„Woody-M“ im 12. Wiener Gemeindebezirk: Vier locker positionierte Baukörper stehen am intensiv begrünten Sockelgeschoss. © Kurt Hörbst
Es war einmal ein Supermarkt mit Parkplatz. Bereits vor zehn Jahren entdeckten Freimüller-Söllinger Architektur mit Palmers Immobilien die brache Fläche in der Wiener Tivoligasse und befanden sie als geeigneten Bauplatz für eine mehrgeschossige Mischnutzung. Damals erstellten sie dann auch eine städtebauliche Studie. Der Planungsbeginn startete nach erfolgter Flächenwidmung 2019. „Bei Umwidmungen und Umnutzungen versuchen wir immer, einen Mehrwert für die Umgebung zu schaffen“, hält Regina Freimüller-Söllinger dazu fest. Die freie Sicht auf den Parkplatz wurde den gegenüberliegend wohnenden Meidlingern zwar genommen, doch „haben wir zum einen die Parkplätze unter die Erde gebracht, was weniger Emissionen bedeutet. Zum anderen schufen wir öffentlich zugängliche begrünte Flächen und der Durchgang, der vormals ein ‚finsterer Schlurf‘ war, ist jetzt ein schöner bepflanzter Freiraum und bietet einen Fahrradweg.“ Rücksichtsvoll in Bezug auf die bestehenden Sichtachsen der Nachbarbebauung achtete man im Entwurf darauf, die Baukörper leicht zueinander zu drehen, um Durchsicht von West nach Ost zu schaffen. Das Projekt bekam letztlich grünes Licht.
103 Wohnungen am Gründeck
Im Jahr 2020 haben die Bauarbeiten begonnen, im Dezember vergangenen Jahres zogen die Mieter ein. Auf 2680 m2 Grundstücksfläche hat man 11.000 m2 Bruttogeschossfläche geschaffen. 103 Wohnungen finden sich in vier Baukörpern auf einem begrünten Sockelgeschoss in Stahlbetonbauweise. Zwei Gebäude sind über Laubengänge miteinander verbunden. Im Sockel sind ein Supermarkt, eine Tief- sowie eine Fahrradgarage, ein Gemeinschaftsraum sowie zwei Stiegenhäuser, über die das grüne Wohnplateau erschlossen wird, untergebracht. Eine bereits versiegelte Fläche effizient nutzen, lautete also das Credo. Zur Umsetzung dieser Idee gelangte man mit Tatendrang der Architekten sowie mit dem in Wien ansässigen Wirtschaftspartner Palmers Immobilien. Dass man in Holz bauen wollte, stand von Beginn an fest. „Das Wichtigste bei so einem Vorhaben ist, dass alle an einem Strang ziehen. Und ohne die Überzeugung des Bauherrn geht’s nicht“, sagt Freimüller-Söllinger. Diesmal hatten die Architekten diesbezüglich Glück: Es war keine Überzeugungsarbeit in Richtung Bauherrschaft notwendig. „Wir sind alle fürs Gleiche gelaufen.“ Und damit spricht die Architektin nicht nur die Weitsicht von Palmers Immobilien, sondern die Kooperation innerhalb des gesamten Teams an. Als Generalunternehmen fungierte die Handler Gruppe, die auch die Lärchenfassade in der unternehmenseigenen Zimmerei in Neutal fertigte. Richard Woschitz, dessen Woschitz Group in Holzbaukreisen vor allem mit dem HoHo Wien bekannt wurde, war als Tragwerksplaner von Beginn an in das Projekt eingebunden.
Für die innerstädtische Verdichtung setze ich mich ein. Wir müssen unsere Ressourcen schonen.
