Dank des hohen Vorfertigungsgrades konnte der gesamte Holzbau in nur neun Monaten montiert werden. Dabei optimierte die Zimmerei Höfle ihre Fertigungsstraße zwei Mal im Produktionsverlauf. © Herbert Stolz
Die Gemeinde Utting am Ammersee liegt im Einzugsgebiet von München. Da sich dort immer mehr Münchner einkauften, stiegen die Grundstückspreise und Mieten, für die Uttinger Bürger wurde das Wohnen immer teurer. Darum kaufte die Gemeinde kurzerhand selbst ein Grundstück, um darauf bezahlbaren Wohnraum für mittlere und niedrige Einkommensschichten zu schaffen. 2017 wurde dann ein Architekturwettbewerb ausgeschrieben, den WWA Architekten aus München für sich entschieden.
Umwelt- und anrainerverträgliche Architektur
Die 88 Wohneinheiten sind auf sechs Häusergruppen verteilt. Diese wiederum sind locker und versetzt angeordnet und schlängeln sich unaufdringlich durch den Bestand. © Prefa / Croce & Wir
„Es war eine spannende Herausforderung, denn die Gemeinde wollte mindestens 85 Wohnungen auf dem schmalen, langgezogenen Grundstück schaffen“, erzählt Gerold Heugenhauser, Partner bei WWA Architekten. „Unsere erste Idee war, Häusergruppen ähnlich einer aufgerissenen Perlenkette anzuordnen, um so die Baumasse aufzulockern und den Neubau für die Umgebung und Anrainer verträglicher zu machen“, fährt er fort. Die unterschiedlich angeordneten Pultdächer sorgen zusätzlich für ein lebendiges Erscheinungsbild.
Zudem war es der Gemeinde ein großes Anliegen, das neue Quartier in Holzbauweise zu errichten. „Das hat uns natürlich sehr gefreut, denn dadurch ist auch der Zuspruch in der Bevölkerung größer. Ein Projekt, das gut angenommen wird, erfordert beeindruckende Architektur, aber auch gutes Material. Die Mischung von ästhetischer Architektur, dem Baustoff Holz und einer sozialen Komponente berührt die Menschen“, bringt es Heugenhauser auf den Punkt. Auch dank einer Förderung durch den Freistaat Bayern konnte schlussendlich eine Nettomiete von 11,5 €/m² geboten werden, die das Interesse zahlreicher Bürger auf sich zog.
Ein Projekt, das gut angenommen wird, erfordert beeindruckende Architektur, aber auch gutes Material. Die Mischung von ästhetischer Architektur, dem Baustoff Holz und einer sozialen Komponente berührt die Menschen.
Autofreies Gemeinschaftsquartier
Heute präsentiert sich das sogenannte Schmucker Areal mit sechs Häusergruppen der Gebäudeklasse 3, die aus insgesamt 88 barrierefreien Wohneinheiten bestehen. Die zwei- und dreigeschoßigen, mit Pultdächern versehenen Gebäude sind versetzt angeordnet und wirken so optisch als Einzelbaukörper. Sie bieten unterschiedlichste Wohnungsgrößen, von Apartments mit 35 m² bis hin zu Fünf-Zimmer-Wohnungen mit rund 110 m² Wohnfläche. Die größeren Wohnungen sind dabei im Erdgeschoß verortet, die kleineren in den Obergeschoßen – zudem gibt es zwei rollstuhlgerechte Wohneinheiten. Darüber hinaus sind die meisten der Wohnungen von Nord nach Süd durchgesteckt, jene an den Ecken im Erdgeschoß sind sogar in drei Himmelsrichtungen exponiert. Bis auf einige wenige Besucherparkplätze sind alle Stellplätze in der Tiefgarage verortet, wodurch ein autofreies Quartier geschaffen werden konnte. Ein sich durchs Areal schlängelnder Rad- und Fußweg, ein öffentlicher Spielplatz sowie der Gemeinschaftsraum mit Küche, der auch örtlichen Vereinen zur Verfügung steht, unterstreichen den Gemeinschaftscharakter.
Holzbauweise mit hohem Vorfertigungsgrad
Die raumseitigen Wände sind mit Gipsplatten beplankt. Das ist unter anderem dem Wunsch nach einer kurzen Bauzeit gschuldet, denn aufgrund deren Witterungsbeständigkeit konnte auch an Regentagen ohne weitere Schutzmaßnahmen gearbeitet werden. © Herbert Stolz
Abgesehen von der Tiefgarage und den als aussteifenden Elementen dienenden Erschließungskernen in Stahlbeton, wurde das gesamte Ensemble in Holzbauweise errichtet. Für die Ausführung zeichnet die Zimmerei Höfle verantwortlich, welche 2021 die EU-weite Ausschreibung für das Projekt gewann. Die Innenwände bestehen aus 10 cm starken Brettsperrholzplatten, vorbeplankt mit Gipsplatten, die Außenwände wurden in Holzrahmenbauweise mit 24 cm KVH und Zellulosedämmung sowie vorgelagerten 60 mm Holzfaserdämmplatten ausgeführt. Die Decken wurden mit untersichtigen 16 cm Massivholzplatten hergestellt. Auch nach außen hin zeigt sich der Holzbau: Die Fassade wurde mit einer aufwändigen vertikalen Holzschalung in fünf unterschiedlichen Breiten aus sägerauem, grau lasiertem n Fichtenholz nach dem Nut-Feder-Prinzip bereits werkseitig montiert. Das KVH sowie die Massivholzplatten lieferte KLH Massivholz, die für eine Photovoltaikanlage vorgerüsteten Dächer sind mit Produkten von Prefa eingedeckt.
