Hygge im Holzhaus

Ein Artikel von Birgit Gruber | 14.06.2022 - 08:24
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© Violetta Wakolbinger

Das Grundstück eines ehemaligen Streckhofes, auf dem noch ein Bestandsgebäude stand (früher als Saustall genutzt), war Ausgangspunkt für ein kleines, aber feines Holzbauprojekt im niederösterreichischen Absdorf. Diese landwirtschaftliche Bauform ist typisch für die Region und besteht meist aus eng hintereinander gebauten Wohn-, Stall-, Scheunen- und Schupfentrakten, die im rechten Winkel, mit der Giebelseite des Wohnhauses zur Dorfstraße platziert sind. Der schmale Hof wird dabei durch die Wand des Nachbarhofes begrenzt. Das Grundstück wurde von der Großmutter an Bauherrin Katharina Ludwig weitergegeben. Familienintern verlief dann auch die Planung des neuen Einfamilienhauses, da die Schwester des Bauherrn Simon Brandstetter Teil des Linzer Büros Bogenfeld Architektur war. Ein doppelter Glücksfall also. „Für die Bauherrschaft war von Anfang an klar, dass es ein Haus aus Holz sein soll und wir bauen sehr gerne mit energieeffizienten Materialien“, erzählt Birgit Kornmüller, die gemeinsam mit Gerald Zehetner das Architekturbüro leitet. Ihr Team wurde im Vorjahr für dieses Einfamilienhausprojekt in Absdorf mit dem Holzbaupreis Niederösterreich ausgezeichnet.

Die Kunst der dänischen Hygge

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© Violetta Wakolbinger

„Das Glück bei unserem Haus war die Möglichkeit, hier auf dem großartigen Grundstück meiner Großeltern zu bauen. Mit den Architekten gemeinsam haben sich so viele neue Möglichkeiten für uns erschlossen: die feine Anordnung, die Materialien und der kompakte Grundriss. Nun genießen wir jeden Tag in unserem supermodernen, offenen Schuppen, der trotz aller Schlichtheit einfach nur Hygge ist“, schwärmen die Bauherren und beziehen sich dabei auf einen Begriff, der gerade in aller Munde und sogar im Duden zu finden ist. „Hygge“ (gesprochen: hügge) hat seinen Ursprung zwar nicht in der dänischen Sprache, sondern in der norwegischen, in der der Begriff so etwas wie „das Wohlbefinden“ bedeutet. Heute ist er jedoch Kernbestandteil der dänischen Tradition und Lebensweise und meint im Wesentlichen eine gemütliche, herzliche Atmosphäre, in der man das Gute des Lebens zusammen mit lieben Leuten genießen kann. Etwas ist „hyggelig“, wenn das Gefühl von Vertrautheit, Sicherheit, Behaglichkeit, Geborgenheit und Wärme entsteht. Eine bessere Beschreibung für die eigenen vier Wände ganz aus Holz kann es wohl kaum geben. Das Wohnhaus in Absdorf beweist zudem, dass die Lage im urbanen Kontext nicht immer mit einem Mangel an Privatsphäre einhergeht.

Vorbild für nachhaltiges ländliches Bauen

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© Violetta Wakolbinger

Durch eine Schließung der innerörtlichen Baulücke wird außerdem der kulturelle Wert der gewachsenen Streckhofsiedlung, der aufgrund der neumodischen Einfamilienhausteppiche zu schwinden droht, gestärkt. „Betrachtet man das Grundstück, so liegt die Straße im Süden. Die Struktur und Geschlossenheit dahingehend mussten für uns erhalten bleiben. Das haben wir mit der Errichtung eines Nebengebäudes gelöst, das als Pkw-Stellplatz dient oder als Party- und Lagerraum genutzt werden kann. Dahinter kommen der Hof und erst dann das eigentliche Wohnhaus. Ganz im Norden hat die Familie einen wunderschönen Nutzgarten angelegt. Dort ist es im Sommer auch nicht so heiß“, weiß Kornmüller. Außen- und Innenräume, Garten und Hof gehen fließend ineinander über. Der Hof ist geschützt, der Garten nach hinten offen. Der langgestreckte, eingeschossige Baukörper des Einfamilienhauses greift mit der schlichten Satteldachform die regionaltypische Streckhofform auf. „Unser Ziel ist immer im Kontext mit der Umgebung zu bauen. Durch das Steildach entstehen im Inneren unterschiedliche Höhen und eine luftige Offenheit, die wir im Wohnraum und den Schlafzimmern gut genutzt haben. In Bereichen wo eine Brettstapeldecke eingezogen wurde, wie zum Beispiel im Badezimmer und Technikraum, wird der Raum darüber als Galerie oder kleiner Arbeitsbereich genutzt. Auch das Kinderzimmer hat diese, über eine Leiter begehbare, offene und dennoch geschützte Fläche“, erzählt die Architektin. Der hohe Dachraum und ein Konzept der ineinanderfließenden Bereiche lassen die Wirkung des Werkstoffes Holz in beeindruckender Weise zur Geltung kommen.

