Baustoff Holz ist in der Stadt unschlagbar

Ein Artikel von Birgit Gruber | 17.05.2022 - 08:27
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Architekt und Wohnbauprofessor Olaf Gipser © Olaf Gipser

Herr Gipser, Sie sind vor Kurzem eine Professur für Wohnbau an der Universität Innsbruck angetreten. Wie kam es zu dieser Gelegenheit?
Die Ausschreibung erfolgte im Rahmen einer Stiftungsprofessur, gefördert durch den Bauträger Neue Heimat Tirol, und richtete sich an Persönlichkeiten auf dem Gebiet der innovativen Wohnbauarchitektur, die auf Grundlage ihrer Erfahrung die Entwicklung von zeitgenössischem, disziplinärem und interdisziplinärem Wissen vorantreiben und gestalten möchten. Ich bin die Professur im laufenden Wintersemester 2021/2022 angetreten. Sie ist auf 50 % ausgelegt und auf drei Jahre befristet. Mir war es wichtig, dass ich meiner Arbeit im Architekturbüro weiterhin nachgehen kann.

Welche Ziele verfolgt die Professur und worauf wollen Sie Ihren Fokus legen?
Die Wohnbauprofessur verfolgt die Entwicklung zeitgenössischer und zukünftiger Formen und Typologien des Wohnens und Zusammenlebens im urbanen Kontext. Dabei sollen sich wandelnde Lebensformen und die Entwicklung neuer, hybrider Modelle des Wohnens, Arbeitens und Zusammenlebens berücksichtigt werden. Wichtig sind natürlich auch ökologische und ökonomische Fragen, sowie Anforderungen an Mobilität und Flexibilität. Ich beschäftige mich damit seit Jahren eingehend. Mit meiner Tätigkeit will ich nun realwirtschaftliche Interessen mit akademischen verbinden und die Herausforderungen im österreichischen Wohnbau erkunden. Soziale Aspekte stehen dabei stark im Vordergrund.

Bitte erläutern Sie diesen kulturellen und technischen Wandel.
Die Attraktivität der Großstädte als Lebensraum ist weiterhin ungebrochen. Gleichzeitig wird dieser Raum knapper und knapper. Die logische Antwort darauf ist städtische Verdichtung, die für mich im Sinne einer baulichen und zugleich einer ökologischen Entwicklung gedacht werden muss. Doppelte Verdichtung heißt, die Entwicklung der Städte in ihrem Bestand nicht nur im Sinne einer baulichen Verdichtung zu betreiben, sondern zugleich den Blick auf die Erhaltung, Weiterentwicklung und Qualifizierung des urbanen Grüns zu richten. Diese doppelte Verdichtung muss als Einheit konzeptionell zusammengeführt werden. Wohnen in der Stadt bedeutet in Zukunft noch mehr Zusammenrücken. Damit meine ich jetzt nicht, dass jeder in einer Wohngemeinschaft leben muss. Die eigenen vier Wände sind in unserer liberalen Gesellschaft weiterhin sehr wichtig. Aber ich sehe auch, dass das Teilen von Raum weiter gedacht werden kann und aus der Perspektive der räumlichen und gesellschaftlichen Notwendigkeit heraus auch muss. Dazu braucht es neue architektonische Modelle. Die drei für den Wohnbau so wichtigen Bereiche privat, gemeinschaftlich und öffentlich müssen sich neu definieren und im Verhältnis neu finden.

Im Rahmen Ihrer Tätigkeit wollen Sie einen Schwerpunkt auf Wohnbau in Holzbauweise setzen. Worauf gründet Ihr großes Interesse am ökologischen Baustoff?
Die Erkenntnis der doppelten Verdichtung der Städte geht mit Aspekten der Nachhaltigkeit Hand in Hand. Wir leben immer noch in einer sehr anthropozentrischen Weltbetrachtung , und die Konsequenzen unserer Unfähigkeit zu ökosystemischem, vernetztem, relationalem Denken und Handeln sind mittlerweile weitgehend evident. Der Zusammenhang zwischen der Gesundheit des Menschen und derjenigen der Umwelt (One-Health-Konzept) muss als Teil der Nachhaltigkeit berücksichtigt werden und verlangt im Rahmen der intellektuellen Kulturgeschichte nach neuen Konzepten und Herangehensweisen. Holz und biobasierte Materialien sind in diesem Sinne geeignete Baustoffe, da sie unsere Umwelt und das Klima schonen. Holz wird im Wohnbau der Zukunft eine sehr wichtige Rolle spielen, davon bin ich überzeugt. Wer für unsere nächsten Generationen baut, muss den ökologischen Baustoff verinnerlichen.

Sie sind sehr am gegenwärtigen Stand der Holzbautechnologie in Österreich interessiert und beabsichtigen, dazu auch zu forschen. Bitte erzählen Sie mehr darüber.
Ich sehe es als großes Privileg, dieser Professur in Österreich nachzugehen. In einem Land, das anders als die Niederlande zu den holzproduzierenden Ländern gehört. Ich freue mich auf den Austausch mit Kollegen und Forschenden und gemeinsame Projekte. Wir müssen uns die Prinzipien neuer Holzbautechnologien aneignen und gleichzeitig deren ästhetischen Potenziale ausloten.

