Ein Holzhaus, das lebt

Ein Artikel von Raphael Zeman | 28.06.2022 - 09:03
Rhythm_House_Julius_Taminiau_01.jpg

© Norbert Wunderling

Julius Taminiau, der Gründer des gleichnamigen Amsterdamer Architekturbüros, schloss 2011 sein Studium an der Technischen Universität Delft ab. Musik spielte neben Architektur schon immer eine große Rolle in seinem Leben. Der Niederländer ist nicht nur auf der Geige, sondern auch als DJ und Produzent geübt. Schlussendlich entschied er sich für die Architektur, doch sein multidisziplinärer Ansatz blieb ihm bis heute erhalten und so sucht er immer nach Verbindungen mit den Bereichen Kunst, Musik, Philosophie, Anthropologie und Natur. Dies spiegelt sich auch in der Unternehmensphilosophie wider: Das Büro verwendet gerne umwelt- und menschenfreundliche Materialien und Bauweisen, um so die Natur zurück in die Stadt zu bringen. Zudem kombinieren die Planer gerne High- und Lowtech-Lösungen, um den ökologischen Fußabdruck zu minimieren, jedoch ohne dabei den Anspruch an Ästhetik zu verlieren.

Architekt widerspricht Goethe

Rhythm_House_Julius_Taminiau_14.jpg

Das Spiel von Licht und Schatten ist ein Grundprinzip des Entwurfs. © Norbert Wunderling

Bereits die Architektenbeschreibung des Projekts zeigt den ganzheitlichen und philosophischen Ansatz von Julius Taminiau Architects (JTA): „Goethe schrieb einst: ,Architektur ist eingefrorene Musik.‘ Aber für Taminiau fühlt sich diese Aussage nicht richtig an. ,Architektur ist nicht eingefroren oder statisch, sie ist dynamisch, man betritt ein Gebäude, bewegt sich hindurch, Licht und Schatten ändern sich ständig, manchmal sieht man es regnen, die Menschen (und Vegetation), welche das Gebäude ,nutzen‘, sind alle in Bewegung und sogar das Gebäude selbst kann durch das einfach Öffnen eines Fensters oder einer Tür in Bewegung versetzt werden. Was ist also die Beziehung von Musik und Architektur? In ihrer breitesten Definition ist Musik eine Anordnung von Klängen. Architektur ist in einem ebenso weit gefassten Sinn eine Anordnung von Licht. Musik hat – wie die Architektur – Proportionen, Komposition und Struktur. Architektur braucht – wie die Musik – Rhythmus, Melodie und eine Seele. Architektur ist mit anderen Sinnen wahrgenommene Musik.“ Entsprechend diesem Prinzip „komponierten“ die Architekten das Rhythm House als ein von der Sonne bespieltes Instrument. Über einen einzelnen Tag, aber auch das ganze Jahr hinweg ändern sich die Ausblicke, das Wetter, die Lichtverhältnisse beständig. Die Fassade, die sorgfältig durchdachte Platzierung der Fensteröffnungen, die doppelten Raumhöhen, der Stiegenaufgang, die Zwischengeschosse und Balustraden stellen zusammen die Partitur des Gebäudes dar.

 

Hinter die Fassade blicken

Rhythm_House_Julius_Taminiau_11.jpg

Die Zwischengeschosse können nach Lust und Laune erweitert oder entfernt werden. © Norbert Wunderling

Ihrem umweltbewussten Zugang entsprechend, konzipierten die Architekten das Gebäude mit Bedacht auf die immer wärmer werdenden Sommer. Zurückversetzte beziehungsweise hinter der Fassade versteckte Tür- und Fensteröffnungen ermöglichen eine Durchlüftung auch an heißen Sommertagen und machen so eine Klimaanlage obsolet. Die Fassadenschalung selbst ist eine Sonderlösung: „Da wir kein für uns passendes Holzprodukt für die Verkleidung finden konnten, haben wir selbst eines entworfen. Normalerweise wird das Holz zweimal gesägt und anschließend gehobelt, um eine gleichmäßige Oberfläche zu erzielen. Wir haben aber die Hersteller gebeten, das Holz direkt in kleinere Teile zu schneiden. Dadurch wurden zwei Produktionsschritte eingespart, was einerseits den rohen Charakter des Ausgangsmaterials erhielt und andererseits schlicht günstiger war“, erklären die Architekten. Zudem wurde das sägeraue Holz mit einem Abfallstoff der Rohrzuckerproduktion behandelt und dann auf Aluminiumstangen getrocknet. Die Abdrücke der Stangen sind heute noch sichtbar, was der Fassade zusätzlich Individualität verleiht.

