Ein Baustoff für alle Polaritäten

Ein Artikel von Michael Schluder | 29.12.2022 - 09:29
SchluderMichael.jpg

Architekt Michael Schluder © schluder architekten

Ressourcenschonendes Bauen mit Holz löst bei mir die historische Verbindung zu den Pfahlbauten in Hallstadt sowie den Jurten aus Zentralasien aus. Beides sind gelungene Beispiele von zerleg- und wiederherstellbarer Anwendung und sinnvollem Einsatz von Material. Diese intelligente Verwendung sollte wieder der zentrale Gedanke unserer Baubestrebungen und kreativer Forschung werden. Es gibt unzählige Beispiele aus der japanischen Baukultur, die auf das traditionelle Handwerk verweisen. Aber auch im alpinen, heimischen Raum findet traditioneller Holzbau heute immer noch breite Anwendung. In Verbindung mit der Entwicklung intelligenter Systeme in allen Bereichen – sei es Neubau, Umbau, Aufstockung, Anbau oder Sanierung – kommt der Architektur die wesentliche Rolle der Gestaltung zu. Bauästhetik bringt einen zusätzlichen Wert für die Menschen mit sich, der oft einen achtsameren Umgang mit der Umwelt zufolge hat. Das kann wieder die Nutzungsdauer des Gebauten entsprechend verlängern.

Das Verantwortungsprofil einer guten Planung besteht für mich also aus drei Eckpfeilern: der ökologischen, der ökonomischen und der sozialen Komponente. Der Einsatz von Holz als Bausubstanz ist bei allem Gebauten, vom Wohnbau bis hin zum Stadion, nicht nur vom strukturellen System abhängig, sondern im erweiterten Sinn von der Verfügbarkeit der Materialien und dem damit verbundenen Energieaufwand der Beschaffung – ein Entwicklungsprozess, der sich stetig verändert. Durch neue Holzwerkstoffe und innovative Systeme von Bauelementen gelingt es, mögliche Ressourcendefizite auszugleichen. Innovatives Denken im Bauwesen ist sowieso ein essenzieller Bestandteil zur Förderungder Nachhaltigkeit. Eine Tatsache, die in der künftigen Bauwelt von großer Bedeutung sein wird. Ein Weiterbauen im Bestand schont zudem Ressourcen und reduziert vor allem erweiterte Bodenversiegelung. Aus Wiener Sicht speziell mit Blick auf den Stadtteil Ottakring gerichtet, würde eine Aufstockung des gesamten Bezirks um zwei Stockwerke der momentanen Praxis erneuter Bodenversiegelung erheblich entgegenwirken. Aktuell ist diese Möglichkeit dem Flächenverbrauch der Wiener Stadtentwicklung von 1,5 ha pro Tag gegenüberzustellen.

Der Kreislauf von Produkten und Materialien für eine gezielte Planung wird nicht nur in der EU durch Richtlinien festgelegt. Hier bedarf es sinnvoller Regularien, welche die Gestaltungsfreiheit und den Verantwortungsbereich der Architekten und Bauausführenden unterstützen und nicht durch stringente Normen erdrückend einschränken.

Wenn wir bedenken, dass vier Fünftel der Weltbevölkerung den Lebensstandard des obersten Fünftels erreichen wollen, so werden Themen wie Ressourcenmanagement und ‚Sustainability‘ zum Thema des Überlebens. Das hat die unbedingte Notwendigkeit der Reduktion unseres bequemen ‚Status-quo‘-Lebensstandards zur Folge. Einerseits sind hier gut durchdachte, innovative Systeme gefragt, andererseits ist die Kreativität der Architekten, Ingenieure und Handwerker notwendig, um diesen Herausforderungen erfolgreich entgegenzutreten. Holz ist ein Vielkönner und dafür das geeignete Material. Es eignet sich hervorragend in der Kombination mit anderen Materialien – ein Rohstoff für alle Polaritäten des (Bau)Lebens.