360 Grad nachhaltig gedacht

Ein Artikel von Birgit Gruber | 23.07.2025 - 09:53
WK Simonsfeld_Juri Troy_Patrick Johannsen (174).jpg

© Patrick Johannsen

n Ernstbrunn, nördlich von Wien, hat die Windkraft Simonsfeld ihren Firmensitz. Das Unternehmen betreibt im niederösterreichischen Weinviertel sowie in Bulgarien und der Slowakei zahlreiche Windkraft- und Solaranlagen. Mit seiner nachhaltigen Energieproduktion versorgt es rund 185.000 Haushalte mit umweltfreundlichem Strom und zählt damit zu den bedeutendsten regionalen Anbietern im Bereich erneuerbare Energien. Seit dem Einzug in das Bürogebäude im Jahr 2014 ist das Team der Windkraft Simonsfeld stetig gewachsen. Im September 2022 wurde deshalb mit der Planung eines neuen Bürokonzeptes und einer Vergrößerung des Bestands begonnen. „Uns war es wichtig, das Team von Anfang an miteinzubeziehen, daher wurde eine Nutzergruppe aus Mitarbeitern unterschiedlicher Bereiche gebildet. Diese haben sich mit der Zukunft der Arbeitswelt auseinandergesetzt und erarbeitet, welche Räumlichkeiten, Orte des Zusammenarbeitens, des Austauschs und des Rückzugs und welche Arbeitsumgebung sie zukünftig vorfinden möchten“, erklärt Alexander Hochauer, Vorstand Finanz der Windkraft Simonsfeld. Mit diesen Anforderungen ist man in einen Architekturwettbewerb gegangen. Der Entwurf von Juri Troy Architects hat die Erwartungen des Bauherrn erfüllt. „Zusätzlich hat uns das nachhaltige Gebäudekonzept überzeugt, das genau in unsere Philosophie passt“, so Markus Winter, Vorstand Technik. Man habe mit der Erweiterung des Headquarters ein ökologisches Leuchtturmprojekt verwirklicht, das kompromisslos 360 Grad nachhaltig gedacht sei. „Durch die architektonisch hochwertige Umsetzung ist es zweifelsohne ein Referenzprojekt für zukunftsweisenden Bürobau. Es gibt nur wenige Projekte in Österreich, die von klimaaktiv mit der höchstmöglichen Punkteanzahl ausgezeichnet wurden – das freut uns sehr und bestätigt unseren Anspruch,“ ergänzt Hochauer. Ende 2024 wurde der neue Teil eröffnet.

WK Simonsfeld_Juri Troy_Patrick Johannsen (12).jpg

Bestandserweiterung in Ernstbrunn: Ziel des Projekts war es, zusätzliche Büroflächen zu schaffen und zugleich neue Räume für Empfang, Gastronomie und Veranstaltungen zu integrieren. © Patrick Johannsen

Begrünter Innenhof als beliebter Treffpunkt

WK Simonsfeld_Juri Troy_Patrick Johannsen (53).jpg

Gemeinsam umrahmen beide Baukörper ein zentral gelegenes Atrium, das als Begegnungs- und Kommunikationszone dient und beide Gebäudeteile miteinander verbindet. © Patrick Johannsen

Der Neubau ergänzt das bestehende Bürogebäude, das ursprünglich vom Architekturbüro Reinberg geplant wurde. Entstanden ist ein zweigeschoßiger, u-förmiger Zubau entlang der Straßenseite, der an zwei Stellen mit dem Bestand verbunden ist. Gemeinsam umrahmen beide Baukörper ein zentral gelegenes Atrium, das als Begegnungs- und Kommunikationszone dient und beide Gebäudeteile miteinander verbindet. Der neue Baukörper ist kompakt geplant und greift nur wenig in die bestehende Struktur ein. „Eine durchgehende barrierefreie Erschließung macht das Ensemble homogen. Der Hof ist nicht nur ein gestalterisches Element, sondern auch funktional: Er bringt Tageslicht tief ins Gebäude, verbessert die natürliche Belüftung und wirkt sich positiv auf das Raumklima und die Akustik aus. Als Kommunikationszone wird er intensiv genutzt und stärkt das Miteinander im Unternehmen“, berichtet Troy. Im Erdgeschoß befinden sich Empfang, Besprechungsräume, eine Mensa sowie ein flexibel nutzbarer Veranstaltungsraum. Diese öffentlich zugänglichen Bereiche sind offen und vielseitig gestaltet. Überdachte Außenflächen schaffen zusätzlichen Raum für Pausen, Gespräche und Veranstaltungen. Im Obergeschoß sind moderne Büroarbeitsplätze untergebracht. Sie sind rund um das Atrium angeordnet, wodurch viel Tageslicht ins Gebäude kommt und eine gute Orientierung ermöglicht wird. Die bis zu 3,2 m hohen Holzfenster und Türelemente in weiß lasierter Fichte, ergänzt durch großformatige Brandschutzelemente, wurden vom steirischen Hersteller Kapo nach klimaaktiv-Kriterien gefertigt.