Mit dem Leben im Einklang

Rhythm_House_Julius_Taminiau_18.jpg

Minimalismus und Detailverliebtheit ziehen sich wie ein roter Faden durch das Gebäude. © Norbert Wunderling

Grundsätzlich ist das Haus, das abgesehen von der Fundamentplatte als reiner Holzrahmenbau errichtet wurde, auf maximale Flexibilität ausgelegt, um an die unterschiedlichen Bedürfnisse der Familie über mehrere Generationen hinweg angepasst werden zu können. Ein architektonisches Grundprinzip, das auch am Satteldach ablesbar ist, stellt die Zweiteilung dar: Ein zentraler Sanitär- und Servicekern samt Stiegenaufgang trennt das Gebäude in der Mitte. Im Erdgeschoss erstrecken sich die Räume seitlich beziehungsweise diagonal des Kerns auf eine Höhe von 5 m. Mit dem Hintergedanken der zukünftigen Anpassung wurden jedoch auf einer Höhe von 2,5 m Winkelstahlträger mit Fixierungspunkten im Abstand von jeweils 10 cm angebracht. So kann das derzeit diagonal angeordnete Zwischengeschoss entsprechend dem „Lebensrhythmus“ der Bewohner erweitert oder auch gänzlich entfernt werden. Im ersten Obergeschoss befinden sich drei Wohn- beziehungsweise Schlafzimmer, die ebenfalls über eine anpassbare Raumhöhe verfügen, und das Badezimmer. Von einem dieser Räume gelangt man weiter ins zweite Obergeschoss, wo sich drei weitere Zimmer befinden. Zuletzt verbindet eine Dachterrasse, welche als Einschnitt im Satteldach auch von außen zu erkennen ist, die obersten Räume.

Antwort auf Herausforderungen der Zeit

Mit der Initiative, den Selbstbau zu fördern, verkauft Amsterdam jährlich einen Teil des städtischen Grunds. Das Rhythm House ist eines von neun Gebäuden auf der Parzelle, die nahe dem historischen Bezirk Sloten am Rande Amsterdams gelegen ist. Früher befanden sich hier hauptsächlich Holzhäuser und Bauernhöfe. Diesen geschichtlichen und architektonischen Kontext griffen JTA auf. Wegen der abgelegenen Lage am Ende einer Reihe von drei Häusern erschien es den Planern zudem logisch, das Gebäude als eine Art bescheidenen Anbau zu positionieren und gestalten. „Das Rhythm House ist der Versuch, passende kontextuelle und soziale Antworten auf die gesellschaftlichen Herausforderungen der Zeit zu geben, ohne dabei den ästhetischen Anspruch zu verlieren, zugleich aber eine Architektur zu schaffen, die dauerhaft, zeitlos und hoffentlich für viele Jahre geliebt ist.“

Bei all den Überlegungen hinsichtlich nachhaltiger Lebensqualität, die in das Projekt einflossen, liegt es zu guter Letzt auf der Hand, dass das Energiekonzept auf einen minimalen Verbrauch ausgelegt ist. Das Haus wird ausschließlich mit Elektrizität betrieben, von der ein Teil über 30 Solarpaneele am Dach generiert wird. Darüber hinaus ist es mit einer Wärmepumpe sowie einer Lüftungsanlage und einem Duschabfluss mit Wärmerückgewinnung ausgestattet. Ein rundum durchdachtes Projekt also, das eindrücklich unter Beweis stellt, dass Nachhaltigkeit, Lebensqualität und Ästhetik unter einem (zweigeteilten) Dach vereint werden können.

Projektdaten

Standort: Amsterdam
Bauherr: privat
Fertigstellung: 2020
Architektur: Julius Taminiau Architects
Tragwerksplaner: Olde Hanter Bouwconstructies
Holzbau: Aannemer Volendam B.V.
Nettogeschossfläche: ca. 200 m²