Siamesischer Holzzwilling in Belgien

Ein Artikel von Birgit Gruber | 12.01.2022 - 08:28
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© Jasper van het Groenewoud

Der holzgerahmte Pavillon, der in Brügges Außenbezirk und Wohngebiet angedockt war und ungefähr die gleiche Größe wie seine Nachbarhäuser hatte, stand auf 15 zusammenhängenden Pontons und vermied jeden direkten Kontakt mit der unter UNESCO-Schutz stehenden Stadt. In seiner Form erinnerte der temporäre Pavillion an ein Diptychon. So werden zweiteilige Relieftafeln oder Gemälde bezeichnet, die in der Regel mit Scharnieren zum Aufklappen verbunden sind.

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© Iwan Baan

Fragen des urbanen Traumas

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© Stijn Bollaert

Der „Brugge Diptych“ diente als Ausgangspunkt für das öffentliche Programm der Triennale Brügge 2021, wobei man sich auch mit Fragen des urbanen Traumas befasste. Obwohl die Struktur eine typische Giebelsilhouette zu haben scheint, die sich diskret in die umgebende Morphologie einfügt, kann der Passant auf den zweiten Blick aus den richtigen Winkeln seine unheimliche Form erkennen: ein Dach, das sich in zwei ineinander verwobene Strukturen aufspaltet. Das Designteam rund um Architekt Jon Lott von PARA Project reagierte damit auf typische städtischen Probleme. „Die Struktur, die den schmalen Grat zwischen Traum und Trauma erforscht, ist eine Verschmelzung von Vorstellungskraft, Schönheit und Komplexität. Ihre unheimliche Silhouette spiegelt den Charme der Stadt als ideales Reiseziel wider, doch gleichzeitig verbergen sich dahinter Armut, Einsamkeit und Angst. Seine kurze Distanz zum Kanalhaus ist eine Studie über formale Verfremdungen. Dennoch erkennt der Pavillon durch seine Ausrichtung, sein Material, seinen Maßstab und seine Haltung etwas von sich selbst in seinem neuen Nachbarn wieder. Es scheint, als hätten beide ihr Trauma zu verarbeiten. Schließlich wird Architektur gefühlt, bevor sie verstanden wird“, erklärt Lott seine faszinierenden Gedanken. Es ist dies bereits sein drittes Projekt in einer Reihe von Studien über das „urbane Fremde“.

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© Stijn Bollaert

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© Iwan Baan

Das Bauwerk entstand durch die Duplizierung einer bestehenden Rückfassade und durch Hinzufügen einer Kopie der ursprünglichen Fassade. Mit dieser Konstruktion spielt der Architekt mit der Spannung zwischen dem Inneren und dem Äußeren, mit dem, was mit bloßem Auge zu sehen ist und dem, was sich hinter den Fassaden einer Stadt abspielt. 

Quelle: PARA Project