Bewusste Entscheidung für Holz

WK Simonsfeld_Juri Troy_Patrick Johannsen (195).jpg

Im östlichen der beiden Verbindungstrakte zum Altbau ist ein Veranstaltungsraum mit Bühne untergebracht. © Patrick Johannsen

Die Tragstruktur des Neubaus besteht aus einem klar aufgebauten Holzskelettbau, um eine flexible Raumnutzung und spätere Anpassungen zu gewährleisten. Für die Tragstruktur und sichtbare Innenbauteile kamen heimische Nadelhölzer zum Einsatz – vorwiegend Fichte. Die Bauteile wurden bei Strobl Holzbau größtenteils vorgefertigt, was eine präzise Ausführung und kurze Bauzeit ermöglichte. Das sichtbare Holz sorgt für eine natürliche, angenehme Atmosphäre im Innenraum und wirkt sich positiv auf das Raumklima aus. Für Troy war es die erste Zusammenarbeit mit dem Weizer Holzbauunternehmen. Er spricht von engagierten Mitarbeitern, die sich konstruktiv in den Bauprozess eingebracht und sowohl Zeit als auch Kosten eingehalten haben. „Wir waren sehr zufrieden“, lobt der Architekt. Apropos Kosten: Wenn es um nachhaltiges Bauen geht, kennt Troy keine Kompromisse.

Eine ursprüngliche Idee sollte deshalb niemals dem Sparstift weichen. „Was die Windkraft Simonsfeld betrifft, muss man dem Bauherrn ebenfalls ein großes Lob aussprechen. Alle von Anfang an gesetzten Nachhaltigkeitsmaßnahmen wurden bis zur Ausführung mitgetragen. Selbst über den Zubau hinaus merkt man ein großes Bewusstsein für eine gesellschaftliche Verantwortung in der Region. Der Umgang mit den Mitarbeitern ist dem Unternehmen ein großes Anliegen und diese wurden auch mittels Workshops in das Projekt miteinbezogen. Es gibt sogar einen eigenen Koch, der am Gelände Gemüse anpflanzt und jeden Tag ein tolles veganes Menü in der Kantine zaubert. Das Mobilitätskonzept ist ebenfalls vorbildlich mit einer großen Elektroflotte, die von allen Mitarbeitern genutzt werden kann“, schwärmt Troy. Die Entscheidung für den Baustoff Holz wurde bewusst getroffen

Baugrund ermöglichte Stampflehmkern

WK Simonsfeld_Juri Troy_Patrick Johannsen (21).jpg

Das Erdgeschoß ist an drei Seiten zurückversetzt, sodass eine umlaufende Terrasse entsteht. Auf der Südseite öffnet sich das Obergeschoss zudem mit einer großen Loggia. © Patrick Johannsen

