Ressourcenschonend Bauen mit Holz

Ein Artikel von Teresa König | 07.11.2022 - 09:47
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Das neu errichtete Wohnhaus steht auf Streifenfundamenten mit genügend Abstand, damit die Bodenplatte aus Tannenholz gut belüftet wird. © kontur

Recycling und Re-Use enden aber nicht bei den eingesetzten Baumaterialien und geht über die bloße Aufbereitung und materielle Wiederverwendung von Holz, Beton, Ziegel oder Stahl weit hinaus. Nach unserer Ansicht beinhaltet Kreislaufwirtschaft und zirkuläres Bauen auch einen sorgsamen Umgang mit den Bestandsgebäuden als Ganzes und mit Grund und Boden. Bei der Revitalisierung des hier vorgestellten Innviertler 4-Seit-Hofes aus dem Jahre 1860 wurde dieser Ansatz konsequent verfolgt. Der Bauherr erlag dem Charme des Gehöfts trotz augenscheinlicher Baufälligkeit sofort und erwarb ihn in der Absicht, dort ein neues Heim für seine Familie zu schaffen. Nach der Prüfung mehrerer Varianten, beschloss man, den Hof von Grund auf neu zu organisieren und neu aufzubauen. Den Charakter und die Qualitäten der Anlage galt es jedoch zu erhalten. Zudem wurden bei den neu errichteten Gebäuden höchste Maßstäbe an Ökologie und Kreislaufwirtschaft angelegt. Den Bauherren und Planern war es wichtig, bei dem Neubau Naturmaterialien möglichst sortenrein und trennbar einzusetzen. Im ersten Schritt wurde der über 150 Jahre alte Stall generalsaniert und originalgetreu wieder aufgebaut. Das Wohnhaus wurde nach Osten auf einer sanften Anhöhe mit Weitblick über die Felder verlagert. Der Mostkeller des Binderbauernhofes gilt als der Beste in seiner Umgebung. Der alte Gewölbekeller wurde erhalten und vom darüberliegenden neuen Wohnhaus zugänglich gemacht. Eine neue eingeschossige Wagen-Remise an der Stelle des ursprünglichen Wohnhauses schließt den Hof nach Süden hin ab und lässt durch die niedrigere Bauhöhe viel Licht und Sonne in den Innenhof. Sie ist, so wie das neu errichtete Wohnhaus, aus leimfreiem, regionalem Holz gebaut.

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© getifo

Einfamilienhaus Familie Reisecker

Standort: Altheim
Planung:
kontur, kontur.co.at; Holz Reisecker, holz-reisecker.at
Holzbau: Holz Reisecker und WIEHAG Bau, wiehag.com

Zukunft Tanne

Der Tanne wird als Baumart großes Zukunftspotenzial zugeschrieben. Als Tiefwurzler kommt sie mit höheren Temperaturen und längeren Trockenperioden besser zurecht als die Hauptbaumart Fichte. Deshalb bietet sie Waldbauern in Zeiten des Klimawandels eine Zukunftsperspektive. Technologisch punktet die Tanne im Vergleich zur Fichte vor allem mit einem etwas geringeren Quell- und Schwindverhalten und fehlenden Harzgallen. Beim hier vorgestellten neu errichteten Wohnhaus war es das Material der Wahl und wurde in beinahe allen tragenden Bauteilen inklusive Bodenplatte (!) eingesetzt. 

Holz vom Scheitel bis zur Sohle

Die Streifenfundamente sind die einzigen tragenden Bauteile aus Beton, der Rest ist aus Holz. Auf der Oberseite der Holzbodenplatte wurde ein Trockenaufbau mit Zellulosedämmung und einer Fußbodenheizung mit Eichenboden ausgeführt.

