Neue ÖNORM EN 15804

Ein Artikel von Birgit Gruber | 25.03.2020 - 11:36
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Reinhold Steinmaurer, holzbau austria
© holzbau austria

In der aktuellen Ausgabe der EN 15804 wird Zement als ein Vorprodukt betrachtet, bei dem nur die Herstellungsphase (A1 bis A3) in einer Umweltproduktdeklaration (Environmental Product Declaration, kurz EPD) berechnet werden muss. Alle anderen Produkte müssen die Herstellungsphase (A1 bis A3) und die Entsorgungsphase (C1 bis C4) sowie Vorteile und Lasten außerhalb der Systemgrenze (D) berechnen. Möglich ist das aufgrund der lt. Norm möglichen Ausnahmen für Vorprodukte, die nachstehende Kriterien erfüllen:

  • Das Produkt oder Material wird während des Einbaus physisch mit anderen Produkten so verbunden, dass es bei der Entsorgung nicht physisch von ihnen getrennt werden kann; und
  • das Produkt oder Material ist aufgrund von physikalischen oder chemischen Umwandlungsprozessen bei der Entsorgung nicht mehr identifizierbar; und
  • das Produkt oder Material enthält keinen biogenen Kohlenstoff.

Diese Ausnahme trifft ideal auf Zementprodukte zu, während Holz und Holzprodukte als Träger von biogenem Kohlenstoff von dieser Ausnahme generell ausgeschlossen sind.

Ausgenommen von dieser Regelung sind auch biobasierte Klebstoffe, die nicht nur ein zukunftsträchtiges Forschungsfeld darstellen, sondern auch einen wesentlichen Beitrag zur Reduktion aktueller Umweltprobleme leisten können.

Sekundärbrennstoff versus Abfall

Gemäß Umweltbericht der österreichischen Zementindustrie „Emissionen aus Anlagen der österreichischen Zementindustrie Berichtsjahr 2018“ wurden rund 80 % Sekundärbrennstoffe (Ersatzbrennstoffe) in der Zementherstellung eingesetzt. Das sind vor allem Altreifen und Kunststoffabfälle. Obwohl im eigenen Emissionsbericht die Autoreifen und Plastikmüll als Sekundärbrennstoffe deklariert werden, sieht das die ÖNORM EN 16908 „Zement und Baukalk – Umweltproduktdeklarationen – Produktkategorieregeln in Ergänzung zu EN 15804“ anders. Dort sind Autoreifen und Kunststoffabfälle eindeutig als Abfälle definiert. Das ist auch logisch, weil Autoreifen ja nicht zur Verbrennung erzeugt wurden, sondern um als Reifen zu dienen. Die physikalischen Ströme (Material, Energie und daraus resultierende Emissionen) fallen, wie in einer Lebenszyklusbetrachtung üblich, eindeutig in das Produktsystem Zement. Folgt man diesen physikalischen Strömen, so wären die Emissionen eindeutig dem Zement anzulasten.

Primärenergie von Abfall wird nicht als solche deklariert

Der Indikator Primärenergie gibt prinzipiell Auskunft darüber, wie viel Energie (Prozessenergie, aber auch dem Stoff inhärente Energie) im Material enthalten ist. Nach EN 15804 ist die Energie dort zuzuordnen, wo sie anfällt. Bei der Verbrennung von Kunststoffen und Altreifen im Zementwerk erhöht sich theoretisch die Primärenergiemenge bei der Zementerzeugung.

Die ÖNORM EN 15908 „Zement und Baukalk – Umweltproduktdeklarationen – Produktkategorieregeln in Ergänzung zu EN 15804“ hat das aber umgangen, indem die durch Verbrennung von Altreifen und Kunststoffabfälle eingebrachte Energie nicht der Primärenergie, sondern als „Einsatz von Sekundärbrennstoffen“ deklariert wird.
Der Knackpunkt, warum das überhaupt möglich ist, liegt in der Definition des Abfallstatus nach EN 15804, wo Stoffe ihre Abfalleigenschaft verlieren, wenn sie als Sekundärbrennstoffe eingesetzt werden. Diese für Zement/Beton optimale Regelsetzung reduziert den dargestellten Energieeinsatz von Zement/Beton enorm, da Ersatzbrennstoffe 80 % der eingesetzten Energie ausmachen. Das zeigt, wie viel höher der tatsächliche Energieeinsatz und der damit verbundene CO2-Ausstoß wären. Insgesamt ergeben sich aus dieser Betrachtung signifikant günstigere Ergebnisse in der Ökobilanz von Stahlbeton.

Speicherung von CO2 nicht berücksichtigt

Die ÖNORM EN 15804 beinhaltet, nachdem der ganze Lebenszyklus betrachtet werden muss, keine wirkliche Berücksichtigung der CO2-Speicherung durch Baustoffe. Insbesondere wird die Tatsache nicht berücksichtigt, dass die CO2-Speicherung im Bauprodukt Holz eine verzögerte Emission, als positiver Beitrag für das Klima, liefert und gleichzeitig der Rohstofflieferant Wald nachwächst und damit der Atmosphäre CO2 entzieht. Eine dynamische Lebenszyklusbetrachtung von Gebäuden, bei der Emissionszeitpunkte und die Abbaurate der Treibhausgase in der Atmosphäre in die Berechnungen mit eingehen, würde den Vorteil des Holzbaus aufzeigen. Dies fand aber in der Normung aktuell noch keinen Niederschlag. Es wurde zumindest erreicht, dass es gemäß ÖNORM EN 15804 möglich ist, Vorteile und Lasten außerhalb der Systemgrenze (D) auszuweisen, was aufgrund des Energieinhalts von Holz zu vorteilhafteren Ergebnissen führt.

Es ist zu hoffen, dass entsprechend der vorstehenden Argumente im Zusammenhang mit den getrennt ausgewiesenen Werten für die CO2-Speicherung weiterführende Betrachtungen durch Bauentscheider angestellt werden.