Lückenschluss par excellence

Ein Artikel von Birgit Gruber | 13.04.2023 - 09:47
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Unweit des Canal Saint-Martin passt sich das neue Wohnhaus perfekt an das moderne Pariser Stadtleben an. © Cyrille Lallement

Es scheint fast so, als ob das neue Wohngebäude an der Rue Robert Blache, Ecke Rue du Terrage schon immer dagewesen wäre. Mit seiner mattweißen Metallfassade taucht der Bau quasi im Pariser Stadtleben unter und sticht gleichzeitig hervor. Der gelungene Lückenschluss stammt aus der Feder von MAO-Architekten im Auftrag der städtischen Wohnbaugesellschaft RIVP (La Régie immobilière de la ville de Paris). Das Pariser Planungsbüro hat sich auf den sozialen Wohnbau spezialisiert und stellt seine Projekte in den jeweiligen architektonischen und historischen Kontext. „Bei unserer Arbeit versuchen wir, historische Details neu zu interpretieren, aber nicht nur aus ästhetischen, sondern auch aus praktischen Gründen“, erklärt Fabien Brissaud, der leitende Architekt von MAO.

Besonderer historischer Kontext

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Bodentiefe Fenster und Holzsichtoberflächen tragen zu einer hohen Wohnraumqualität bei. © Cyrille Lallement

Der Standort des um die Ecke gebauten Holzbauprojektes befindet sich unweit des Canal Saint-Martin. Dort treffen drei für Paris charakteristische Stadtsituationen aufeinander: Während die Rue Robert Blache von kleinen, weiß verputzten Faubourg-Gebäuden geprägt ist, wird die Rue du Terrage weitgehend von einem großen Backsteingebäude eingenommen. Am Areal um die Place Raoul Follereau wiederum befindet sich ein imposanter Wohnkomplex, der Anfang der 1980er-Jahre im Stil der Postmoderne errichtet wurde. Das neue Bauwerk verbindet nun die verschiedenen Bereiche miteinander, knüpft in seinem Baustil jedoch an die historischen Faubourgs an. Das waren Stadtgebiete, die ab dem 16. Jahrhundert zunächst außerhalb der Stadtmauern von Paris mit ihren typischen Mietshäusern – .hnlich den Wiener Gründerzeithäusern – von Arbeiterfamilien bewohnt wurden. Im Jahr 1701 wurden diese Faubourgs der Stadt angegliedert und die Mauer abgerissen. Viele Pariser Straßennamen, wie die Rue du Faubourg Saint-Denis, erinnern an ihren alten Standort. „Wir wollten die Codes der faubourgianischen Architektur neu interpretieren: ein kompaktes Volumen zwischen Hof und Straße, eine durch regelmäßige, vertikale Öffnungen gegliederte Fassade eine diskrete Formensprache, Schlichtheit bei der Wahl der Bauweise“, weiß Brissaud. Laut dem Projektleiter müssen Architekten wie Stadtplaner denken, „Architekten müssen ein Gespür für die Geschichte des Viertels und die Menschen, die dort leben, haben“, hält Brissaud fest.

Immobilienriese wünschte sich Holzbauweise

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© Cyrille Lallement

Um im Pariser Stadtgefüge sauber, platzsparend und rasch bauen zu können, wünschte sich der Bauherr eine Umsetzung in Holzbauweise. Das Gebäude besteht demnach aus Brettsperrholz-Elementen, die aus dem Baskenland von der Egoin Wood Group geliefert wurden. Die fünfstöckige Holzkonstruktion aus massiven Decken- und Wandelementen konnte dadurch innerhalb von nur zehn Tagen montiert werden. Im betonierten Erdgeschoss befinden sich ein Fahrradgeschäft und die erste Ebene zweier Triplexwohnungen (so genannte dreigeschossige Einheiten). Im Erdgeschoss und den fünf darüber liegenden Stockwerken sind insgesamt sechs Wohnungen unterschiedlicher Größe untergebracht.

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© MAO

Erschließung über Stiegenhaus

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Auch über den Innenhof gelangt ausreichend Tageslicht in die Wohnungen. © MAO

Durch diese Konfiguration konnte die Erschließung ausschließlich über eine Treppe sowie Außenpodeste erfolgen. In den oberen Stockwerken sind alle Wohnungen nach zwei oder sogar drei Seiten ausgerichtet und verfügen über große, bodentiefe Fenster, die den Bewohnern ein Maximum an Licht bieten. „Die Herausforderung lag in der Größe des Eckgrundstückes. Dieses war sehr schmal, sodass wir uns überlegen mussten, wie wir den verfügbaren Platz optimal nutzen können“, erklärt Brissaud. Aus diesem Grund musste auf einen Aufzug verzichtet werden, was zudem Kosten sparte. Die Architekten haben einen großen Teil des Holzes im Inneren der Wohnungen sichtbar belassen, um freundliche Innenräume zu schaffen. Gedämmt wurde mit Holzfaser. Auf der Hofseite ist die Fassade mit einer natürlichen Holzverkleidung versehen. Auf dem Dach wird das Regenwasser über eine Zisterne gesammelt. Ein Rückgewinnungssystem versorgt die Wasserhähne in den Gemeinschaftsbereichen und alle sanitären Anlagen.

Projektdaten

Standort: Paris
Baubeginn: 2019
Fertigstellung: 2022
Bauherr: La Régie immobilière de la ville de Paris
Architekt: Mobile Architectural Office (MAO)
Holzbau: Ginko ingénierie; VPEAS
Systemlieferant Holzbau: Egoin Wood Group
Bruttogeschossfläche: 318 m2
Nettogeschossfläche: 263 m2
Baukosten: 1,7 Mio. €