„Stromrebellen“ werden holzaktiv

Ein Artikel von Birgit Gruber | 28.09.2021 - 08:23

Wer sind die „Stromrebellen“?

Als sich am 26. April 1986 in Tschernobyl der schwerste Atomunfall der Geschichte ereignet hatte, zog in den folgenden Tagen eine radioaktive Wolke auch über Süddeutschland hinweg. In Schönau hinterließ sie nachhaltige Spuren, denn einige Bürger wollten nicht länger auf ein Handeln der Politiker warten: Die Initiative „Eltern für atomfreie Zukunft e.V.“ wurde gegründet. Die Mitglieder wurden selbst aktiv, hielten Stromsparberatungen ab, veröffentlichten Energiespartipps und schrieben Stromsparwettbewerbe aus. In einem zweiten Schritt gründeten sie ein kleines Unternehmen, um die Produktion von umweltfreundlichem Strom zu fördern. Sie reaktivierten kleine Wasserkraftwerke und unterstützten engagierte Bewohner, die in Blockheizkraftwerke und Photovoltaikanlagen investieren wollten. Aus dieser Initiative entstanden ab 1994 die Elektrizitätswerke Schönau (EWS), die bis zur Strommarktliberalisierung 1998 einige Hürden im Kampf um sauberen Strom nehmen mussten. Seither bieten die medial als „Stromrebellen“ bezeichneten Unternehmensgründer deutschlandweit Ökostrom an. Und mit einer Vielzahl an aktiven Kunden wächst auch der Mitarbeiterstamm am Unternehmenssitz in Schönau stetig.

Highlights sind sicherlich die zwei unterschiedlichen Architektursprachen des Gebäudes, die wir mit den Materialien Beton und Holz umgesetzt haben. Beides massiv und doch so unterschiedlich. Aber bei diesem Projekt perfekt in der Kombination. Dadurch konnten wir auch den Brandschutz in der Gebäudeklasse 4 sicherstellen


Armin Stoll, Harter + Kanzler & Partner Architekten

Neubau mit Innovationskraft

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© Lignotrend / Olaf Herzog

Um mehr Arbeitsplätze zu schaffen, wurde mit dem Freiburger Büro Harter + Kanzler & Partner Architekten eine Firmenerweiterung geplant. Der Entwurf basiert auf einem Architekturwettbewerb aus dem Jahr 2016. Die neuen Büros befinden sich heute in einem viergeschossigen Holzbau, der auf einem Sockelgeschoss aus Sichtbeton sitzt. Das Gebäude ist das erste von zwei Holzhybridbauten, mit denen das bestehende Ensemble erweitert wird. Mit der Wahl des heimischen Baustoffes bekennt sich der Schwarzwälder Energieversorger nicht nur deutlich zu seinen Wurzeln und zur regionalen Baukultur, sondern setzt erneut ein Zeichen für Innovation. „Auf dem waldnahen Firmengrundstück befand sich einst eine Bürstenfabrik. Die Werkshalle, in der auch Kunst- und Kulturveranstaltungen stattfanden, wurde abgerissen. Die denkmalgeschützte Villa blieb erhalten. Mit dem Viergeschosser in Holzhybridbauweise haben wir sie nun um einen modernen Büroneubau ergänzt“, erzählt Architekt Armin Stoll. Seit Februar 2020 finden dort etwa 65 Mitarbeiter Platz. „Highlights sind sicherlich die zwei unterschiedlichen Architektursprachen des Gebäudes, die wir mit den Materialien Beton und Holz umgesetzt haben. Beides massiv und doch so unterschiedlich. Aber bei diesem Projekt perfekt in der Kombination. Dadurch konnten wir auch den Brandschutz in der Gebäudeklasse 4 sicherstellen“, erklärt Stoll. Harter + Kanzler setzen seit Jahren auf das Bauen mit Holz: „Seine Vorteile können wir konstruktiv und gestalterisch für unsere Planungsziele nutzen. Dazu gehören, neben einer präzisen Maßhaltigkeit und flexiblen Grundrissgestaltung auch der hohe Vorfertigungsgrad mit integrierter Gebäudeausrüstung und Leitungsführung ab Werk. Gewährleistet wurde dies beim Schönau-Projekt von Holzbau Amann aus Weilheim-Bannholz. 

Kunst und Kultur werden weitergelebt

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Im Erdgeschoss befindet sich die große Kantine mit Frontcookingbereich. © Lignotrend / Olaf Herzog

Bereits von außen lässt sich erahnen, wie das Gebäude im Inneren gegliedert ist. Unterund Erdgeschoss wurden als Stahlbetonkonstruktion in Sichtbetonqualität erstellt. Der Eingangsbereich mit Natursteinboden ist durch die schmalen Betonstützen und großformatigen Verglasungen offen und gut einsehbar. Tatsächlich befinden sich hier Räume, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Dort sind ein Besprechungsraum und die große Kantine mit angrenzendem Frontcookingbereich untergebracht. Mit einer großen Bühne wird dieser Bereich auch als Kulturhalle für die Schönauer Bürger dienen. „Auf der Bühne soll die Kleinkunst weiterleben. Dieser Raum hat echten Studiocharakter, da er mit Vorhängen komplett vom Kantinenbereich abgetrennt werden kann“, weiß Stoll. Über eine Stahlbetontreppe gelangt man in den ersten Stock „und ist dann erst einmal über das viele Holz erstaunt, dass man von unten so gar nicht erahnt“, ergänzt Stoll.

