Lichtblick im Dorf

Ein Artikel von Birgit Gruber | 21.09.2021 - 10:19
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Der Stadel, wie er einst aussah. © Georg Bechter Architektur

„Georg Bechter hat umgebaut: Aus dem Stall seines Vaters wurde ein moderner 850 m2 großer Werk- und Büroraum. Gebaut wurde mit den Naturstoffen Stroh, Holz und Lehm. Eine Solar- und Photovoltaikanlage wurde installiert und geheizt wird ungewöhnlich, aber ebenso naturnah: mit einer Eisspeicheranlage.“ Schon beim Lesen dieses Einleitungstextes über das jüngste Projekt des Vorarlberger Architekten und Lichtdesigners auf dessen Homepage wird man neugierig und will mehr über die Bestandssanierung erfahren. Denn wer Bechters Objekte kennt, der weiß, dass Perfektions- und Gestaltungsdrang mit seiner Liebe zur Umwelt und Natur immer im Einklang stehen müssen. „Es gibt eine Verpflichtung gegenüber dem Bauherrn, aber es gibt auch einen gesellschaftlichen Auftrag, zum Beispiel, wenn es um die Landschaft geht.“ Ein gelungenes Gebäude bringt beides zusammen. Das ist für Bechter eine baukulturelle Selbstverständlichkeit. Wenn es dabei um den neuen Arbeitsplatz für seine 18 Mitarbeiter geht, soll der Wohlfühlfaktor natürlich nicht zu kurz kommen. Licht und Raumklima spielen dafür eine entscheidende Rolle. Für Ersteres wurde er schließlich schon mehrfach ausgezeichnet.

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Der Stadel nach dem Umbau im neuen Glanz. © Georg Bechter Architektur

Räumliches Potenzial des Bestandes als Chance

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Ein Lufttrichter kann als Terrasse genutzt werden und öffnet den Blick in Richtung Dorfkern. © Georg Bechter Architektur

Einer der Mitarbeiter ist Michael Flatz, der neben seiner Masterarbeit für das Studium „Energie Effizienz Design“ in Augsburg 2016 mit einem Praktikum in Bechters Architekturbüro startete. Seit 2017 arbeitet er dort Vollzeit und wurde 2019 mit der baulichen Leitung des Stadelumbaus beauftragt. „Der Hof, auf dem Bechter aufgewachsen ist, mit Stall und Heulagerfläche im oberen Geschoss, war die Ausgangslage für eine Weiternutzung als Büroräumlichkeiten. Darin sollten das Architekturbüro Georg Bechter Architektur + Design und die Leuchtenfirma Georg Bechter Licht unter einem Dach zusammengefasst werden“, erklärt Flatz. Das räumliche Potenzial des einstigen Wirtschaftsgebäudes bot sich dabei als große Chance. 28 m lang, 17 m breit, bis zum Satteldachfirst 12 m hoch, steht es als idealtypisches, vertrautes Volumen eines landwirtschaftlichen Nutzbaus da und ist seit dem Vorjahr innen wie außen doch ganz anders. Im August 2020 fand nämlich der Einzug statt. „Die für eine Bestandssanierung rasche Bauzeit ist dem Holzbau zu verdanken“, weiß Flatz. Neben Holz aus der Region kamen Naturmaterialien wie Stroh, Lehm und Schafwolle zum Einsatz. Wo diese verbaut wurden, erahnt man erst, wenn man das Gebäude betritt oder Bilder davon sieht. Dabei offenbaren sich auch immer wieder spannende Details.

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Im umgebauten Stadel finden die 18 Mitarbeiter von Lichtkünstler und Architekt Georg Bechter (ganz links) Platz. Projektleiter Michael Flatz (Mitte) nahm uns auf diese virtuelle Hausführung mit. © Georg Bechter Architektur

Eine Pflanze, die aus dem Boden wächst

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Die Arbeitsräume zieren wundervolle Details, wie diese lebende Pflanze, die aus dem Lehmterrazzo wächst. © Georg Bechter Architektur