Tragkonstruktion mit Reinheitsgebot

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Die Vollholz-Deckenelemente mit Akustikhobelung während
der Bauphase. © kontur

Die tragenden Wände wurden in einer stehenden Blockbauweise mit doppelt Nut und Feder sowie in Sichtqualität ausgeführt. Sichtholzflächen wurden gebürstet und mit einem weiß pigmentierten Öl behandelt, um Farbveränderungen durch UV-Strahlung möglichst gering zu halten. Die verdübelten Blockwandelemente mit 16 und 12 cm Stärke wurden zur Aussteifung zusätzlich mit einer diagonalen Nut- und Federschalung beplankt. Sogar bei den Verbindungsmitteln für die Schalung wurden keine Kompromisse gemacht: Die Schalung wurde mit Holznägeln von Lignoloc an den Blockwandelementen befestigt. Somit besteht die Tragkonstruktion sortenrein aus Holz, ohne Leim und ohne metallische Verbindungsmittel.

Eine Wand besteht nicht aus der Tragkonstruktion allein. Die Außenwände sind mit 26 cm Zellulose gedämmt. Als Fassade ist eine hinterlüftete sägeraue Deckelschalung aus Tanne und mit einer Länge von bis zu 9 m ausgeführt. Die Tannenfenster sind von außen auf dem Massivholzkern montiert. Auch in der Gebäudehülle blieb man also dem Holz treu. Schließlich ist auch der Ausgangsstoff für die Papierproduktion und damit für den Zellulosedämmstoff Holz.

Decke und Dach

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© kontur

Die Decken und das Dach wurden nach dem gleichen Prinzip wie die Wände aus Massivholzelementen gebaut. Zum Teil wurden die Vollholz-Deckenelemente mit einer Akustikhobelung versehen. Auf den Deckenelementen liegt ein Trockenaufbau mit gebundener Splitt-Schüttung und Polsterhölzern für Massivholzböden aus Tanne, Eschen- oder Kirschholz. Auch diese Aufbauten und Materialien lassen sich am Ende der Lebenszeit des Gebäudes leicht rückbauen, trennen und wiederverwerten.

Fazit

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Teilweise wurde eine Wandheizung auf Schilfrohrmatten verlegt und mit Lehmputz versehen. © kontur

Kreislaufwirtschaft, Recycling und Re-Use wird derzeit auch im Baubereich und in der Architektur intensiv diskutiert. Die Revitalisierung des Binder-Bauernhofs zeigt, wie das Konzept umgesetzt werden kann:

  1. Einem bestehenden Gebäude-Ensemble wurde neues Leben eingehaucht. Der Hof wird einer Familie wieder für lange Zeit ein gutes Heim sein.
  2. Bei allen Neubauten kamen sortenreine und
    weitestgehend unbehandelte Naturmaterialien sowie trennbare Aufbauten zum Einsatz. Damit wird ein einfacher Rückbau am Ende der Nutzungsdauer ermöglicht.
  3. Die auf Streifenfundamenten aufgelagerte Holz-Bodenplatte lässt sich im Rückbau einfach entfernen. Somit wurde auch mit der Ressource Boden sorgsam umgegangen.
  4. Das eingesetzte Holz kommt überwiegend aus der Umgebung und schafft wertvolle Arbeitsplätze in einer ländlichen Region.
  5. Das im Gebäude verbaute Holz speichert für eine lange Zeit CO2 aus der Atmosphäre ein und trägt damit zum Klimaschutz bei.

Ein Detail am Rande: Dass aus diesem Projekt ein Musterbeispiel für Kreislaufwirtschaft im Baubereich wurde, ist eher dem Zufall geschuldet. Denn die Wörter „Kreislaufwirtschaft, Recycling und Re-Use“ wurden bei keiner der vielen Bau- oder Planungsbesprechung in den Mund genommen. Bauherrn und Planer forderten aber ein, dass bei allen Schritten an das Wohl zukünftiger Generationen gedacht werden musste. So werden Begriffe wie Kreislaufwirtschaft oder nachhaltiges Bauen von Schlagwörtern zu einer Selbstverständlichkeit und es können Gebäude entstehen, die ihren Eigentümern am Ende der Lebensdauer nicht zur Last fallen, sondern zu einer wertvollen Rohstoffquelle werden.