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© Violetta Wakolbinger

Weiß lasierte Fichte im Inneren

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© Violetta Wakolbinger

Die hohen Fensteröffnungen und die offene Grundrissgestaltung des in Holzriegelbauweise errichteten Bungalows erzeugen helle lichtdurchflutete Räume, die einen großen Bezug zum Außenraum zulassen. Der offene Wohntrakt ist nur durch einen Kern unterteilt, der als Abstellraum dient. Er trennt den Eingangsbereich mit der Garderobe von der geräumigen Wohnküche. Ein Highlight im Wohnraum ist sicherlich der betonierte Holzkamin. Er besteht aus einem Guss und wurde noch in der Rohbauphase ins Innere transportiert. „Vom Wohnzimmer aus führt ein Gang, der sich von der Raumhöhe her duckt, geradeaus zum Schlafzimmer mit freiem Blick in den Garten sowie zum Bad und Kinderzimmer“, schildert Kornmüller die Raumaufteilung. Für die Ausführung zeichnet Holzbau Gerstenmayer aus Karlstetten verantwortlich. Die Brettstapeldecken stammen von Binderholz aus Fügen. Alle Materialien wirken schlicht und dennoch atmosphärisch. Neben einem Sanitärkern aus Sichtbeton, der zur Aussteifung dient, prägen hauptsächlich weiß lasierte Fichtenoberflächen (Dreischichtplatten) das Innere. „Wenn wir mit Holz bauen, soll der natürliche Baustoff sichtbar bleiben und seine wohlige Wärme voll zur Geltung kommen“, hält Kornmüller fest. Die Planerin kennt die vielen Vorteile, die ein Holzbau mit sich bringt. „Ich liebe ja den Geruch, der von Anfang an auf der Baustelle vorherrscht. Ich schätze die Planungssicherheit und die extreme Präzision und dann natürlich die rasche Umsetzung“, schwärmt die Architektin. Das Haus in Absdorf war nach nur zehn Monaten Bauzeit bezugsfertig.

Erinnerungen an frühere Zeiten

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© Violetta Wakolbinger

An der Fassade befindet sich unbehandelte Lärche, die auch verwittern darf. Die Struktur und Anordnung der Bretter sollen dabei an das einstige Nebengebäude erinnern, das dem Neubau weichen musste. „Vor dem Abbruch haben wir an der Fassade der alten Scheune noch die Maße der Lattung genommen, um die Lärchenbretter in derselben Weise beim neuen Haus wieder anzubringen. Zudem erinnern das alte Eingangstor und ein alter Obstbaum, den die Bauherrenfamilie unbedingt erhalten wollte, an frühere Zeiten“, weiß Kornmüller. Geheizt wird der Bungalow über eine Erdwärmepumpe mit Sole-Tiefenbohrung.

Auf die Größe kommt es an

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© Bogenfeld Architektur

Für das Linzer Architekturbüro, dem der Begriff „Hygge“ zunächst nicht geläufig war, hängt der neumodische Ausdruck in Bezug auf Wohnen und Gemütlichkeit sehr stark von der Größe eines Einfamilienhauses ab. So kommt das Projekt in Absdorf mit nur 146 m2 Nutzfläche aus. „Das ist für mich überschaubar und man ist aufgrund der Größe nicht schnell einmal überfordert. In so einem Haus fühlt man sich geborgen. Der Baustoff Holz vermittelt zudem sicherlich ein Lebensgefühl, das einfach glücklich macht. Bevor man an den Bau eines Eigenheimes geht, sollte man sich deshalb gut überlegen, was man tatsächlich alles braucht“, rät Kornmüller allen zukünftigen Bauherren. Mit einem vor kurzem fertiggestellten Holzhaus am Attersee will Bogenfeld Architektur nun auch noch den nächsten Holzbaupreis Oberösterreich einheimsen. Wir drücken die Daumen.

Projektdaten

Standort: Absdorf
Bauherrschaft: Katharina Ludwig, Simon Brandstetter
Ausführung: April bis Dezember 2018
Architektur: Bogenfeld Architektur (Gerald Zehetner, Birgit Kornmüller, Miriam Brandstetter)
Holzbau: Holzbau Gerstenmayer GmbH
Systemlieferant: Binderholz
Holzarten: Fichte und Lärche
Bruttogeschossfläche: 223 m² (davon 48 m² für das Nebengebäude)
Wohnnutzfläche: 146 m²