© Walter Henisch
829 Einzelteile auf Baustelle gehievt
Das ausführende Unternehmen Meissnitzer Holzbau übernahm die Werksplanung, die an das Familienunternehmen Theurl übermittelt wurde. Insgesamt kamen 2000 m³ an Brettsperrholz-Elementen für Decken in Sichtqualität und Wände in Industriequalität aus Osttirol. Die Aussteifung der Baukörper erfolgt über die Laubengangwand. Dadurch kommt es im Bereich des horizontalen Wandstoßes zu sehr hohen Schub-, Druck- und Zugkräften. Diese Laubengangwand wurde mit einer Stärke von 280 mm ausgeführt. Zur Ableitung der Schubkräfte wurden doppelte Schubnasen mit einer Höhe von 15 cm und einer Breite von 40 cm eingeplant. In den beiden oberen Geschoßen, wo kleinere Kräfte auftreten, beträgt die Höhe der Schubnase nur 10 cm. „Die Deckenelemente waren zum Teil 2,95 m breit. Deshalb konnten sie nur in der Nacht angeliefert werden, da es in Wien tagsüber ein Fahrverbot für Lkw mit Überbreite gibt“, erzählt Holzbau-Meister Christoph Streitberger von Meissnitzer Holzbau.
„Eine Herausforderung bestand dabei, in der sonst unüblichen stehenden Verladung der gesamten Wandelemente sowie der liegenden Verladung der Deckenelemente, die aufgrund ihrer ausladenden Breite über Nacht bis fünf Uhr in der Früh auf die Baustelle geliefert werden mussten“, heißt es vonseiten Theurl. Die Tiroler hievten insgesamt 829 Einzelteile auf die Baustelle. „Aus konstruktiver Sicht stellten die statisch erforderlichen Verzahnungen der tragenden Wandelemente an der Rückseite der Gebäude eine zusätzlich knifflige Aufgabe für das Team dar.“ Der Anschluss an den Betonsockel erfolgte mittels Schweißgründen.
Die Decken waren zum Teil 2,95 m breit. Deshalb konnten sie nur in der Nacht angeliefert werden, da es in Wien tagsüber ein Fahrverbot für Lkw mit Überbreite gibt.
© Meissnitzer Holzbau
Sichtholzoberflächen steigern Wohnraumqualität
Der Sockel, auf dem sich das gegrünte Wohnplateau befindet, sowie die Brandschutzwände zum östlichen Nachbargrundstück sind in Stahlbeton ausgeführt. Darauf sitzen fünf bis sechs Wohngeschosse in Massivholzbauweise. Für die vorgelagerten Regale in Form von Balkonen oder Laubengängen kamen Stahlbetonfertigteile zum Einsatz. Die Themen Brand- und Schallschutz kommentiert Freimüller-Söllinger folgendermaßen: „Hier tun sich noch Forschungsfelder auf.“ Die Wohnungstrennwände sind doppelschalig und alle Decken als Sichtholzdecken ausgeführt. Die Wände sind direkt beplankt und teilweise in Sichtholz belassen. Bei den Grundrissen wurde auf Flexibilität gesetzt, was bedeutet, dass Adaptionen zu einem späteren Zeitpunkt einfach möglich sind.
„Commitment“ des Bauherrn essenziell
Mit ihrer Holzfassade, die hält, was sie verspricht, nämlich einen Holzbau im Kern, sticht Woody-M dem Passanten sofort ins Auge. Was Freimüller-Söllinger jetzt nach Fertigstellung über die Schnittstellen und Hebel zur Realisierung solcher Projekte denkt? „Es braucht zwingend das ‚Commitment‘ des Bauherrn.“ Zusätzlich das Engagement der Architekten. „Für die innerstädtische Verdichtung setze ich mich ein. Wir müssen unsere Ressourcen schonen“, verdeutlicht die Wiener Architektin ihre Einstellung. „Trotz langwieriger Verfahren werden wir weiter machen. Wir haben ganz viele Projekte in der Pipeline.“
Projektdaten
Standort: Tivoligasse, Wien
Fertigstellung: Dezember 2022
Bauherrschaft: Palmers Immobilien, palmers-immo.at
Architektur: Freimüller-Söllinger Architektur, freimueller-soellinger.at
Generalunternehmer: Handler Gruppe, handler-group.com
Holzbau: Holz Meissnitzer, meissnitzer.at
Holzmenge: 2300 m3
Brandschutz: KUNZ Brandschutzplaner, brandschutzplaner.at
Statik: Woschitz Group, woschitzgroup.com
Landschaftsarchitektur: Carla Lo Landschaftsarchitektur
Bauzeit inkl. Planungsphase: 2019 bis 2022
Systemlieferanten: Theurl, theurl-holz.at
Nutzfläche: 11.000 m2