So wurde das bestehende Riegelwerk mit rund 650 Strohballen ausgefacht und mit Lehm aus der eigenen Baugrube verputzt. Auch der Fußboden ist nichts weiter als gestampfte Erde: in einem speziellen Verfahren geschliffen und verfeinert, bis daraus ein „Lehmterrazzo“ entstand. „Naturmaterialien können sehr viel leisten und bieten oft die beste Qualität. Auf einem Lehmboden zu gehen, ist zum Beispiel ein einzigartiges Gefühl“, wird der Bauherr persönlich gern zitiert. Die Raumstruktur bildet den Fertigungsprozess ab, schafft kurze Wege und lässt Blickbeziehungen in die einzelnen Arbeitsbereiche zu. „Alle Büroplätze organisieren sich im großen, offenen Raum, der mit einer Galerie gestaffelt wurde und einen zentralen Kern für WCs und Abstellräume enthält. Die Decke wurde mit 9 mm heimischer Schafwolle beplankt, bringt einen gelben Farbakzent und  sorgt für eine angenehme Akustik“, so Flatz, der uns auf einen virtuellen Rundgang durch das Gebäude mitnimmt. Betritt ein Kunde das Gebäude, gelangt er über  eine Treppe sofort in das Obergeschoss, wo er empfangen wird. Vor dem Empfangspult wächst eine grüne Pflanze aus dem Boden. „Nicht aus Plastik. Sie wird gegossen, lebt und gedeiht“, wie Flatz versichert. Möglich wird dies durch einen Hohlraum im Boden. Die Pflanze sitzt darin in einer Kiste mit Erde und kann durch den Lehmboden wachsen. In diesem Bereich befinden sich auch ein verglastes Einzelbüro sowie Besprechungsräume. Im ersten Stock sieht man überall weiße Wandflächen mit organisch ausgestülpten Ablageborden oder im Weiß versinkende Nischen. So können Leuchten aus eigener Produktion dem Gipskarton entwachsen und sich Designstücke in weiche Mulden schmiegen. „Unser Büro ist auch gelebter Showroom, in dem wir unsere Produkte präsentieren“, sagt Flatz.

Lichttrichter als Herausforderung

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Über einer Begegnungszone mit Holztisch, einer Couch und zwei Sesseln durchbricht ein Holztrichter mit 3 m Höhe und einem Durchmesser von 2,8 m das Volumen. © Georg Bechter Architektur

Eine Stiege im zentralen Kern des Obergeschosses, in dem die Räume 5 m hoch sind, stellt die Verbindung zur Galerie her. Dort ist die Architektur mit vier Arbeitsplätzen angesiedelt. Über einer Sitzgelegenheit mit Holztisch, einer gelben Couch und zwei Sesseln durchbricht ein Holztrichter mit 3 m Höhe und einem Durchmesser von 2,8 m das Volumen und sorgt für ausreichend Tageslicht. Von hier aus kann man den Himmel sehen. „In seiner Größe und Form war er mit Sicherheit eine Herausforderung für den Zimmerer“, gibt Flatz an, der dabei auf die präzise Arbeit des Unternehmens
Dr´Holzbauer aus Andelsbuch vertraute. Die Handwerker sieht Flatz bei diesem Projekt generell als wichtige Partner: „Die Bestandssanierung enthält viele, nicht alltägliche Details, die die Zimmerer mit all ihren Kenntnissen forderten. Häufige Fragen, die sich stellten, waren deshalb: Was ist mit Holz alles möglich und wie viel traut man sich zu?“ Das Bauholz kam aus dem nahe gelegenen Sägewerk. Brettsperrholz bezog man von best wood Schneider aus dem deutschen Eberhardzell.

Aus Kuhstall wird Gipsmanufaktur

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Im Erdgeschoss wird das Handwerk großgeschrieben. Dort werden die Designerlampen in Form gegossen und an den Oberflächen dominiert der Baustoff Holz. © Georg Bechter Architektur

Für die Kunden nur über Fenster im Obergeschoss einsehbar, liegt der eigentliche Werkstattbereich und die Logistik im Erdgeschoss. Wo noch vor einigen Jahren die Kühe im Stall standen, werden heute in der Gipsmanufaktur Lichtlösungen in Form gegossen. Im Lagerbereich werden diese zwischengelagert und für den Versand vorbereitet. „Über eine Schleuse, die mittels eines Türcodes zu öffnen ist, kann sie dort der Paketdienst abholen, ohne dass jemand anwesend sein muss“, erklärt Flatz diese praktische Lösung. In der Erdgeschosszone dominiert das warme Holz an Böden, Wänden und Decken. Das Hochregallager ist die Achse in Richtung Westen. Dieser Bereich wurde neu errichtet, um bei gleichbleibender Kubatur eine bauliche Trennung zum früheren Wohngebäude zu schaffen. Auch dabei waren die Zimmerer gefordert. Denn die 250 lm-Regale bestehen nicht aus industriell gefertigter Massenware, sondern wurden von den lokalen Handwerkern mit Holz aus der Region gefertigt.