Stichwort hybride Bausysteme: Sollten Holz und Beton Ihrer Meinung nach zusammenarbeiten? Braucht es hier nicht eine gemeinsame Lobby?
In Anbetracht der großen und vielzähligen Herausforderungen unserer Zeit muss man pragmatisch an die Sache herangehen. Holzbau hat Stärken und Schwächen, gerade was den Schallschutz betrifft. Holzbau im mehrgeschossigen Wohnbau sollte nach meinem Verständnis deshalb hybrid sein, um unter anderem den Anforderungen an die fehlende akustische und thermische Masse gerecht zu werden. Man kann die Masse natürlich mit viel dickeren Holzbauelementen erreichen und auf mineralische Materialien verzichten, aber das scheint nicht sinnvoll. Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit und Forschung zu hybriden Holzbaukonzepten wäre aus meiner Sicht begrüßenswert.

Moderne Holzbausysteme, die die Vorteile verschiedener Bauweisen kombinieren, erlauben einfaches, modulares Bauen, das auch nach oben keine Grenze kennt. Es entstehen mittlerweile ganze Holzhochhäuser. Wohin soll die Reise noch gehen?
In den vergangenen Jahren sind in Großstädten wichtige Pionierprojekte entstanden, bei denen der Holzbau sprichwörtlich an den Wolken kratzt. Die Industrie wird auf diesem Weg zu neuen Innovationen angeregt. Dieses Ausprobieren ist auch ein komplexes Spannungsfeld zwischen Architektur, Materialwissenschaft und Ingenieurwesen. Holzbau muss integral gedacht werden, er ist sehr präzise und erlaubt keine Fehler. Er fordert eine disziplinierte und regelbasierte Herangehensweise, die ich meinen Studenten im Entwurf vermitteln will. Welche Freiheiten der Holzbau erlaubt, sollen sie dann selber herausfinden. Die Vorteile, die das Material mit sich bringt, machen es gerade für die Stadt unschlagbar. Ich denke da vor allem an Erweiterungen und Aufstockungen in Holzbauweise, an saubere und leise Baustellen und die atemberaubende Geschwindigkeit, mit der errichtet wird.

Wenn es um leistbares Wohnen geht, erhöht sich der Kostendruck. Leidet die Architektur unter der zunehmenden Systematisierung?
Die DNA des Holzbaus ist regelbasiert. Diese Tatsache finde ich persönlich sehr interessant. Systematisierung und Vorfertigung sind aber auch die Zukunft, da wir immer schneller und kostengünstiger bauen sollen. Ich habe jedoch großes Vertrauen in die Kreativität der Architekten, die neue Formen der Ästhetik finden und Gebäuden typologisch und über die Fassade eine individuelle Gestalt verleihen werden. Anders als in der Vergangenheit werden wir allerdings in Zukunft nicht mehr funktionsspezifisch für die normativ wohnende Kleinfamilie planen, sondern vermehrt für differenzierte Gesellschaftsgruppen, für soziale und persönliche Bedürfnisse, die sich weiterhin dynamisch verändern und entwickeln werden. Deshalb werden langlebige, funktionsneutrale räumliche Organisationen wichtiger werden und damit könnte sich der Wohnbau wieder vermehrt auf die raumgestalterischen Qualitäten der Architektur besinnen.

Welche Anreizsysteme im Bereich Wohnbau braucht es, damit vermehrt mit Holz gebaut wird und welche Aufgabe hat dabei die öffentliche Hand?
Öffentliche Körperschaften müssen Holzbau schon allein aus Nachhaltigkeitsgründen stimulieren. Amsterdam geht da mit gutem Beispiel voran. Mit Holz zu bauen, muss aber auch per Gesetz vereinfacht werden. So muss zum Beispiel in einigen Ländern die Gesetzgebung im Bereich des Brandschutzes modernisiert und an neue und bessere Holzprodukte angepasst werden. Eine große Herausforderung sehe ich weiterhin bei der Kostenfrage. Bei uns in den Niederlanden bringt ein mehrgeschossiger Holzwohnbau um 10 bis 15 % mehr Baukosten mit sich. Gerade im Wohnbau muss man hier mit Förderungen gegensteuern. Damit eröffnet man heimischen Holzbaubetrieben das Segment des geförderten Mietwohnbaus. Aktuell stehen auch schwankende Rohstoffpreise dem Wunsch nach leistbaren Wohnraum gegenüber. Auch hier ist die Politik ganz stark gefordert

Zur Person

Olaf Gipser ist in der Schweiz geboren, hat an der ETH Zürich, Universität Stuttgart und University of California Los Angeles (UCLA) studiert und langjährig an der TU Delft, dem Berlage Institute in Rotterdam, der Royal Academy of Arts in London, der Akademie van Bouwkunst in Amsterdam und der Bergen Arkitekthøgskole unterrichtet. Seit 1998 lebt und arbeitet er in Amsterdam und führt seit 2005 sein eigenes Büro. Seine Projekte wurden ausgezeichnet mit dem Zuiderkerkprijs 2020 der Stadt Amsterdam (Bester Wohnbau), mit Nominationen für den BNA Beste Gebouw van het Jaar 2022 (Nationaler Architekturpreis), Amsterdamse Architectuurprijs 2022, Zuiderkerkprijs 2021, den Nationale Houtbouwprijs 2021 (Nationaler Holzbaupreis) sowie mit der Aufnahme in das Jaarboek Architectuur in Nederland 2022.