Troy beschäftigt sich seit vielen Jahren intensiv mit nachhaltiger Architektur. Bereits vor fünfzehn Jahren realisierte er mit dem Sunlighthouse Österreichs erstes CO2-neutrales Einfamilienhaus – ein Meilenstein in der klimaschonenden Bauweise. Die Bilanz des Gebäudes spricht für sich: Nach rund dreißig Jahren werden die Erdwärmepumpe und die Solaranlage mehr Energie erzeugt haben, als für die Errichtung, den Materialtransport und den laufenden Betrieb benötigt wurde. Für dieses zukunftsweisende Projekt wurde Troy, der seit 2023 als Professor für Holzbau an der Technischen Universität Wien lehrt, mit mehreren renommierten Architekturpreisen ausgezeichnet. Wie weit sich nachhaltiges Bauen seither entwickelt hat, will er auch mit diesem Projekt zeigen. Bereits in der Wettbewerbsphase stellte er ein innovatives Energiekonzept mit zwei massiven Stampflehmkernen und Bauteilaktivierung zur Regulierung des Raumklimas vor. Die Grundversorgung des Gebäudes erfolgt über ein erdgekoppeltes Wärmepumpensystem, das durch insgesamt elf zusätzliche Tiefenbohrungen erschlossen wird. Diese geothermische Infrastruktur ermöglicht sowohl die effiziente Beheizung als auch die passive Kühlung der Büro- und Aufenthaltsbereiche. Ergänzend dazu ist die gesamte Dachfläche mit einer Photovoltaikanlage ausgestattet, die den elektrischen Energiebedarf des Gebäudebetriebs vollständig abdeckt. Bemerkenswert ist, dass das Gebäude bereits seit der Errichtungsphase eine positive CO2-Bilanz aufweist. „Baugrunduntersuchungen haben gezeigt, dass es dort brauchbaren Lehm gibt, der sich wunderbar zum Bauen eignet. Das Material für die zwei Kerne im Inneren hat das Grundstück also nie verlassen“, erzählt Troy. Gemeinsam mit dem Unternehmen proLehm habe man den Baustoff schließlich vor Ort aufbereitet und eingebaut. Dank dieser Lowtech-Variante ersparte man sich den Einbau einer Klimaanlage. Gerade im Innenbereich ist Lehm somit die ideale Ergänzung zu Holz.

Beim Bauen an morgen denken

WKS_08_Schnittperspektive.png

Schnittperspektive © juri troy architects

In seinen Vorlesungen will Troy nachhaltige Baumaterialien wie Stroh, Lehm, Wolle oder Hanf aus der Nische holen. Denn nur ganzheitlich durchdachte Gebäudekonzepte machen für den Architekten mit Vorarlberger Wurzeln Sinn. Und dazu brauche es – neben Holz – eben mehr. Man müsse auch immer kritisch bleiben, denn im Moment gibt es laut Troy viele Projekte, bei denen Holz zwar verwendet wird, allerdings nicht substanziell. Das würde dazu führen, dass Holz als wertvolle Ressource verschwendet wird. „Von derartigen Greenwashing-Projekten halte ich persönlich gar nichts. Zudem macht es das ganze Nachhaltigkeitsthema angreifbarer für Kritik, die es so eigentlich gar nicht geben sollte“, so Troy.  Abschließend appelliert der Architekt noch an die sinnvolle Nutzung von Grundflächen als Hauptverantwortung aller Planer. Gleichzeitig müsse man diese mit langlebigen und langfristig nutzbaren Strukturen bebauen, wie man es mit dem Projekt in Ernstbrunn gezeigt hat. „Das war ein großer Mangel des Bestandsgebäudes, das man mitten in das Grundstück hineingesetzt hat, ohne darüber nachzudenken, wie in Zukunft eine Erweiterung stattfinden kann. Den Bestand sinnvoll weiterzudenken, war unsere größte Herausforderung“, erklärt Troy.

Nachhaltige Forstwirtschaft verstehen

Bei Exkursionen geht Troy mit seinen Studierenden mitunter auch gerne in den Wald und trifft sich dort mit Förstern, damit die wissenshungrigen Menschen die Denkweise einer nachhaltigen Forstwirtschaft verstehen. „Mein Anliegen ist es, dass die Bausubstanz ähnlich wie ein Wald verstanden wird. Wenn wir neue Gebäude oder Teile davon bauen, müssen wir so denken, als ob wir einen neuen Baum pflanzen. Schneidet man hingegen einen Baum ein oder reißt gleichermaßen ein Bestandsgebäude ab, muss immer die große Frage nach dem Sinn vor allen anderen stehen.” 

Projektdaten

Standort: Ernstbrunn, Niederösterreich
Bauherr: Windkraft Simonsfeld
Planungsbeginn: 09/2022
Baubeginn: 08/2023
Fertigstellung: 09/2024
Architektur: juri troy architects
Fachplanung und Statik: KPPK ZT
Bauleitung: M2 Architekten
Bauökologie: Larix Engineering
Holzbau: Strobl Bau – Holzbau
Lehmbau: pro Lehm Frauwallner
Fenster und Türen: Kapo Fenster und Türen
Grundstücksgröße: 11.316 m²
Holzanteil: 590 m³