eigenbedarf an Strom größtenteils abdeckt. Zudem verfügt der Betrieb nun über eine Isocell-Einblas-Dämmmaschine. „Wir wollen in Zukunft alles mit Zellulose oder Holzfaser ausblasen“, unterstreicht Heiseler den ökologischen Ansatz. Mit der regionalen Vereinigung „Bergholz“ schlägt man noch tiefer in diese Kerbe.

Infrastruktur der Region erhalten

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Projekt Alpencamping Nenzing © Albrecht Imanuel Schnabel

„Bergholz“ wurde vor 20 Jahren vom Vater Heiselers mitgegründet – frei nach dem Motto: „Das Gute liegt so nah.“ Mit dabei sind ein Architekt, zwei Sägewerke, die Zimmerei Heiseler, zwei Tischler, ein Stiegenbauer und neuerdings auch eine Elektrofirma – allesamt aus den sechs Gemeinden des Großen Walsertals. Ziel der Vereinigung ist es, einheimische Hölzer nachhaltig zu veredeln und das Produkt gemeinsam mit dem Handwerk aus der Region gebündelt nach außen zu tragen und gleichzeitig die Funktion der Schutzwälder im Tal durch die Bewirtschaftung aufrechtzuerhalten. „Mit der Bergholz-Linie sprechen wir unsere ökologisch und nachhaltig denkenden Kunden an. Wenn gewünscht, kann man sich die Bäume sogar direkt im Wald aussuchen. Es ist ein geschlossener Kreislauf vom Wald, über das Sägewerk, hin zur Zimmerei Heiseler und schlussendlich in das fertige Haus. Das ist Stärke in der Region. Darauf sind wir stolz, diese Infrastrukturen sind selten geworden“, erklärt Heiseler das Bergholz-Prinzip. So konnte man beispielsweise ein Blockhaus errichten, bei dem das Holz aus dem eigenen Wald des Bauherrn kam und sich alle Stationen vom Wald, über die Verarbeitung, bis hin zur Fertigstellung vor Ort in einem Radius von 12 km befanden. Ein anderer Bauherr wünschte sich die größtmögliche Nutzung des von ihm selbst geschlägerten Holzes. Also wählte die Zimmerei Heiseler einen Wandaufbau, mit dem 95 % des Materials verwendet werden konnten. „Mit solchen Menschen arbeiten wir extrem gerne zusammen. Da hat der Bauherr einen besonderen Bezug zum eigenen Haus, da stecken Emotionen drin“, freut sich Heiseler und fügt hinzu: „Durch Bergholz sorgen wir außerdem dafür, dass unsere Schutzwälder weiterhin bewirtschaftet werden.“ Durch die Vereinigung gelang es dem Betrieb zudem, in jeder der sechs Gemeinden ein öffentliches Gebäude zu errichten. Auch während der Coronakrise zeigten sich die Stärken der regionalen Infrastruktur, denn während anderswo die Lieferungen ins Stocken gerieten, konnte der Materialfluss bei der Zimmerei größtenteils aufrechterhalten werden. Problematisch sieht Heiseler hingegen die zunehmende Umsetzung gemeinnütziger Wohnanlagen durch Generalunternehmen als Bauträger, welche die Aufträge an die immer gleichen Firmen vergeben. Mit Bergholz versucht man, die eigenen Handwerker im Tal ins Spiel zu bringen. Laut Heiseler der Schlüssel zum Erfolg: „Man braucht von Beginn an einen Holzbau-Architekten.“ So versucht man im Verbund, geeignete Grundstücke zu finden und diese samt geplanter Bebauung in Holz an die Projektentwickler heranzutragen. Denn aus Heiselers Sicht ist es derzeit nur so möglich, schneller an großvolumige Holzbauprojekte zu kommen.

Außergewöhnliche Aufträge halten Team auf Trab

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Über 600 Stunden  verbrachte Heiseler mit der Suche nach einer Möglichkeit, das ambitionierte Projekt Alpencamping Nenzing umzusetzen. © Albrecht Imanuel Schnabel

Die Ausbildung genießt im Betrieb einen hohen Stellenwert, so auch bei Heiseler selbst: Nach der Landwirtschaftsschule absolvierte er eine Zimmererlehre. Daraufhin besuchte er die Bauhandwerkerschule an der HTL in Rankweil, machte anschließend seinen Holzbau-Meister in Innsbruck und übernahm zu seinem 28. Geburtstag den vom Großvater gegründeten Betrieb. Den hohen Ausbildungsgrad gibt man gerne an die Mitarbeiter im Betrieb weiter. So nehme man beispielsweise an vielen Wettbewerben teil und bringe den Lehrlingen große Aufmerksamkeit entgegen. Zusätzlich legt Heiseler großen Wert darauf, möglichst abwechslungsreiche, individuelle Projekte umzusetzen: „Je verrückter die Aufträge sind, desto reizvoller ist es für uns. Jede neue Herausforderung fördert unsere Mitarbeiter.“ Man wolle nicht nur Neubauten im Wohn- und Gewerbebereich errichten, sondern sich möglichst breit aufstellen. „So bleibt das Know-how der Fachkraft erhalten“, weiß Heiseler und fügt hinzu: „Mein Vater arbeitet noch im Betrieb und ist ein Fuchs im traditionellen Bereich. Im modernen Bereich sind die Jungen der Antrieb.“ Und auch er selbst liebt es zu tüfteln – so geschehen beim Projekt Alpencamping in Nenzing. Hierfür bekam Heiseler vom Architekten ein Rendering und die Frage zugesandt, ob er sich traue, das zu bauen – Faktoren, wie Statik und Bauphysik, waren noch nicht geklärt. Für Heiseler war der Reiz definitiv da und so verbrachte er im folgenden halben Jahr in etwa 600 Stunden damit, das Projekt realisierbar zu machen. Schlussendlich gelang es, alle zehn Chalets inklusive aller Gewerke im Betrieb vorzufertigen und in nur elf Stunden am Standort zu montieren. Hier kam auch wieder die Thematik Transport ins Spiel. Heiseler vermaß zahlreiche Straßen auf der Suche nach einer Möglichkeit, die Autobahn zu überqueren. Anschließend digitalisierte man die kritischen Punkte des potenziellen Lieferwegs um zu berechnen, ob der Transport überhaupt möglich wäre. Das Ergebnis: Mit 4 cm Spielraum war eine Anlieferung umsetzbar.

Das Sägewerk Erhart in Sonntag ist ein weiteres Projekt, auf das Heiseler stolz ist. Hier hat man in einer 40 m langen und 35 m breiten Halle über 500 m3 Holz verbaut. Der Clou: Der Baukörper dient als Werkshalle und Innenhofüberdachung zugleich. Dazu wurde das Holzbauwerk auf 9 m Höhe ohne zusätzliche Stützen zwischen die bestehenden Hallen gestellt. „Das auszumessen war eine Mammutaufgabe“, erinnert sich Heiseler zurück. Bei der Besichtigung vor Ort zaubert auch ihm die warme, helle Holzoptik ein Lächeln ins Gesicht: „Holz fasziniert mich heute noch täglich. Es bietet so viele Möglichkeiten, ist brandschutztechnisch berechenbar und hat statisch enormes Potenzial. Holz ist für mich der Baustoff der Zukunft“, verleiht er seiner Freude Ausdruck.