Eins auf die Platte bekommen

Ein Artikel von Birgit Gruber | 30.11.2021 - 09:19
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© Jan Bitter

Die Berlin Metropolitan School (kurz: BMS) ist die älteste internationale Schule im Zentrum Berlins. 1112 Schüler aus 69 Nationen lernen dort nach den lokalen Lehrplänen und internationalen Programmen. Die BMS ist eine private Ganztagsschule und ermöglicht Kindern ab einem Alter von drei Jahren – also vom Kindergarten bis zur 12. Schulstufe – eine moderne und werteorientierte Ausbildung. Das Schulgebäude ist ein Bestandsensemble in der als Flächendenkmal ausgewiesenen „Spandauer Vorstadt“ in Berlin-Mitte. Um einen großzügigen Schulhof im Blockinneren gruppieren sich insgesamt vier Gebäudeteile, die von der Torstraße bis zur Linienstraße nahtlos ineinander übergehen. Das Objekt ist ein typischer ostdeutscher Plattenbau der Schulbaureihe 80 (SBR 80, Typ Erfurt). Diese waren in den 1980er-Jahren industriell vorgefertigter Stahlbetonsystembauweise errichtet worden. Das Schulhaus, das 1987 erbaut wurde, ist ein Geschenk des Kombinats Rostock an Ost-Berlin anlässlich der 750-Jahrfeier der Stadt. An der Fassade befinden sich kleinformatige, rötliche Klinkersteine.

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Die Aufstockungen sind als Holzbau gefertigt. Die Spannrichtung wurde um 90° gedreht, sodass die aussteifenden Wände des Plattenbaus die Lasten in die Fundamente übertragen. © Jan Bitter

Mehr Raumangebot nötig

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Besonders imposant wirkt das hohe Auditorium mit Empore. Der Saal mit 16 m Spannweite ist für 1260 Personen ausgelegt. Hier lassen sich große Veranstaltungen und die jährlichen Abschlussbälle ausrichten. © Jan Bitter

Mit der Zeit platzte die bei Schauspielern, Medienschaffenden und Unternehmern beliebte Schule aus allen Nähten. Um das moderne Lehrkonzept der BMS räumlich besser umsetzen sowie die neu konzipierte dreizügige Oberstufe unterbringen zu können, wurde eine Erweiterung des Flächenangebots dringend notwendig. Die Schulleitung mit Silke Friedrich, die gleichzeitig auch Bauherrin ist, wünschte sich ein zweigeschossiges Auditorium, Bibliotheken für Ober- und Unterstufe, neue Klassenzimmer sowie Gemeinschaftsbereiche und Verwaltungsräume. Als Kind des Ostens wollte sie gleichzeitig an der „Platte“ festhalten. „Mit den Gebäuden sind immer Geschichten verbunden, die uns geprägt haben. Was es braucht, sind daher Architekten, die sich wie Anwälte für diese ehrwürdigen Bauwerke einsetzen und sie gegen Abriss oder Neubau verteidigen“, erzählt Friedrich. Gemeinsam mit ihrem Mann begab sie sich auf die Suche nach solchen Planern und wurde mit dem Berliner Büro von Sauerbruch Hutton schnell fündig.

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© Jan Bitter

„Es hat gleich gefunkt“

Bei einer Videokonferenz der Bundesarchitektenkammer am 20. Oktober 2020, kurz vor Fertigstellung der gesamten Aufstockung, traf die Bauherrin erneut auf Projektleiterin Vera Hartmann und erzählt vom ersten Kennenlernen. „Wir waren auf der Suche nach einem lokalen Anbieter, nach Architekten, die die Stadt verstehen und auch mal schnell rüberkommen können. Aufgrund zahlreicher Referenzen fanden wir die Formensprache von Sauerbruch Hutton toll und haben uns schnell einen Termin ausgemacht. Nach einem interessanten Austausch mit Prof. Matthias Sauerbruch hat es gleich gefunkt. Er hat uns mit Vera Hartmann eine tolle Projektleiterin zur Seite gestellt, die sich in unsere Schule sprichwörtlich eingegraben hat. Sie wollte alles wissen. Wie unsere Prozesse ablaufen, wie die Direktion an der Schule arbeiten, wie die Energie im Gebäude und was uns als Schulleiter wichtig ist. Wir fühlten uns sofort gut aufgehoben“, schwärmt Friedrich.