Die Beton- und Holzbauarbeiten vor Ort geschahen teils parallel, der Holzbau wurde just in time gefertigt und geliefert. Die raumseitige Beplankung der Außenwände mit Hartgips- und OSB-Platten, welche auch als Dampfsperre dienen, sind unter anderem dem Wunsch nach einem schnellen Baufortschritt geschuldet – denn durch deren Witterungsbeständigkeit konnte unabhängig vom Wetter gearbeitet werden. Zudem wurden die Installationsrohre im Innenraum und die Fenster sowie Absturzsicherungen an den Außenwänden bereits in der Produktion eingebaut, woraus sich eine Montagezeit von lediglich neun Monaten ergab.
12 Minuten pro Quadratmeter Außenwand
Die 1991 gegründete Zimmerei Höfle stammt selbst aus Utting, seit 2015 hat sie ihren Sitz in Thaining. 2008 setzte man den ersten Auftrag als Generalunternehmer um, seit 2010 verfügt das Unternehmen über eine eigene Planungsabteilung. 2021 wurde Höfle dann mit dem Auftrag für das, in diesem Jahr, größte kommunale Holzbauprojekt Bayerns betraut. Unter anderem aufgrund des Wunsches nach einem raschen Baufortschritt, setzte man auf einen möglichst hohen Vorfertigungsgrad. Holger Höfle, Geschäftsführer der Zimmerei Höfle, kalkulierte zu Beginn eine Produktionszeit von 18 min/m² Außenwand. Doch kam es immer wieder zu einem Stau an der Verladestation, woraufhin man die Halle öffnete und ein Schienensystem einführte. Durch diese zweimalige Optimierung konnte die Produktionszeit schließlich auf 12 min/m² reduziert werden.
Per aspera ad astra
Die zinnenartig geneigten Pultdächer tragen zu einem lebendigen Erscheinungsbild bei. In dieselbe Kerbe schlägt die Fassade mit ihren fünf unterschiedlichen Lamellenbreiten. Sie wurde samt Fenstern und Absturzsicherungen bereits werkseitig montiert und die Außenwände just in time auf die Baustelle geliefert. © Prefa / Croce & Wir
Die vom römischen Schriftsteller Seneca stammende Redewendung „per aspera ad astra“ bedeutet in etwa „durch das Raue zu den Sternen“. Eine weitere Herausforderung ergab sich nämlich hinsichtlich der Zufriedenheit und Motivation der Mitarbeiter. Denn normalerweise sieht der Arbeitsablauf bei Höfle folgendermaßen aus: Ein Team produziert im Werk und montiert anschließend selbst auf der Baustelle – man wechselt sich im Rhythmus von drei Wochen ab. Aufgrund des Ausmaßes und Zeitdrucks des Projekts wurde allerdings das System geändert und alle Mitarbeiter hatten über den gesamten Verlauf hinweg dieselben Aufgaben. Das wiederum führte teils zu Unmut unter den Angestellten. Die Lösung: regelmäßige Projektbesprechungen und Baustellenexkursionen. So wurde das gesamte Team zusammengeschweißt und motiviert, alle Beteiligten erhielten Einblick über den derzeitigen Projektstand. „Teamwork makes the dream work“, wie es Holger Höfle treffend auf den Punkt bringt.
Das geförderte Wohnquartier am Schmucker Areal kann also durchaus als Leuchtturmprojekt bezeichnet werden und ist nicht nur ein Gewinn für die Gemeinde Utting und ihre Bürger, sondern auch alle Projektbeteiligten. Das sah man übrigens auch beim 6. Rosenheimer Holzbaupreis so, denn WWA Architekten wurden sowohl mit dem dritten Preis der Fachjury, als auch dem Publikumspreis ausgezeichnet.
Projektdaten
Standort: Utting am Ammersee / DE
Bauherrschaft: Kommunalunternehmen (Gemeinde) Utting am Ammersee
Fertigstellung: April 2023
Architektur: WWA Architekten Wöhr Heugenhauser Johansen
Tragwerksplanung: IB Geiger²
Landschaftsarchitektur: LUZ Landschaftsarchitektur
Holzbau: Zimmerei Höfle
Holzlieferant: KLH Massivholz
Holzmenge: 1735 m³, davon 12.000 m² BSP-Elemente
BGF: 9750 m²