In seinem Volumen und der Dachform unterscheidet sich das Wohnhaus nicht von dem ehemaligen Wirtschaftsgebäude. Doch im Innenraum tut sich eine neue Welt auf. © Florian Amoser
Als „Shotgun-House“, zu Deutsch Schrotflintenhaus, bezeichnet man eine vor allem im Süden der USA verbreitete Form von Einfamilienhäusern. Kennzeichnend ist ihre schmale, rechteckige Form. In traditioneller Bauweise errichtete Shotgun-Houses haben keinen Flur und die zwei bis fünf Zimmer sind direkt miteinander verbunden. In Anlehnung an dieses Konzept entwarf das Schweizer Büro Lukas Lenherr Architektur im vergangenen Jahr eine Shotgun-Variante im Schweizer Männedorf am Zürichsee. Der vertikale Wohnraum verbindet alle Zimmer und das Wohnen auf kleinster Grundfläche auf drei Geschoßen. Die Raumabfolge beginnt im betonierten Untergeschoß, wo die Haustechnik und Werkräume untergebracht sind. Über einen offenen Treppenraum gelangt man ins Erdgeschoß mit Aufenthaltsräumen inklusive Küche sowie Sanitärräumen. Von dort aus geht es ebenfalls offen weiter in das Obergeschoß, wo sich das Schlafzimmer befindet. Letzteres ist das einzige Zimmer, das sich vom Rest des Wohnbereiches abtrennen lässt. Sonst fließt förmlich alles ineinander. „Es handelt sich um einen einzigen großen Lebensraum, vom Untergeschoß bis unters Dach“, erklärt Lukas Lenherr.
Kontraste sind gewollt. Die Weißtannenfassade wurde mit der japanischen Yakisugi-Methode verkohlt. © Florian Amoser
Umhüllt wird das Haus von einer Weißtannenfassade, deren obere Schicht mittels traditioneller japanischer Yakisugi-Methode verkohlt wurde. Eigentlicher Sinn der Behandlung, nämlich die Holzkonservierung, war hier gar nicht vorrangig. Eine dunkle Fassade war baurechtliche Vorschrift.
Nähe zum Handwerk bei Kleinprojekten von Vorteil
Bestandsaufgaben sind immer interessant und bergen mit aller Wahrscheinlichkeit die eine oder andere Überraschung. Bei diesem Umnutzungsprojekt war zumindest eines von vorneherein klar: Aus baurechtlichen Gründen durfte die Kubatur der alten „Schüür“ (schweizerdeutsch für Scheune) aus der Mitte des 19. Jahrhunderts nicht verändert werden. Weil der Keller betoniert werden sollte, ständerte man die Scheune auf Stahlträgern auf, hob die Baugrube aus und betonierte das Untergeschoß, während die Scheune darüber hing. Nachträglich wurden die Stahlträger wieder entfernt. Auflagen forderten zudem ein, dass die First- als auch die Traufenhöhe exakt nachzubilden seien. Darüber hinaus musste ein bestimmter Anteil des Altholzes im Gebäude verbleiben. Und das auch während des Umbaus. Ein Umstand, der das Einheben der neuen filigranen Holztragkonstruktion von sechs Rahmen in die Bestandsstruktur erforderte. Nicht umsonst trägt das Gebäude den Projektnamen „Six Frames“ – denn dieser Bauabschnitt war mitunter der herausforderndste, wie auch Projektleiter Ronnie Büsser vom ausführenden Holzbauunternehmen Kübler Holzbau bestätigt.
Diese Phase bewältigte man im Team. „Im Einfamilienhausbereich haben Planer und Ausführender die Chance, sehr nahe am Projekt zu sein“, findet Lenherr. „Durch die Nähe zum Handwerk kreiert man gemeinsam eine Sache, die es so bisher noch nicht gab.“ Die Wertschätzung gegenüber dem Ausführenden ist für den Architekten sowieso selbstverständlich. „Es brauchte immer wieder handwerkliches Geschick auf der Baustelle“, erinnert sich auch Büsser. Im 35-Mann starken Schweizer Betrieb praktiziere man neben dem maschinellen noch den händischen Abbund und vermittle den Auszubildenden die Wichtigkeit tradierter Handwerkskunst, informiert Büsser. Dieser Umstand und die Unternehmensphilosophie der Verbindung von moderner Produktion und Handwerkswissen war bei vorliegendem Projekt mit Sicherheit von Vorteil.
Eine Brettstapeldecke trennt das Erd- vom Obergeschoß. Wichtig für die Statik des gesamten Gebäudes sind die sechs umspannenden Holzrahmen, die sich im Innenraum als konstruktive Elemente klar abzeichnen. Den gewollten Kontrast zum hellen Inneren bildet die dunkle behandelte Weißtannenfassade, die wie die Haut eines Reptils anmutet. Insgesamt wandelt jenes auf leisen Sohlen, denn es bietet bei minimalem Bodenverbrauch doch 150 m2 Wohnfläche.
Reduktion und Verzicht sind für uns zwei sehr wichtige Vertreter der Nachhaltigkeit – und bekanntlich ist weniger ja mehr.
© Florian Amoser
Kleiner Fußabdruck, niedrige Energiekosten
Aufgrund der baurechtlichen Auflagen, aber auch, um die Baukosten möglichst niedrig zu halten sowie ein Zeichen zu setzen gegen den Verschleiß von Ressourcen, entspricht das Volumen nun also dem des Altbaus. Ferner kommt ein niedriger Energieverbrauch, bereitgestellt durch eine Wärmepumpe und Photovoltaik am Dach, hinzu. „Reduktion und Verzicht sind für uns zwei sehr wichtige Vertreter der Nachhaltigkeit – und bekanntlich ist weniger ja mehr“, kommentiert Lenherr diesen Umstand.
Projektdaten
Standort: Männedorf, CH
Bauherrn: privat
Fertigstellung: Dezember 2022
Architektur: Lukas Lenherr Architektur
Holzbau: Kübler
Systemlieferanten: Schneider Holz, Balteschwiler, Groupe Corbat, PVA
Holzmenge: 45 m3 inkl. Schalung
Holzarten: Fichte, Eiche, Birke, Weißtanne (Fassade)
Wohnfläche: 149 m2