Es gab nur eine Wahl: Holz

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 Wand- und Deckenelemente sowie die Holzrahmen der Tragkonstruktion, die dem Auditorium seine besondere gestalterische Note geben, wurden von Kai Vater Zimmerei & Holzbau im Werk vorgefertigt. Zulieferer war Züblin Holzingenieurbau aus Aichach. © Sauerbruch Hutton

Die Entscheidung, bei laufendem Betrieb umzubauen, war laut Friedrich alternativlos. Auch wenn sie heute an diese anstrengende Zeit nicht gerne zurückdenkt. Die Bauarbeiten für die insgesamt 3650 m2 umfassende Erweiterungsfläche mussten also in den Schulalltag integriert werden, was eine gut koordinierte Bauzeit erforderte. Außerdem durften durch die Aufstockung keine zusätzlichen Fundamente oder Eingriffe am Tragwerk der bestehenden Plattenbauten notwendig werden. Entsprechend dieser Vorgaben fiel die Entscheidung schnell auf eine Konstruktion in Holzbauweise. Die sehr geräumigen Klassenzimmer, eine gute vertikale Erschließung, das intakte Tragwerk sowie gute Raumstrukturen spielten der Planerin dabei voll in die Karten. Daneben mussten sich die Architekten folgende Fragen stellen: „Wie können wir die Defizite des Plattenbaus heilen? Alle drei Bauteile hatten unterschiedliche Gebäudehöhen. Wo verorten wir den großen Versammlungsraum? Wie können wir die bauliche Lücke zur Linienstraße schließen, die den Innenhof räumlich auslaufen ließ? Was machen wir mit der strengen Rasterung des Hauses und der Fassade und wie das alles unter laufendem Betrieb? Für uns gab es deshalb nur eine Wahl, nämlich den Baustoff Holz“, berichtet Hartmann. Durch die vertikale Erweiterung blieb der geräumige Innenhof erhalten. Ein monolithischer Neubau schließt teilweise die Baulücke und öffnet sich mit einem Café in der Erdgeschosszone zur Stadt. „Als Schule wollen wir mit der Stadt interagieren. Wir nehmen uns viel von ihr in Form von kulturellen Ausflügen und wollen daher auch etwas zurückgeben. Die öffentliche Zone im Neubau bot sich ideal dafür an“, freut sich die Bauherrin.

Ein glänzendes Band

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Die tragenden Holzelemente sind lediglich weiß lasiert. Die technischen Funktionen – Kühlung, Heizung, Lüftung – sind in niedrigen Tischen zwischen den Tragelementen verstaut und bieten zugleich Sitzmöglichkeiten. © Jan Bitter

Sauerbruch Hutton schufen durch die Aufstockung um ein beziehungsweise zwei Etagen einen neuen Zusammenhalt des Ensembles. Die Aufbauten sind zum Hof hin geneigt und geben ihm einen räumlichen Rahmen, der durch die Kupferverkleidung wie ein glänzendes Band auf dem Plattenbau thront und gut zu den rötlichen Bestandsklinkern passt. Die unterschiedlichen Gebäudehöhen wurden mit dem Aufbau egalisiert, sodass nur mehr ein Gebäudevorsprung im Bauteil B übrigblieb, der nun als Dachterrasse und Pausenraum der Oberstufe zur Verfügung steht. Die Spannrichtung des Holzbaus wurde um 90° gedreht, sodass die aussteifenden Wände des Plattenbaus die Lasten in die Fundamente übertragen. Das große Volumen des Daches ist von außen nicht ersichtlich. „Mit differenzierten Raumgrößen und -qualitäten haben wir Orte für Gemeinschaft, Rückzug, selbstständiges Lernen und Gruppenarbeiten geschaffen. Der nachhaltige Baustoff Holz, im Inneren sichtbar belassen und nur lasiert, schafft eine angenehme und gesunde Raumqualität für die Lernenden und Lehrenden“, ist Hartmann überzeugt.

Kupfer und Holz lassen das alte Handwerk hochleben und ergänzen die baukulturelle Geschichte des industriellen Plattenbaus. Zudem schafft Holz ein hervorragendes Raumklima und eine Wohlfühlatmosphäre.