Insgesamt wurden gut 1000 m³ Holz, hauptsächlich Weißtanne, verbaut. Fichte kam auch zum Einsatz, macht aber nur ca. 15% der Gesamtmenge aus


Holzbau Amann-Projektleiter Tobias Döbele

Drei Gebäudezonen

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Der Eingangsbereich ist durch die schmalen Betonstützen und großformatigen Verglasungen offen und gut einsehbar. © Lignotrend / Olaf Herzog

Die Stahlbetonkonstruktion des Sockelgeschosses dient als Tisch für den Holzbau in den oberen Geschossen. Dort fungieren Wandschotten aus Brettsperrholz als tragende Elemente. Als Außenwände wie auch als Innenwände kamen Brettsperrholz-Elemente mit einseitiger Holzansicht zum Einsatz. Stahlbetonkerne steifen das Gebäude aus. Dadurch wird es in drei Zonen gegliedert. Die beiden äußeren Zonen werden als Büros genutzt – dazwischen liegt die Versorgung mit Meeting Points, Teeküchen, einem Fluchttreppenhaus, einem Aufzugsturm und einem kleinen Innenhof. Die Flure sind durch eine Servicezone von den Büros getrennt. Darin integriert sin Schränke, raumhohe Schiebetüren sowie die Elektro- und Lüftungsinstallation. Auf der Fassade sind die Flure als Glasfuge ablesbar. „In Anlehnung an das Dach der Villa und der ehemaligen Werkhalle auf dem Grundstück haben wir auch dem Neubau ein Sheddach aufgesetzt. Es hat hier aber nicht seine klassische Funktion – dass eine Ausleuchtung durch den natürlichen Lichteinfall aus Norden blendfrei ohne Bildung von Schlagschatten ermöglicht wird –, sondern sorgt bei der Photovoltaikanlage für eine optimale Ausrichtung“, weiß Stoll. Alle konfigurierbaren Wand-, Decken- und Dachelemente wurden von Lignotrend bezogen. „Insgesamt wurden gut 1000 m³ Holz, hauptsächlich Weißtanne, verbaut. Fichte kam auch zum Einsatz, macht aber nur ca. 15 % der Gesamtmenge aus“, weiß Holzbau Amann-Projektleiter Tobias Döbele.

„Wollten einheitliches Erscheinungsbild“

Als Entwurfshighlight erwähnt Stoll noch die dreigeschossige Treppenhalle, die einen Blick bis unter das Dach ermöglicht. Sie musste millimetergenau zwischen die Deckenkonstruktionen eingehängt werden. „Wichtig war uns dabei ein einheitliches Erscheinungsbild der Holzoberflächen mit einem präzisen Fugenbild der Elemente“, gibt Stoll an. Deshalb war die Wahl von nur einer Holzart beim Innenausbau entscheidend. So empfand es der Planer als äußerst praktisch, dass alle Lignotrend-Bauteile ihre endfertige Echtholzoberfläche für den Innenraum gleich mitbringen: „Wir haben auch Fichtenelemente mit ihren typischen Ästen bemustert. Diese Variante wäre günstiger ausgefallen. Wir haben uns dann aber für Elemente aus Weißtanne entschieden, die mit durchgehenden, nicht keilgezinkten Lamellen über drei Meter eine durchlaufende, gleichmäßige Holzmaserung zeigen. Elementstöße sind auf der Fläche kaum mehr wahrnehmbar. Das Auge stört sich an nichts, es herrscht eine angenehme optische Ruhe. Es wirkt allein das Holz“, berichtet Stoll. Vorvergraute Schalungen, ebenfalls aus Weißtannenholz, als Gebäudehülle nehmen Bezug auf den Holzhybridbau. Giebelseitig zeigt sich die Fassade mit einer lebhaften, offenen Verkleidung. Sie erinnert an typische Schwarzwälder Schindeln. Die Gebäudelängsseiten sind mit vertikalen Latten optisch eher ruhig geschlossen.

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Stahlbetonkerne steifen das Gebäude aus. Dadurch wird es in drei Zonen gegliedert. Außen befinden sich die Büros und dazwischen liegt die Versorgung mit Meeting Points, Teeküchen, einem Fluchttreppenhaus, einem Aufzugsturm und einem kleinen Innenhof. © Lignotrend / Olaf Herzog

Projektdaten

Standort: Schönau im Schwarzwald
Fertigstellung: 2020
Bauherr: EWS Elektrizitätswerke Schönau eG
Architektur: Harter + Kanzler & Partner
Tragwerksplaner: Wirth Haker PartmbB
Holzbau: Holzbau Amann
Systemlieferant: Lignotrend
Holzmenge: 1000 m³, hauptsächlich Weißtanne