Ein Eisspeicher in der Jauchegrube

Auf dem Dach befinden sich 180 m2 Photovoltaik (112 Module), an seiner Südfassade eine Solarthermieanlage, die dem Eisspeicher dient, mit dem das Bürogebäude geheizt und gekühlt wird. Dafür wurde kurzerhand die alte Jauchegrube umfunktioniert. Bei der Eisspeicherung wird die Energie aus dem Wechsel der Aggregatzustände des Wassers als Energiespeicher genutzt. Wenn Wärme benötigt wird, wird sie dem zunächst noch flüssigen Wasser der Zisterne entzogen. Wenn das Wasser als Folge der Temperaturentnahme durch den Wärmetauscher einer Wärmepumpe gefriert, entsteht Kristallisationswärme. Auch diese Energie wird mit der Wärmepumpe genutzt. Energie zum Beispiel aus den Sonnenkollektoren wird verwendet, um das Eis aufzutauen beziehungsweise das Wasser zu erwärmen. Die Wärme aus dem angrenzenden Erdreich leistet ebenfalls einen Beitrag zur Regeneration. Im Sommer kann der Eisspeicher die Kühlung des Gebäudes unterstützen. „Mit der Photovoltaikanlage produzieren wir über das Jahr gesehen einen Stromüberschuss von 23.000 kWh. Das entspricht der Menge, die man für fünf Einfamilienhäuser braucht. Während der Sommermonate decken wir damit unseren Strombedarf komplett selber ab“, weiß Flatz.

Georg hat in seinen jungen Jahren selbst eine Tischlerlehre gemacht und kennt sich mit dem Werkstoff Holz sehr gut aus. Er weiß deshalb auch ganz genau, was man mit Holz sprichwörtlich alles anstellen kann. Man muss offen und ideenreich sein und immer wieder neue Lösungen finden.


Dr´Holzbauer-Geschäftsführer Dietmar Berchtold

Erschließung über filigranen Wintergarten

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Ein Wintergarten mit filigraner Holzkonstruktion dient den Mitarbeitern als Erschließungszone. Von außen wirkt dieser wie eine erleuchtete Laterne. © Georg Bechter Architektur

Für die Mitarbeiter erschließt sich der umgebaute Stadel über einen Wintergarten an der Südseite, wo früher die Maschinen unter einem großen Vordach gelagert wurden. Die filigrane Holzstruktur mit ihren großen Fenstern sticht sofort ins Auge und wirkt bei Dunkelheit wie eine erleuchtete Laterne. Sie dient auch als bauliche Verschattung für die Büroflächen und ist eine Klimapufferzone. „Der Wintergarten erstreckt sich über alle drei Geschosse und besteht aus Holzständern, die eine Breite von nur 4,5 cm und eine Tiefe von 18 cm haben“, erzählt der Bauleiter. Eine Begegnungszone und eine Gemeinschaftsküche ergänzen diesen Teil des Hauses. „Drei Mal in der Woche wird dort von der ‚guten Fee’ gekocht und wir können gemeinsam Mittagessen. Sie kümmert sich auch um das Gemüse, das dort angepflanzt ist“, freut sich Flatz. Vom Wintergarten aus erreicht das Team zudem ein Halbfertigteillager, in dem Waren lagern, die zugekauft und für die Herstellung der Lampen benötigt werden. Es ist auch gleichzeitig ein Musterlager. Daran angeschlossen, befindet sich ein weiteres Highlight: ein „Lufttrichter“, der einen Panoramablick auf Hittisau bietet und Raum zum Austausch, Arbeiten und Verweilen schafft. Für den Außenbetrachter ist er als dunkler Einschnitt mit abgerundeten Ecken in die Fassade erkennbar. „Dunkel deshalb, weil das Holz, mit dem der Lufttrichter ausgekleidet ist, mit schwarzer Farbe gebeizt ist. Von dieser schopfartigen Terrasse aus hat man einen wunderschönen Blick in Richtung Dorfkern.“

Die dritte Dimension

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Die Fassade ist ebenfalls außergewöhnlich. Sie besteht aus einer diagonal verschalten Holzlattung aus heimischer Bergfichte. © Georg Bechter Architektur

Auffällig ist mit Sicherheit auch die Gebäudehülle, die mit ihrer Struktur an die Eindeckung einer Linzer Torte erinnert. Die diagonal verschalte Holzlattung aus heimischer Bergfichte offenbart erst beim genauen Hinsehen eine Besonderheit. Sie ist wellenartig geschwungen und führt die Fassade damit in die „dritte Dimension“ der Oberfläche, welches auch das Credo der Firma Georg Bechter Licht widerspiegelt „Georg hat in seinen jungen Jahren selbst eine Tischlerlehre gemacht und kennt sich mit dem Werkstoff Holz sehr gut aus. Er weiß deshalb auch ganz genau, was man mit Holz sprichwörtlich alles anstellen kann. Man muss offen und ideenreich sein und immer wieder neue Lösungen finden. Für mich ist die geschwungene Fassade besonders interessant, weil sie einzigartig ist und dem Umbau ein lässiges Erscheinungsbild gibt“, erklärt Dr´Holzbauer-Geschäftsführer Dietmar Berchtold abschließend.

Projektdaten

Standort: Hittisau, Dorf 135 a
Fertigstellung: August 2020
Bauherr: Georg Bechter
Architektur: Georg Bechter Architektur + Design
Statik: zte Leitner
Holzbau: Dr´Holzbauer
Holzmenge: ca. 180 m³
Bruttogeschossfläche: ca. 1100 m2