Bauherrin Silke Friedrich

Herzstück ist das hölzerne Auditorium

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© Jan Bitter

Das Herzstück im Bauteil A ist mit Sicherheit das zweigeschossige Auditorium, in dem nun Versammlungen, Konferenzen, Prüfungen und der Abschlussball stattfinden. Wand- und Deckenelemente sowie die Holzrahmen der Tragkonstruktion, die dem Auditorium seine besondere gestalterische Note geben, wurden von Kai Vater Zimmerei & Holzbau im Werk vorgefertigt. Zulieferer war Züblin Holzingenieurbau aus Aichach. Die Holzrahmen wurden fertigmontiert auf das Dach gehoben. Ausgesteift werden die Rahmen über die Wandelemente aus Brettsperrholz. Der Rohbau konnte laut Holzbauunternehmen bei Bauteil B und C und später bei Bauteil A in je nur sechs Wochen fertiggestellt werden. „Lüftung und Technik sind in der abgehängten Akustikdecke untergebracht. Die Sockelbereiche der Holzrippenelemente, die als Sitzgelegenheit genutzt werden können, verstecken zusätzliche Technik. Geht man hoch auf die Empore, hat man einen wunderbaren Blick auf die Bühne. Von dort gelangt man auch auf die Dachterrasse des Bauteil B und in die zweigeschossige Bibliothek. In der oberen Etage verfügt diese über Arbeitsplätze für freies Lernen ähnlich wie an der Universität“, erzählt Hartmann. „Die Schüler können diese auch in ihrer Freizeit nutzen“, ergänzt Friedrich. Für die Bauherrin war die Wahl der Materialien ganz entscheidend: „Kupfer und Holz lassen das alte Handwerk hochleben und ergänzen die baukulturelle Geschichte des industriellen Plattenbaus. Zudem schafft Holz ein hervorragendes Raumklima und eine Wohlfühlatmosphäre.“

Kommunikation ist entscheidend

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© Jan Bitter

Für das Gelingen des Projekts, das kürzlich mit dem Deutschen Holzbaupreis ausgezeichnet wurde, war die gute Kommunikation aller Akteure entscheidend. Projektleiterin Hartmann spricht von einem „totalen Glücksfall“, dessen Bauaufgabe sich im Pingpong zwischen dem Planer und Bauherrn als Nutzer entwickelt hat. Schulleiterin Silke Friedrich lobt die gesamte Community, die nicht nur aus Schülern, 200 Mitarbeitern und täglich an die 500 bis 600 Gästen (Eltern, Lieferanten etc.) besteht. „Hier ist wahnsinnig viel Betrieb“, weiß Friedrich. Auch die angrenzende Nachbarschaft habe den Umbau gut mitgetragen. Aufgrund der Bauarbeiten musste der Betrieb im Schulhof eingeschränkt werden. Ein Tunnel führte zur Mensa. Aber noch mehr: „Unsere Schüler saßen teilweise mit Kopfhörern auf ihren Plätzen, die den Umgebungslärm gefiltert haben. Das Lehrpersonal musste zwischenzeitlich mit Schirm im Klassenraum verweilen, da es reingeregnet hat“, erinnert sich Friedrich an die Herausforderungen zurück. Spätestens dann habe man immer und immer wieder wie ein Mantra vor sich hergesagt: „Es wird der Zeitpunkt kommen, an dem alles fertig ist“. Die Anstrengungen seien nun vergessen. „Wir freuen uns alle, wenn wir im neuen Holztheater sitzen. Für die Kinder war die Erweiterung ja auch superspannend und ein großer Abenteuerspielplatz. Gerade als die Lkw mit den riesigen Holzgerippen vorfuhren, haben alle gestaunt“, freut sich die Schulleiterin. Man habe einen nachhaltigen Abdruck in der Straße hinterlassen und wurde somit Teil einer neuen Geschichte.

„Ich kann nur jedem raten: Rettet alte Häuser und Bausubstanzen und konserviert sie für die nächsten Generationen. Für uns war es der richtige Weg und wir haben kein Stück davon bereut“, ist sich Friedrich sicher. 

Projektdaten

Standort: Berlin-Mitte, Spandauer Vorstadt
Fertigstellung: 2020
Bauherr: Berlin Metropolitan Service GmbH
Architektur: Sauerbruch Hutton
Holzbau: Kai Vater Zimmerei und Holzbau GmbH & Co. KG
Statik: Andreas Külich Ingenieurbüro für Tragwerksplanung
Brandschutz: hhpberlin Ingenieure für Brandschutz
Bauphysik: Müller-BBM
Zulieferer: Züblin Timber
Bruttogeschossfläche: 3650 m2