Vorzeigeprojekt für kreislaufgerechtes Bauen

Ein Artikel von Raphael Zeman | 07.02.2023 - 08:59

Früher war es üblich, bei Neubauten Spolien – das sind Baumaterialien beziehungsweise -elemente von Ruinen und Abbruchhäusern – einzusetzen. Diese Praxis verlor mit der zunehmenden Industrialisierung und Globalisierung immer mehr an Bedeutung. Im Angesicht der Klimakrise und dem zunehmenden Bewusstsein des ökologischen Fußabdrucks schenkt man dem Thema nun wieder mehr Aufmerksamkeit. So auch beim Baseler Architekturbüro Rapp, das sich bereits länger intensiv mit Recycling und Reuse von Bauteilen befasst.

Neubau macht Kreislaufwirtschaft erlebbar

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Der Primeo Energie Kosmos zeigt, aus welchem Holz er geschnitzt ist. © Beat Ernst

Beim Science- und Erlebniscenter „Primeo Energie Kosmos“  in Münchenstein bei Basel, das von EBM (Genossenschaft Elektra Birseck Münchenstein) in Auftrag gegeben wurde, konnte Rapp nun sein Know-how in Sachen Recycling und Reuse ausspielen. Anlässlich des 125-jährigen Jubiläums der EBM wurde das bestehende Elektrizitätsmuseum saniert und um einen Neubau erweitert. Während der Altbau eine 45-minütige Erlebnisshow bietet, sind im Primeo Energie Kosmos auf zwei der insgesamt drei Geschosse Experimentierstationen untergebracht. Dabei wird das Gebäude selbst quasi zum Experimentierfeld. Denn mehr als zwei Drittel der Bauteile sind recycelt oder aus nachwachsenden Rohstoffen und stammen – sofern möglich – aus der Region. War es aus statischen, juristischen oder wirtschaftlichen Gründen nicht möglich, rezyklierte Materialien zu verbauen, so war man darauf bedacht, das Material selbst sortenrein und unbehandelt – und damit wiederverwendbar – einzusetzen.

Holzskelett mit zentraler Stütze

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Grundriss EG: der Holzskelettbau kommt mit einer zentralen Baubuchenstütze aus. © Rapp

Der Neubau präsentiert sich nun als dreigeschossiger Holzskelettbau, bei dem das regionale Holz sichtbar belassen wurde. Die Struktur basiert auf einem quadratischen Grundriss von rund 15 mal 15 m, der in vier Quadranten mit einer Spannweite von rund 7,5 m geteilt ist. Die Decken liegen allesamt auf einem Trägersystem, das von einer mittleren Baubuchenstütze getragen wird, die Außenwände sind Teil der tragenden Struktur. Alle notwendigen Verkehrswege liegen außerhalb des Dämmperimeters, die Laubengänge gelten als nicht zu beheizende Erschließungszone. Dadurch minimierte sich der Energieverbrauch. Auf dem Dach befindet sich zudem eine Photovoltaikanlage mit einer Fläche von 235 m².

Reuse – vom Boden bis zur Leuchte

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Digitale Modelle erleichterten die Dokumentation und Koordination der unterschiedlichen Bauteile und Materialien. © Rapp

Beachtlich ist, mit welcher Kreativität man im gesamten Bauwerk Spolien – also rezyklierte Materialien und Bauteile – eingesetzt hat. Für den Belag der Stahlspindeltreppe beispielsweise nutzte man das übriggebliebene Holz der provisorischen Bautreppe. Die Bodendielen in den Obergeschossen stammen zur Hälfte aus einem Bootshaus von 1911, weitere Bauteile im Innenausbau kommen von der Bauteilbörse in Klybeck, darunter eine komplette Küche. Die Sanitärbereiche wurden fast ausschließlich mit ausrangierten Elementen wie Waschbecken, Trennwänden oder Armaturen bestückt, die Fliesen stammen aus Restposten oder aussortierten Produktionen. Selbst die Beleuchtungselemente kommen aus Abrissobjekten, wurden, wo nötig repariert und mit modernen LED-Leuchtmitteln ausgestattet.

Charakteristische Außenansicht mit Geschichte

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Das Rankgerüst aus rezyklierten Strommasten verleiht dem Gebäude eine dynamische Außenansicht. © Beat Ernst

Bei der Fassade kam das Restmaterial einer Wohnsiedlung zum Einsatz. Dabei wird darauf verwiesen, dass der günstige Verschnitt aus Kompaktlaminat aus Teilen unterschiedlicher Formate bestand, was einen Mehraufwand bei Planung und Montage sowie ästhetische Kompromisse erforderte. Ein weiteres unübersehbares, rezykliertes Element stellen die 60 Jahre alten Hochspannungs-Gittermasten dar, die man als Schrottmaterial erstand und rund um die Laubengänge anordnete. Die ursprüngliche Idee, die Masten tragend einzusetzen, ließen die Baubestimmungen aufgrund der Fluchtwegfunktion der Laubengänge nicht zu. Deshalb wurden die ehemaligen Strommasten zum Rankgerüst umfunktioniert – ein Motiv, das im Innenraum an den Brüstungen wieder ablesbar ist.

Mehraufwand, der sich lohnt

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Unter den Spolien  befindet sich unter anderem eine gesamte Küche, die aus der Bauteilbörse in Klybeck stammt. © Beat Ernst

Um die vielen verschiedenen Bauteile und Materialien koordinieren zu können, arbeiten sowohl Rapp als auch die Partnerbaustellen mit detaillierten digitalen Modellen, wodurch die Mengen und Geometrien der eingesetzten Elemente frühzeitig planbar werden. Diese Form des Bauens erfordert von allen Beteiligten viel Flexibilität, Spontanität und Kompromissbereitschaft. Die Mehrkosten für die Planung und notwendige qualifizierte handwerkliche Arbeit wiederum gleichen die geringeren Materialkosten aus. Zwar seien die Baukosten laut Projektbeschreibung so mit denen eines konventionellen Neubaus vergleichbar, jedoch finde eine Verlagerung der Wertschöpfung hin zum Handwerk, zu einer neuen Rolle des Architekten und zur Digitalisierung statt.

Das Projekt ist Teil einer Studie des Schweizer Bundesamts für Energie (BFE). Diese analysiert, wie groß die wirtschaftlichen und nachhaltigen Auswirkungen einer Kreislaufwirtschaft auf den gesamten Lebenszyklus von Bauprojekten tatsächlich sind. Im Oktober wurde der Primeo Energie Kosmos eröffnet.

Projektdaten

Standort: Münchenstein / CH
Bauherr: EBM (Genossenschaft Elektra
Birseck Münchenstein); Primeo Energie
Bauzeit: August 2021 bis März 2022
Architektur: Rapp AG
Holzbau: Stamm Bau AG
BGF: 1592 m²
Verbaute Holzmenge: 220 m³